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EIN SCHMALES STÜCK RASEN

aus DER SPIEGEL 6/1965

Der Rest ist Schweigen: ein schmaler Streifen derben Rasens auf einem Dorfkirchhof, der an alte Filme erinnert, in denen es umgeht. Ein karger Flecken nahebei, Bladon, mit 750 Seelen und gerade zwei Kneipen, »White Horse« und »Lamb«. Eine Bahnstation knapp zwei Kilometer weiter, »Handborough for Blenheim«, mit grünen Hecken drumherum und Blumenrabatten auf

dem Bahnsteig, aber ohne elektrisches Licht bis heute und für immer; denn die Station wird geschlossen. Blenheim Palace, der nahe Herrensitz der Herzöge von Marlborough, deren Geschlecht die Spencer-Churchills entstammen, braucht die Eisenbahn nicht mehr.

Hier in Oxfordshire begraben zu sein, nicht in Westminster Abbey

oder St. Paul's, war Winston Churchills Order spätestens seit 1956. In jenem Jahr rief er aus Blenheim Palace den weiland Vikar von Bladon, den Kanonikus Pickles, an - »Sie treffen mich nach dem Lunch auf dem Friedhof« - und bezeichnete ihm den gewünschten Ruheplatz in einer Reihe mit Vater, Mutter und Bruder, zur Rechten des Pfades, nahe der Kirchmauer von St. Martin.

Die Dörfler aber werden verlegen, wenn das Thema aufkommt. Der Kanonikus Pickles ist tot; und Arthur Newman, der Totengräber, der Sir Winstons Order noch aus eigener Anschauung kennt, hat sich vorgenommen, den Mund zu halten: »Wir reden lieber nicht davon.«

Denn jener Platz in der Familienreihe, den offenbar Sir Winston sich zur Ruhestatt wählte, ist seit ein paar Wochen besetzt. Dort liegt die sterbliche Hülle der lieblichen Consuelo Vanderbilt, der neunten Herzogin von Marlborough. Alles was sie aus dem fernen Amerika hat heimkehren lassen, war der Wunsch, neben ihrem Sohn Ivor Charles Spencer-Churchill begraben zu sein. Statt dessen aber hat man sie zu des Sohnes Füßen gebettet - auf Winston Churchills reservierten Platz. Und so ist nun nichts anderes übriggeblieben, als Sir Winiston den Wunschplatz der Herzogin zu geben - das Grab neben Ivor Charles. Wie er den Tausch gefunden hätte, weiß man nicht denn er hat nie davon erfahren.

So mündet der Staatsakt im Ungewissen, so endet der monumentale Trauermarsch, den alle Welt vernahm, im taktvollen . Verstummen der Bürger von Bladon, Oxfordshire. Am Beginn des Leichenzugs eine pedantische, bruchteilgenaue Generalstabsarbeit: Gesamtlänge 1394 Yards, Vorbeimarschzeit an jedem gegebenen Punkt 25,7 Minuten; die »Trauernden zu Fuß« eingeteilt in die Kategorien A, B, C und D. Am Ende dann aber ein verblüffend schmales, wie aus Versehen frei gebliebenes Rasenstück zu Häupten der mütterlichen Ruhestatt, von dem man mit Sicherheit nicht sagen kann, ob es das gewünschte sei.

Auf dem Kirchhof von Bladon also ruht der große Mann; fast unterscheidungslos unter den Adams und Merrys und Partletts und Hopkins, von denen kein Geschichtsbuch weiß.

Einer seiner Nachbarn im Tode, der »Gent« William Hopkins, hat 1692 auf seinen Grabstein schreiben lassen:

Leser, wirf Dein Aug' auf mich,

So wie Du dort, stand auch ich.

Doch heischt' der Tod sein Teil von mir,

Ich hab's bezahlt. So geht's auch Dir.

Das ist nun auch des Feldherrn, des Weltbewegers, des Nobelpreisträgers letzter Sinn. Der Rest ist Schweigen.

Kirchhof von Bladon*: Ende im Ungewissen

* Vorn Mitte: Sir Winstons Grabplatz. Rechts daneben das Grab von Ivor Charles Churchill. Dahinter (von links) die Gräber des Vaters, der Mutter und des Bruders von Sir Winston.

Hermann Schreiber
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