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GESELLSCHAFT Ein Lächeln AG

Einst wurden junge Amerikaner aus Überdruß an der kapitalistischen Leistungsgesellschaft Hippies. Heute werden immer mehr Hippies Kapitalisten.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Sie sind jung, schwärmen von »love«, verachten die Welt des »big business« - und sind zugleich erfolgreiche Unternehmer. Sie sind die neuen Hippies, die weder Marihuana noch harte Arbeit verschmähen.

Verblüfft beobachtet das amerikanische Unternehmer-Establishment, wie Hunderte der jahrelang als ungewaschene Taugenichtse verpönten Hippies ihre eigenen Unternehmungen starten

vor allem rund um San Francisco und New York. Die Neu-Unternehmer gaben ihren Firmen klangvolle Namen wie »A Smile Inc.«, »Hammock Master«. »Limbo«. »Emotional Outlet« oder »Mother Nature Inc.« (Ein Lächeln AG, Hängematten-Meister, Limbo, Gefühlsausbruch oder Mutter Natur AG).

Die Blumenkinder betreiben vor allem Boutiquen, Reformhäuser und geben Untergrundblätter heraus. Weitere Schwerpunkte des Hippie-Schaffens liegen im Kunsthandwerk (insbesondere Lederwaren und Schmuck), Film- und Musikgeschäft.

»Wir haben gelernt, in diesem System Geschäfte zu machen«, gesteht ein Hippie-Kapitalist ein. »aber das bedeutet noch lange nicht, daß uns der Kapitalismus gefällt.« Und Howard Stein, 28. Veranstalter von Rock-Festivals, hofft, daß »man ein Kapitalist sein kann, ohne dabei ein fettes Kapitalistenschwein zu werden«.

Der Jung-Manager. der an Konzerten mit Jimi Hendrix, Janis Joplin. den Rolling Stones und anderen Pop-Stars ein Vermögen verdiente, beteuert: »Ich würde das Geld. das ich am Rock verdiene, beispielsweise nicht bei (dem einstigen Napalm-Produzenten) Dow Chemical anlegen. Meine Konzerte brauchen nicht wie diese Firma von bewaffneten Schutzleuten bewacht zu werden. Und ich würde nicht zwanzig Dollar Eintritt für ein Rockfestival verlangen. wo die jungen Leute sieben Kilometer von der Bühne entfernt sitten müssen, Ich achte die jungen Leute, die mir mein Geld einbringen. Das meine ich mit »kein Kapitalistenschwein seins.«

Für den Rock-Unternehmer, dem es Spaß macht, mit Afro-Haarschnitt, Hippie-Kluft und chauffeurgesteuertem Cadillac biedere Bürger zu schocken, »ist Geld ein Werkzeug. Ich wünsche es mir, damit es mir Freiheit gibt«.

Wie Stein denken viele Jungunternehmer. Sie ersetzen das strenge Boß-Angestellten-Verhältnis durch Freundschaft zu ihren Mitarbeitern und überlassen ihnen weitgehend die Wahl ihrer Arbeitszeit. Das übliche amerikanische Business-Motto des »fast buck« -- des schnellen Dollar -- ist bei ihnen verpönt.

»Der wahre Hippie-Kapitalist' erläutert Baron Wolman, Herausgeber des jungen Modemagazins »Rags« (Lumpen), »möchte zwar nicht gerade Geld verlieren, aber er legt Wert auf die Art und Weise, wie er Profit macht. Wolman ist mit seinem im vergangenen Jahr gegründeten Blatt noch nicht aus den roten Zahlen heraus; doch er nimmt nur Anzeigen auf, die den Kunden über Preis und Qualität des Produkts korrekt informieren.

Viele Hippie-Unternehmer ziehen aus einem Geschmackswandel innerhalb der Käuferschicht wohlhabender Jugendlicher Gewinn: Diese bevorzugen statt der üblichen. Massenwaren immer stärker handwerkliche Produkte wie handgefertigte Silber- und Lederwaren.

Schmuck aus der Silberschmiede Designers Three in Charlestown (US-Bundesstaat Massachusetts) findet sogar so reißenden Absatz, daß Firmeninhaber Allan Kueny seinen Angestellten einen zweimonatigen Jahresurlaub gewähren kann. Kuenys Silberketten gehen nicht nur bei jugendlichen Boutique-Kunden; auch die Verkaufsmanager großer Warenhäuser wie Bergdorf Goodman und Brentano"s in New York nahmen den Hippie-Schmuck in ihr Sortiment auf.

Zurück zur Natur führen findige Hippie-Kapitalisten ihre Kunden mit Reformhaus-Produkten« die bereits »die Urgroßmutter zu essen pflegte« ("Time"). In den USA einst als Einkaufstätten schrulliger Einwanderer verlacht, haben im vergangenen Jahr 2500 Reformhäuser -- mit so klangvollen Namen wie »Gute Erde«, »Weltgesundheitszentrum« oder »Mutter Natur« -- 200 Millionen Dollar umgesetzt.

Hinter dem Erfolg der meisten Hippie- Unternehmer steht allerdings harte Arbeit. »Jeder, der behauptet, es sei leicht, eine Million Dollar zu machen, lügt«, erklärt Stan Buchthal, 23, der seine Unternehmer-Karriere in der für extrem harte Arbeitsbedingungen bekannten N ew Yorker Bekleidungsbranche begann.

Heute besitzt der langmähnige Selfmademan vier Betriebe, in denen Jeans, T-Shirts und Hot Pants hergestellt werden, und setzt mit seiner Firma »A Smile Inc,« in diesem Jahr voraussichtlich drei Millionen Dollar um.

Konzertmanager Stein arbeitet sieben Tage in der Woche und kann sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal Urlaub nahm. Und Filmproduzent Dennis Friedland, 27, bekennt: »Es ist verrückt, wie hart wir arbeiten.«

Friedland und Kompagnon Chris Dewey, der früher einmal Boote für Garnelenfischer baute, sind Eigentümer der Filmgesellschaft Cannon Group Films. Sie brachten das Kunststück fertig, mit jedem ihrer 20 Filme Gewinn zu erzielen. Ihr Hippie-Film »Joe« wurde sogar ein Kassenschlager.

»Es macht uns Spaß«, begründet Friedland den Arbeitseifer. »Wir freuen uns besonders über das Gefühl der Macht und Erfüllung, das uns ein eigenes Unternehmen gibt.«

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