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ITALIEN Ein Haufen Fehler

Die Kommunisten haben Andreotti gestürzt -- weil ihnen die Zusammenarbeit mit den Christdemokraten zunehmend schadete.
aus DER SPIEGEL 6/1979

Wie wäre es, wenn in Italien die Kommunisten regieren und die Christdemokraten Oppositionspartei würden?« Gefragt wurde Giorgio Amendola, prominentes Vorstandsmitglied der italienischen KP.

Seine Antwort: Es wäre schrecklich. Denn dann würden in der Christdemokratischen Partei (DC) die reaktionären Verfassungsfeinde aktiv und die demokratischen Fundamente des Staates zerstören, um die Macht zurückzugewinnen. Deshalb dürfe man die DC auf keinen Fall aus der Regierung drängen.

Diese Vision, Thema eines soeben in Italien erschienenen Buches (Titel: »Was wäre, wenn die KPI regiert?") des Jouranlisten Francesco Paladino, ist selbst für die Kommunisten kaum mehr als Ironie: Sie stürzten die Minderheitsregierung des Christdemokraten Giulio Andreotti, um sich und den Italienern die Stärke ihrer Partei zu beweisen.

So hat Italien vergangene Woche neben neuen Terroristen-Morden auch noch eine Regierungskrise -- die 39. seit dem Sturz Mussolinis.

Doch an dieser Krise ist manches anders als an allen vorhergegangenen. Denn zum erstenmal brachten die Kommunisten -- sich fast entschuldigend -- eine Regierung zu Fall, weil sie ihnen allzu erfolgreich und eigenständig erschien. »So geht es nicht weiter«, hatte am vergangenen Dienstag die Fraktionsspitze der KPI mitgeteilt, die Regierung nehme auf die Kommunisten zuwenig Rücksicht.

Neu ist aber auch, daß die Partei Enrico Berlinguers kaum noch Druckmittel in der Hand hat, um den Regierungssturz für sich zu nutzen und von Andreotti mehr Zugeständnisse zu erhalten. Denn inzwischen haben die Genossen mit einer Tendenzwende der Wählergunst zugunsten der Konservativen und gegen die Linken zu tun, so daß sie nicht mehr -- wie noch vor einem Jahr -- den Christdemokraten mit Neuwahlen drohen könnten. Jetzt könnte sogar die DC-Führung die Genossen mit Neuwahlen schrecken, falls sie Andreottis nächste Minderheitsregierung nicht mittragen helfen.

Damit ist plötzlich die große Strategie in Frage gestellt, mit der KP-Chef Berlinguer die italienische Gesellschaft schrittweise in eine »demokratische und sozialistische Form« überführen wollte.

Im Herbst 1973 hatte Berlinguer aus dem Sturz der Regierung des chilenischen Präsidenten Allende den Schluß gezogen, daß eine Volksfront aus Sozialisten und Kommunisten nie stark und stabil genug sein könne, um Italien aus der Krise herauszuführen, in die es unter der jahrzehntelangen Herrschaft der Christdemokraten geraten war.

Darum sollten sich alle demokratischen Kräfte, allen voran DC und KPI, verbünden und eine Vielparteien-Regierung der nationalen Einheit bilden, die dann die tiefgreifenden Strukturreformen auch tatsächlich durchführen könne. Berlinquer nannte dies den »historischen Kompromiß«.

Das Konzept kam bei den DC-müden Wählern an: Im Juni 1976 erhielt die KPI 34,4 Prozent der Stimmen, fast ebensoviel wie die Christdemokraten, deren Regierung von nun an auf den parlamentarischen Goodwill ("Nicht-Mißtrauen") der KPI angewiesen war.

Für den rechten Flügel der Christdemokraten war eine regelrechte Koalition mit Kommunisten undenkbar. DC-Generalsekretär Benigno Zaccagnini befand: »Pluralismus ist für uns unvereinbar mit der kommunistischen Theorie und Praxis von der Vorherrschaft der Arbeiterklasse.«

Doch schon die Ende Juli 1976 gebildete Regierung Andreotti war auf die Stimmenthaltung der KPI angewiesen -- und somit auch weiteren Druckversuchen der auf Regierungsbeteiligung drängenden Kommunisten ausgesetzt.

Im Juli 1977 erzwang Berlinguer eine Programm-Absprache der DC mit Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikanern und, vor allem, mit der mächtigen KP: die erste Stufe des historischen Kompromisses. Erstmals besaß nun die KPI ein direktes Mitspracherecht bei Regierungsangelegenheiten.

Im März 1978 erklomm Berlinguer die nächste Stufe: Nachdem die KPI Andreotti im Januar gestürzt hatte, erlaubte sie ihm dann die Bildung einer neuen Regierung um den Preis erweiterter Mitspracherechte der KPI.

Aber auch die Kommunisten waren zu Konzessionen bereit: Sie akzeptierten Andreottis Spar-Politik zur Sanierung der Staatsfinanzen und zur Dämpfung der Inflation -- gegen ihre eigenen Gewerkschafter, die eine Verbesserung der Sozialleistungen, Steuerreformen und Kampf gegen Arbeitslosigkeit forderten. So mußte die KP-Führung ihr ganzes taktisches Geschick aufbieten, um die Parteilinke und die Gewerkschaftsfunktionäre auf der Kompromiß-Linie zu halten.

Damit freilich verhalf er dem Christdemokraten Andreotti zum Erfolg: Seit 1976 sank die Inflationsrate von 23 auf zwölf Prozent, die Währungsreserven stiegen auf. das Siebenfache an, die Zahl der durch Streiks verlorengegangenen Arbeitsstunden sank von 115 Millionen (1977) auf 69 Millionen (1978).

Dabei gelang es Andreotti, seine Bilanz als Erfolg der Christdemokraten darzustellen. Ihnen sei es gelungen, die Kommunisten von der direkten Regierungsbeteiligung fernzuhalten, belehrten Zaccagnini und Andreotti vergangenes Jahr etwa deutsche Parteikollegen von der CDU.

Andererseits konnten die Planer des historischen Kompromisses aus dem Schwebezustand, weder Oppositionsnoch Regierungspartei zu sein, keinen Nutzen ziehen. Bei der Vergabe von Ämtern, etwa für die Staats-Holdings In, Eni und Efim, wurden die Kommunisten übergangen, wichtige Reformen verschleppt.

Vor allem aber: Das Taktieren der Parteispitze mit den Christdemokraten verunsicherte die linken Stammwähler. Folge: Die Ultras links von der KPI hatten unter den Jugendlichen Zulauf -- und von rechts stießen keine neuen Mitglieder oder Wähler mehr zu den Kommunisten.

Spitzenfunktionäre gestanden ein, daß der alte Mitgliederbestand von 1,8 Millionen nur mit Mühe gehalten werden konnte. Und Meinungsumfragen signalisierten im Spätsommer 1978, daß die Zahl der mit der Kompromißpolitik unzufriedenen Parteigenossen von 20 Prozent (1976) auf über 30 Prozent angestiegen war.

Der sozialistische Parteichef Bettino Craxi startete zudem noch eine Kampagne gegen die KPI: Sie sei im Kern leninistisch geblieben und trage nur aus taktischen Gründen die bürgerliche Politik Andreottis mit.

Zur gleichen Zeit steckten Linksextremisten KPI-Büros in Brand, weil die Partei die Sache der Arbeiterklasse verraten habe und von »Berlingueriani« verseucht sei. Vorletzte Woche wurde erstmals ein kommunistischer Gewerkschaftsfunktionär, Guido Rossa, Opfer der »Roten Brigaden«.

Bei der Trauerfeier am 27. Januar in Genua stand Parteichef Berlinguer bleich im Regen, Hunderttausende waren gekommen, um Abschied zu nehmen. Staatspräsident Sandro Pertini legte dem toten Arbeiter einen Orden auf den Sarg -- Symbol für die Staatstreue der Kommunisten.

Am letzten Dienstag dann verkündete Alessandro Natta, Fraktionschef der Kommunisten im Abgeordnetenhaus: »Die Attentate zeigen, daß bei der Verteidigung der Republik und der demokratischen Institutionen ein Haufen Fehler gemacht wurde.«

Natta übte Selbstkritik. Am folgenden Tag erklärte KPI-Vorstandsmitglied Giancarlo Pajetta, parteiinterner Kritiker der Kompromiß-Linie: Wenn schon keine Regierungsbeteiligung erreicht werden könne, sei die Rückkehr in die Opposition das beste.

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