Abgeordnete Ein paar Knackpunkte
Unter den Politikern des Thüringer Landtages herrschte wochenlang die blanke Not. Weil es kein Abgeordnetengesetz und damit keine Diätenregelung gab, erhielten die Parlamentarier keinen Pfennig.
Als einige Abgeordnete, nach der Wende ohne anderweitige Arbeit und Einkünfte, klagten, sie könnten ihre Familien nicht mehr ernähren, half der Ältestenrat mit Notgroschen. Im Januar, ein Vierteljahr nach den Landtagswahlen, bekamen die Volksvertreter eine Abschlagzahlung von 500 Mark.
Nun hat die Not ein Ende. Seit wenigen Tagen gilt im nahezu bankrotten Thüringen ein Gesetz, mit dem sich die Volksvertreter beispiellose Pfründen sicherten.
Die üppige Selbstbedienung der Abgeordneten war getarnt als Bescheidenheit. In Absprache mit den anderen neuen Ländern, erläuterte der christdemokratische Landtagspräsident Gottfried Müller das Gesetz, habe das Parlament sich etwa die Hälfte von dem zugestanden, was in den alten Bundesländern üblich sei. Müller, Medienminister der letzten DDR-Regierung: »Damit haben wir dem Einkommensunterschied zwischen den alten und den neuen Bundesländern Rechnung getragen.«
Die Rechnung stimmt allenfalls für die Höhe der steuerpflichtigen monatlichen »Grundentschädigung«. Die ist mit 3500 Mark relativ bescheiden - Kollegen in Bayern bekommen beispielsweise 8300 Mark.
Doch das Sümmchen lassen sich die cleveren Thüringer, als wär's ein Gehalt, anders als alle ihre Kollegen in Bund und Ländern 13mal im Jahr auszahlen. Die benachbarten Sachsen bescheiden sich, zum Vergleich, mit 12mal 3200 Mark.
Das ist nicht alles. Reichlich bediente sich das Parlament in Erfurt bei der steuerfreien Aufwandsentschädigung. Je nach Entfernung des Wohnortes vom Sitz des Landtags streicht jeder Parlamentarier noch einmal zwischen 2300 und 2700 Mark ein.
Hinzu kommen 2100 Mark für die Beschäftigung von persönlichen Mitarbeitern zuzüglich der »üblichen weiteren Arbeitgeberaufwendungen«. Eine Erfurter Spezialität sind auch jene 5000 Mark, die jeder Abgeordnete in jeder Wahlperiode für eine Bürogrundausstattung geltend machen kann.
Solche Dreingaben müssen die Abgeordneten aus den vier anderen neuen Ländern vor Neid erblassen lassen. So summieren sich Kosten- und Mitarbeiterpauschalen zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern auf 3750 Mark und in Sachsen gar nur auf 3000 Mark.
Einmal beim Nehmen, verlor Müllers Landtag bei der Versorgung seiner Amts- und Funktionsträger jedes Augenmaß. So erhalten als Zuschlag *___der Präsident und die Fraktionsvorsitzenden noch mal ____100 Prozent der Grundentschädigung, *___die Vizepräsidenten und je ein Parlamentarischer ____Geschäftsführer jeder Fraktion 70 Prozent, *___die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden und die ____Ausschußvorsitzenden 40 Prozent.
Soweit gehen selbst die meisten reichen West-Parlamente nicht. Dort verfügen nur die Präsidenten und ihre Stellvertreter über zusätzliche Grunddiäten. Allein Hessen und Schleswig-Holstein zahlen einigen Funktionsträgern ein Zubrot.
Den Erfurter Parlamentariern ist vor dem Zorn ihrer meist in sozialer Not lebenden Wähler nicht bange. »Wir waren uns zwar darüber im klaren, daß da ein paar Knackpunkte sind«, gibt Landtagspräsident Müller zu, aber schließlich »ist das ja auch eine Menge, was die Abgeordneten leisten müssen«.
Sein sozialdemokratischer Vize Peter Friedrich sekundiert: »Da ist nichts verfassungs- oder sittenwidrig.« Viele der Abgeordneten, so rechtfertigt der Genosse den Griff in die Kasse, hätten mit 45 oder 50 Jahren ihren Beruf aufgegeben: »Da haben wir doch auch eine Obhutspflicht.«
Doch gegen die große Diäten-Koalition rührt sich nun Widerstand. Gegen die »Unverschämtheit« (Bund der Steuerzahler) will die Fraktion der Grünen/ Neues Forum Verfassungsklage erheben. Für Siegfried Geißler, 61, Neues-Forum-Abgeordneter und Alterspräsident, ist die Regelung »an Unanständigkeit« kaum zu überbieten.
Die Kritiker des neuen Gesetzes können auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 verweisen. Die Richter verboten ein für allemal »gestaffelte Diäten für Abgeordnete mit besonderen parlamentarischen Funktionen«.
Der Erfurter Landtagspräsident sieht sich dagegen auf der sicheren Seite. Das Gesetz sei in enger Zusammenarbeit mit West-Beratern entstanden. Dabei habe der Thüringer Sonderminister Jochen Lengemann (CDU) ein »entscheidendes Wort mitgeredet«.
Der Berater aus Hessen hat viel Erfahrung mit der Finanzierung von Abgeordneten. Lengemann war es, der als hessischer Landtagspräsident vor drei Jahren versuchte, mit einer Diätenregelung die Wiesbadener Landtagsabgeordneten sogar besser zu stellen als die Bundestagsmitglieder.
Nach einem Sturm öffentlicher Entrüstung wurde das hessische Gesetz wieder aufgehoben. Lengemann mußte als Landtagspräsident zurücktreten. o