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HAMBURG Ein Nebbich

Ein Lehrer trug einen Anti-Atomkraft-Knopf am Revers -- unerträglich für Hamburgs Christ- und Sozialdemokraten.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Die Zeichen, scheint es, stehen schlimm. Die Hamburger FDP-Fraktionschefin Maja Stadler-Euler ist »alarmiert«, weil sie an den hansestädtischen Schulen eine ·,Bedrohung der Meinungsfreiheit« ausgemacht hat, ihr Vize Gerhard Weber befürchtet eine »neue Zensur«.

Christdemokrat Hartmut Engels entdeckte »politische Propaganda« und »Agitation«, SPD-Fraktionsführer Ulrich Hartmann, außer Rand und Band, sorgte sich gar, in den Schulklassen könnten »wie 1933 Braunhemden erscheinen«. Und Schulsenator Günter Apel, SPD, dräute mehrmals: »Wehret den Anfängen.«

Das alberne All-Parteien-Lamento. das da vergangene Woche im Hamburger Landesparlament (Bürgerschaft) allen Ernstes angestimmt wurde, galt dem gleichen Vorgang, verfolgte jedoch nicht denselben Zweck. Und wieder einmal herrschte Zwietracht in der sozialliberalen Stadtstaat-Koalition.

Dabei ging es, wie sich ein FDP-Senator heimlich mokierte, um »ein Nebbich": Die liberale Bürgerschaftsfraktion -- anders als ihre Senatoren, die sich auf die Seite der SPD-Regierungskollegen geschlagen hatten -- stritt gegen Sozial- und Christdemokraten um die »äußere Form der Kundgabe einer politischen Auffassung« (Senatstext).

Der Anlaß war so nebbich wie der Streit: ein »Bonbon im Knopfloch« (Apel), ein Button mit roter Sonne auf gelbem Grund und der Mitteilung »Atomkraft, nein danke« -- getragen am Revers von Lehrer Hans Müller-Hepe an der Hamburger Gewerbeschule Wendenstraße. Als Müller-Hepe damit aufkreuzte« verbot der Schulleiter das Tragen des Abzeichens.

Der betroffene Lehrer beschwerte sich bei seiner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die wandte sich Ende Juni an die Schulbehörde. Dann erschienen, so Leitender Regierungsdirektor Udo Franck von der Behörden-Rechtsabteilung, »Anti-Atomkraft-Schmierereien am Schulgebäude«, und schließlich wurde »die ganze Sache so hochgejubelt«, daß die Schulbehörde, kurzerhand, Lehrern das Tragen von Anti-Atomkraft-Plaketten »an allen Schulen« verbot.

Unter Berufung auf Paragraph 56 des Hamburgischen Beamtengesetzes* griff der Stadtstaat damit in einen lange schwelenden Streit ein, der besonders zur Bundestagswahl 1976 Amtsstuben wie Gerichte in Bewegung gebracht hatte. Und am Ende war die Verwirrung nicht geringer als zu Beginn.

Ein Arbeitsgericht etwa entschied. daß es kein Entlassungsgrund sei, wenn eine Angestellte mit einem Wahlaufkleber am Auto auf dem firmeneigenen Parkplatz erschiene. Die damalige rhein-pfälzische Kultusstaatssekretärin Hanna-Renate Launen beschied die Schulbehörden, »Bedienstete des Landes« dürften Aufkleber »nach eigenem Ermessen« an ihre Fahrzeuge pappen, »Anstecknadeln o. ä. mit parteipolitischer Werbung« aber »in Ausübung des Dienstes nicht« tragen.

In Baden-Württemberg wiederum urteilte der Verwaltungsgerichtshof, Plakettentragen verstoße nicht gegen die Schulordnung: Die Schule komme ihrem Erziehungsauftrag nicht nach, wenn sie es versäume, die Schüler auf die »Situation des mündigen Bürgers im demokratischen und pluralistischen Meinungskampf« vorzubereiten.

Hamburgs Senat hat wieder einmal, wie etwa schon beim Radikalen-Erlaß, die Rolle des Musterschülers im Bund gespielt -- was die streitbare Liberale Stadler-Euler besonders erbittert.

Überdies argwöhnt die Politikerin, daß hier weniger juristische Bedenken als politische Ziele im Spiel seien: Es gehe »nicht um die dußligen Atom-Plaketten«, sondern darum, Gegner des auch von Hamburg getragenen Energieprogramms mundtot zu machen. Wie anders sei es sonst zu erklären, daß niemand gegen Gewerkschaftsplaketten, Paragraph-218-Buttons oder das Brandenburger Tor am Revers mit gleicher Energie eingeschritten sei?

Die Hamburger GEW ist über das Stadium des Theoretisierens indessen schon hinaus und hält für Plaketten-Fans praktische Winke bereit: Werde das Ablegen des Knopfes befohlen, so mache der Betroffene darauf aufmerksam, (laß es sich dabei um einen Verwaltungsakt handeln müsse. Widerspruch gegen Verwaltungsakte aber habe aufschiebende Wirkung.

GEW-Rat: »Der Kollege wird sich nicht »entwaffnen« lassen und die Plakette weiter tragen.«

* »Der Beamte hat bei politischer Betätigung das Maß und die Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben.«

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