»EIN SHOWMAN A LA JAMES BOND«
George Blake, der am 21. Oktober aus dem Wormwoods-Scrubs-Gefängnis in London entfloh, gilt als der gefährlichste Spion der britischen Nachkriegsgeschichte. Die Bedeutung Blakes beschrieb der britische Journalist Norman Lucas in seinem Buch »Die Sowjet-Spionage«, dem folgender Auszug entnommen ist*.
Am Ostermontag, dem 3. April 1961, landete auf dem Londoner Flughafen eine BOAC-Maschine des Typs Comet. Strammen Schrittes ging ein bärtiger Dreißiger quer über die Landepiste, mit einem Regenmantel über dem linken Arm und einer Aktenmappe in der rechten Hand. Am nächsten Tag sollte er sich zur Besprechung im Foreign Office melden, bei »Mr. J«, dem Leiter des Geheimdienstes MI 6, dem Mann, der alle Auslandseinsätze britischer Agenten kontrolliert.
Sicherlich war der achtunddreißigjährige George Blake, von 1944 bis 1947 Abwehroffizier der Royal Navy und seit 1948 Geheimagent, sehr gespannt, weshalb ihn ein Funkspruch aus London vom Nahost-College für Arabistik in Beirut, wo er studierte, nach Großbritannien zurückbeordert hatte.
George Blake war gewiß nicht auf den Empfang vorbereitet, der ihn erwartete. J's Sekretärin wies ihn ins Büro des Chefs. Dort fand Blake den Leiter von MI 6 am Schreibtisch und zwei Unbekannte.
Einer dieser beiden, ein Mann an die Vierzig, hatte blondes Haar, einen blonden Schnurrbart und durchdringende blaue Augen; der andere war etwas älter, hatte dunkles Haar und dunkle Augen und einen nicht weniger scharfen Blick als der Blonde. Eine sonderbare Spannung erfüllte den Raum. Drei strenge Männergesichter musterten Blake. J blieb regungslos sitzen, ohne dem Eingetretenen die Hand zu reichen. Dann gaben die zwei Fremden sich zu erkennen. Der Blonde war Detective Chief Inspector Ferguson Smith, der andere Detective Superintendent Louis Gale, beide von Scotland Yard.
Eine schwere Mahagonitür verhinderte, daß die Sekretärin im Vorzimmer
das kurze Gespräch hörte, in dessen Verlauf Blake des Verrates an Großbritannien und seinen Alliierten beschuldigt wurde. Er machte keinen Einwand, als ihm Smith und Gale eröffneten, daß er im Auto in die Polizeistation in der Bow Street gebracht und dort in aller Form verhaftet werden würde.
Kein einziger Polizeibeamter in der Bow Street wußte an jenem Nachmittag etwas von der Einlieferung. Das Auto fuhr in den letzten Hof beim Hintertrakt des Gebäudes, und Blake wurde direkt in das Privatbüro des Londoner Hauptfriedensrichters, Sir Robert Blundell, geführt. Dieser wußte bereits Bescheid und hatte seine Termine so eingeteilt, daß er nach den Routineverhandlungen des Tages noch Zeit erübrigte, um Blake sofort zu verhören, wie das Gesetz es befahl.
Bei verschlossenen Türen sagte Superintendent Gale: »George Blake, ich beschuldige Sie, zwischen dem 14. April 1955 und dem 3. April 1959, ferner zwischen Mai und Juni 1959 und zwischen Juni 1959 und September 1960 zum Schaden der Sicherheit und der Interessen des Staates, unter Verletzung des Paragraphen 1 der Bestimmungen zum Schutz von Staatsgeheimnissen,
erlassen im Jahre 1911, anderen Personen Informationen gegeben zu haben, die direkt oder indirekt einer feindlichen Macht nützlich sein können.«
Einige Sekunden herrschte Totenstille. Dann teilte Sir Robert Blundell dem Untersuchungshäftling mit, daß er eine Woche lang in Haft bleibe.
Blakes Abtransport ging ebenso geheim vor sich wie seine Einlieferung, und die Meldung von der Verhaftung tauchte nicht im Protokollbuch auf, einem Verzeichnis, das bei allen Polizeistationen dazu dient, während des vierundzwanzigstündigen Dienstturnus jeden Vorfall zu registrieren.
Am 22. April gab Sir Robert Blundell eine knappe, in dürren Worten gehaltene Erklärung an die Zeitungen weiter. Darin wurde mitgeteilt, daß George Blake, ein Staatsbeamter, wegen Verstöße gegen die Bestimmungen zum Schutz von Staatsgeheimnissen im Old Bailey vor Gericht gestellt werden würde. Die Vorlage des Belastungsmaterials erfolge unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Am 3. Mai 1961, um 10 Uhr, saß Blake auf derselben Anklagebank, auf der einige Wochen vorher die Mitglieder des Portlandringes, einer sowjetischen Spionage-Organisation unter Leitung des Super-Agenten Lonsdale, gesessen hatten. Wieder einmal war die Bühne bereitet für einen Sensationsprozeß im Gerichtssaal Nr. 1 des Zentralen Kriminalgerichts. Blake hatte sich den Bart abrasiert.
In dunkelgrauem Anzug, mit kariertem Hemd und dunkelblauer getupfter Krawatte, stand er aufrecht da, während der Schriftführer die Anklage verlas, die fünf Punkte umfaßte und ihm vorwarf, daß er zu einem die Interessen und die Sicherheit des Staates gefährdenden Zweck einer anderen Person Informationen gegeben habe, die für eine feindliche Macht von Nutzen sein konnten.
Als er gefragt wurde, ob er sich schuldig oder nichtschuldig bekenne, neigte Blake leicht den Kopf und erwiderte beinahe im Flüsterton: »Schuldig, Sir.«
Durch dieses Bekenntnis war jede Aussicht auf einen dramatischen Prozeßverlauf geschwunden.
Nun forderte der Lordoberrichter von England, Lord Parker, den Generalstaatsanwalt, Sir Reginald Mannigham -Buller, auf, sein Plädoyer zu halten.
Sir Reginald, 1,80 Meter groß und breitschultrig, erhob sich und ordnete mit einem kurzen Griff die Falten seines Talars. Das Manuskript in der Linken, blickte er über den Brillenrand zuerst den Angeklagten« dann Lord Parker an. Langsam und fast mit Grabesstimme sagte er: »Die Anklagen, deren sich der Angeklagte soeben schuldig bekannte, sind sehr schwerwiegerid.
»Ich darf in der Öffentlichkeit die Informationen, die er auslieferte, nicht präzisieren, aber in seinem Geständnis spricht er offen aus: 'Ich muß freimütig zugeben, daß ich jedes Dokument von einiger Wichtigkeit, zu dem ich Zugang hatte, an meinen sowjetischen Kontaktmann weiterleitete.'«
Sir Reginald machte eine Pause, sah wiederum Blake an, musterte die Reihen der Zuhörer im Gerichtssaal, warf dem Lordoberrichter einien Blick zu und sagte langsam und voll Bedacht: SUnd er hatte Zugang zu Informationen von sehr großer Wichtigkeit. Zwar verschafften ihm, obwohl er leitende Stellungen bekleidete, seine Positionen glücklicherweise keinen Zugang zu irgendwelchen Dokumenten über Geheimwaffen oder Atomenergie, doch
bleibt die Tatsache bestehen, daß er sich sehr schwer gegen die Interessen, seines Landes verging.«
Nachdem Sir Reginald das Plädoyer der Anklage gehalten und Kronanwalt Jeremy Hutchinson die Möglichkeit erhalten hatte, mildernde Umstände geltend zu machen, verkündete Lordoberrichter Parker das Urteil:
Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene, persönliche Überzeugung, doch in Ihrem Fall ergibt sich der belastende Umstand, daß Sie nicht quittierten - Sie blieben im Dienst, in Vertrauensstellungen; um Ihr Vaterland zu verraten.
»Sie stehen im 39. Lebensjahr und müssen sich der Schwere der Verbrechen bewußt sein, deren Sie sich schuldig bekannten. In vielen anderen Ländern würden Ihre Handlungen zweifellos mit dem Tode bestraft werden. Nach unserem Gesetz aber habe ich keine andere Möglichkeit, als Sie zu einer Kerkerstrafe zu verurteilen, und in Anbetracht Ihrer hochverräterischen Umtriebe, die sich über einen so langen Zeitraum erstreckten, muß das Urteil sehr streng ausfallen.
»Für ein einziges Verbrechen dieser Art ist die Höchststrafe mit 14 Jahren Zuchthaus bemessen, deshalb kann Sie das Gericht nicht zu lebenslänglichem Freiheitsentzug verurteilen, selbst wenn es wollte. Doch es gibt fünf Anklagepunkte, deren Sie sich schuldig bekannten, jeder betrifft eine gesonderte Periode Ihres Lebens, während,der Sie Verrat an Ihrem Vaterland übten.
»Das Gericht verurteilt Sie in allen fünf Punkten der Anklage zu je 14 Jahren Zuchthaus. Die Strafen, die sich auf die Punkte 1, 2 und 3 beziehen, werden aufeinanderfolgen, die auf die Punkte 4 und 5 bezogenen werden in diese eingerechnet, so daß sich eine Gesamtstrafe in der Höhe von 42 Jahren Zuchthaus ergibt.«
Blake schwankte leicht, und ein Raunen lief durch den Gerichtssaal, als Lord Parker die höchste Kerkerstrafe verkündet hatte, die je in der englischen Rechtsgeschichte verhängt worden war. Benommen, von einem Justizbeamten am Arm gestützt, wandte sich Blake um und ging die Stufen hinunter, von der Anklagebank zu den Zellen unter dem Gerichtssaal. So endete der geheimste Spionageprozeß, der in Großbritannien zu Friedenszeiten stattfand.
Welche Ereignisse waren es nun, die Blake ins Old Balley brachten? Welche Rolle spielte er Im Gewirr des internationalen Spionagenetzes?
Blake hieß eigentlich George Behar und war der Sohn von Albert Behar, dem Abkömmling einer alten, geachteten Judenfamilie, der britischer Staatsbürger war und mit einigem Erfolg ein Geschäft in Rotterdam betrieb. Verheiratet war Albert mit Katharina Beijderwellen, einer attraktiven Holländerin aus gutem Haus. George war eines von drei Kindern, die Halbwaisen wurden, als Albert Behar 1936 starb. Der Verstorbene hatte für seine Familie gut vorgesorgt, und George konnte eine höhere Schule in Den Haag besuchen.
Später verbrachte er einige Zeit bei Verwandten in Kairo und ging dort auf die Englische Schule. In Rotterdam machte er dann sein Abitur. Als die Deutschen im Mai 1940 Holland schlagartig besetzten, wurde George verhaftet und interniert; seine Mutter und seine beiden Schwestern flohen auf einem britischen Schiff aus dem Land.
Bald darauf brach auch George aus, und obwohl er erst 18 Jahre alt War, wurde er einer der Führer der Widerstandsbewegung. Er setzte sich furchtlos und unermüdlich ein und nahm an vielen Aktionen der Untergrundkämpfer teil, bevor ihn das Kesseltreiben der Gestapo zur Flucht, zwang. Nach einer gefährlichen Reise durch Frankreich und Spanien gelangte er im Frühjahr 1943 nach London; wo ihn seine Mutter und seine Schwestern erwarteten.
Einige Monate später meldete er sich freiwillig als gewöhnlicher Matrose zur Royal Navy. Immer wieder bat er um seine Versetzung zur Abwehr, wo er seine Erfahrungen aus dem Partisanenkampf besser verwerten konnte.
Als er seine Überstellung erreichte, holte ihn bald darauf die niederländische Gruppe eines Kommandos für Sondereinsätze in ihr Londoner Hauptquartier. Dort machte er die Spezialausbildung des Geheimdienstes durch und war bald ein Allround-Agent, der jeden Auftrag durchführen konnte.
1944 wurde George Blake-Behar dem Oberkommando der alliierten Invasionstruppen als Dolmetscher zugeteilt. Als Sub-Lieutenant der Reserve in der Royal Navy kam er'sechs Wochen nach der Landung in der Normandie wieder
auf den Kontinent zurück. Nach der deutschen Kapitulation in Lüneburg wurde er nach Hamburg versetzt, zum Leutnant befördert und kurz darauf zum Kommandeur einer Abwehreinheit der Royal Navy ernannt.
Die nächsten Monate verbrachte er damit, Offiziere der deutschen Kriegsmarine zu verhören und Beweise gegen U-Boot-Kommandeure zu sammeln, die im Verdacht standen, Kriegsverbrechen begangen zu haben, und gegebenenfalls in Nürnberg vor Gericht gestellt werden sollten.
Blake und seine Kameraden ahnten wahrscheinlich nicht, daß schon damals die Fühler von Berijas Spionagezentrum bis in die Ruinenlandschaft deutscher Städte wie Hamburg reichten. Funktionäre der roten Geheimdienstorganisationen waren bereits am Werk, um Deutsche als Spione für das kommunistische Netz anzuwerben - Spione, die nun gegen'die Briten und Amerikaner arbeiten sollten.
Heute tauchen in Deutschland, aus Ost und West kommend, jährlich mehr als tausend Agenten auf. Unter ihnen gibt es eine große Anzahl von Doppelagenten, von Männern, die mit dem Tod spielen, weil sie politische Fanatiker sind oder nach den hohen Summen gieren, die man durch den Handel mit Geheimnissen verdienen kann. Sie schwimmen in den »Abwässern« der internationalen Spionage, wie es westliche Agenten nennen - Abwässer, die einige Jahre später auch Blake in ihren Strudel ziehen sollten.
Er und eine Reihe anderer Abwehroffiziere der Armee, der Royal Air Force und der Royal Navy waren nach ihrer Demobilisierung für den Zivildienst bei MI 6 vorgesehen. Dieser Zeitpunkt kam für Bläke im Frühjahr 1947, als er nach London versetzt würde. Nach einer Besprechung im Foreign Office nahm er einen Posten im Konsulardienst an, Vorbedingung dazu war die Absolvierung eines Russisch-Lehrgangs in Cambridge.
Blake wurde also Student des Downing College und bewältigte den vorgeschriebenen Lehrstoff spielend. Zu Ostern des folgenden Jahres hatte er sein Examen abgelegt, und bei seinem nächsten Besuch im Foreign Office teilte man ihm mit, daß er vor seiner Versetzung nach Übersee zuerst im Fernost -Departement arbeiten werde.
Im September desselben Jahres erfolgte seine offizielle Ernennung - zum Vizekonsul an der britischen Gesandtschaft in Seoul, Südkorea.
Blake war ein Showman. Er liebte es, die Rolle des romanhaften Geheimagenten à la James Bond zu spielen. In Deutschland hatte er seine Kameraden damit erheitert, daß er sich als Flüchtling oder abgerüsteter deutscher Landser verkleidete, um Informationen zu sammeln. Zweifellos hatte er sich eine bessere Position erhofft, aber er lebte sich gut ein, und es gelang ihm mit den Koreanern Kontakt zu finden.
Die ständig anwachsende kommunistische Infiltration Südkoreas durch die Sowjets und die Rotchinesen machte ihm viel zu schaffen. Er hatte sich mit zahlreichen Intellektuellen angefreundet und beteiligte sich häufig an politischen Diskussionen.
Der nordkoreanische Angriff auf Südkorea erfolgte am 25. Juni 1950, vier Tage später fiel Seoul in Feindeshand. Weitere sieben Tage danach wurden George Blake und seine Vorgesetzten - der britische Chargé d'affaires, der mittlerweile verstorbene Sir Vyvyan Holt, und Konsul Norman Owen - in einer Schule interniert. Erst im April 1953 wurden sie entlassen. Am 21. April kehrten sie nach England zurück.
Wie Blake bekannte, machte er im Herbst 1951 einen entscheidenden Wandel seiner politischen Überzeugung und seines Loyalitätsbegriffs durch und verschrieb sich dem Kommunismus. Die Gründe dieses radikalen Umschwungs sind ein Geheimnis. MI 6 stellte fest, daß Blake während der Internierung keiner Gehirnwäsche unterzogen worden war, und seine Kollegen sagten aus, daß sie an ihm keinerlei Anzeichen einer Veränderung bemerkt hätten.
Dennoch hatte er sich zu irgendeinem Zeitpunkt während seiner Haft den Sowjets in die Hand gegeben, und nachseiner Rückkehr nach England, wo er eine Junggesellenbude bewohnte, traf er einige Male mit einem Agenten aus der Sowjetbotschaft zusammen.
Als er nach einem ausgedehnten Erholungsurlaub seine Tätigkeit im Foreign Office wiederaufnahm, bekam er einen Posten in der MI 6-Zentrale. Von diesem Moment an war er einer der wichtigsten Zuträger, die sich je in den Fangschlingen des sowjetischen Spionagenetzes verstrickten.
Im Oktober 1954 heiratete der Einunddreißigjährige eine Sekretärin aus seiner Abteilung, Miß Gillian Allan, die schöne Tochter eines pensionierten Offiziers. In stillen Stunden mag sich Blake in seiner Stellung als Doppelagent und Gatte nicht sehr wohl gefühlt haben, besonders als er einige Monate später den Befehl erhielt, in den britischen Sektor West-Berlins zu übersiedeln, wo er der Leitung der dortigen MI 6 -Gruppe zugeteilt wurde. Das junge Paar bezog im Mai 1955 eine moderne Wohnung in Berlin W, in einem Block, der ausschließlich Offizieren und höheren Zivilbeamten vorbehalten war.
Ein Jahr später kam das erste Kind, ein Knabe, der Anthony getauft wurde. Blake schien seine meiste Freizeit mit seiner Frau und seinem kleinen Söhnchen zu verbringen. Er arbeitete bis spätabends in den Gebäuden des Olympiastadions, der britischen Kommandantur, und an manchen Abenden, an denen ihn seine Frau im Büro wähnte, war er mit Sowjetagenten verabredet. Er machte auch gerne allein Einkaufstouren in Ost-Berlin, und ganz bestimmt benützte er solche Ausflüge dazu, um Informationen weiterzugeben.
Während seiner zwielichtigen, riskanten Existenz als Doppelagent in dieser - seiner zweiten - Dienstperiode in Deutschland erkannte er rasch, wer einer der gefährlichsten Männer der Nachkriegsspionage war: Generalleutnant Reinhard Gehlen, unter Hitler Abwehrchef des deutschen Heeres. Nun hielt Adenauer schützend die Hand über ihn.
Gehlen war es, der nie müde wurde, die Gefahren des Kommunismus hervorzuheben und auf die Notwendigkeit äußerster Wachsamkeit hinzuweisen: er wollte verhindern, daß die Sowjets das westliche Sicherheitssystem mit ihren Agenten durchsetzen.
In seiner offiziellen Stellung war Blake gezwungen, Kontakt mit Agenten aus Gehlens Gruppe aufzunehmen, und 1956 traf er wiederholt mit Horst Eitner zusammen, einem Mann, den der Exgeneral für eine große und todsichere Nummer hielt.
Doch zu Beginn des Jahres 1959 entdeckte, jeder von beiden, Blake wie Eitner, daß der andere einen Januskopf hatte. Mit einem Wort: auch Eitner war ein Doppelagent wie Blake. Der bekam es nun mit der Angst zu tun, wegen seiner Frau und seines Kindes. Von Natur aus ein vorsichtiger Mensch, argwöhnte Blake, daß Eitners Mitwisserschaft die Sicherheit seiner Familie bedrohte. Doch wollte er Eitner nicht durch einen Bruch der Freundschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, vor den Kopf stoßen, deshalb ersuchte er die MI 6-Zentrale um seine Versetzung.
Nach einigen Monaten erhielt Blake die Weisung, samt Frau und Kind nach Beirut zu übersiedeln, um vor seinem Einsatz als Nahostagent am dortigen College für Arabistik zu studieren. Er nahm »mit Bedauern« von Eitner Abschied, der weiterhin sein Doppelspiel trieb - bis einer von Gehlens Gewährsleuten in der Ostzone die Meldung
durchgab, daß Eitner der Zentrale in Moskau Geheimberichte über die deutsche Abwehr geliefert habe.
Er wurde im Oktober 1960 verhaftet, am 30. November 1961 der Spionage angeklagt und zu drei Jahren Kerker verurteilt. Während der Monate vor, seinem Prozeß entschloß er sich auszupacken, und im Februar 1961 entlarvte er Blake als Doppelagenten. Seine Anschuldigungen wurden durch die Informationen eines Russen erhärtet, der als Doppelagent im Dienst der CIA stand.
Gehlen meldete den Fall Bundeskanzler Adenauer und der CIA. Vertreter Gehlens und der CIA begaben sich in die Berliner MI 6-Abteilung und brachten eine Kopie von Eitners eigenhändig unterschriebenem Geständnis mit. Die höheren MI 6-Beamten waren entsetzt. Sofort ging eine chiffrierte Meldung an die MI 6-Zentrale in London ab, mit der Erklärung, daß man befürchte; Blake habe andere britische und amerikanische Agenten im Ausland ans Messer geliefert. Blakes Vorgesetzte in Beirut wurden unverzüglich alarmiert, und man sorgte dafür, daß keine weiteren Geheimdokumente durch seine Hände gingen. Er sollte erst später zurückberufen werden.
Wenn in England ein Spion überführt ist, wird er niemals sofort verhaftet, damit seine Kontaktmänner ausfindig gemacht werden können und möglichst alle Mitglieder des Ringes - falls ein solcher besteht - in die Falle gehen.
MI 6 setzte sich mit 40 Agenten hinter dem Eisernen Vorhang in Verbindung und berief sie dringend nach London. 25 Mann gelang die Rückkehr. Das Schicksal der anderen 15 - nicht alle davon waren Briten - ist noch immer ungewiß.
Doch nach Blakes Verhaftung sollten noch weitere verräterische Handlungen aufgedeckt werden. Im April 1956 lud Oberst Iwan Kotsjuba, der Leiter der Informationsabteilung der Sowjetkommandantur in Ost-Berlin, Journalisten aus dem Osten und dem Westen zu einer Pressekonferenz ein und führte sie dann in die Vorstadt Alt-Glienicke, wo man ihnen ein mit Brettern verschaltes tiefes Loch im Boden zeigte. Unter den Augen der Reporter wurden die Bretter entfernt, und in einer Tiefe von fast acht Metern zeigte sich ein Tunnel, verstärkt durch zylindrische gußeiserne Rohre im Durchmesser von 1,80 Meter.
Die Journalisten wurden aufgefordert, in den Tunnel zu kriechen. Sie sahen, daß der Stollen - etwa in der Art eines Kaninchenbaues - zu einer Reihe von Kammern führte, voll mit elektronischen Geräten, die es ermöglichten, alle Gespräche innerhalb des Telephonnetzes der sowjetischen Geheimpolizeidienststellen aufzuzeichnen.
Westdeutsche Agenten meldeten MI 6, daß Blake dem sowjetischen Geheimdienst die Existenz dieses Tunnels verraten habe, der bis Rudow im amerikanischen Sektor Berlins reichte.
Blake richtete noch mehr Schaden an. Er wußte die Namen einer Anzahl von MI 6-Agenten, die in England ausgebildet worden waren und Deckposten für den Auslandseinsatz bekommen hatten. Die Liste dieser Namen samt Beschreibungen der Agenten hatte er einem sowjetischen Kontaktmann übergeben. Darauf wurde dieses ganze Konzept wertlos, und der britische Geheimdienst mußte schlimme Schlappen einstecken.
Für diesen Hochverrat erhielt der Spion niemals finanzielle Gegenleistungen.
Er schien sich der Schwere seiner Verbrechen nicht ganz bewußt zu sein, und man gelangt fast zwangsläufig zu dem Schluß, daß - wie bei den Überläufern Fuchs, Pontecorvo, Burgess und Maclean und bis zu einem gewissen Grad auch beim Atomspion Nunn May - ein blinder Glaube an den Kommunismus alle anderen normalen Erwägungen überschattete, und zwar in einem solchen Maß, daß Vernunft und Logik ausgeschaltet waren.
* Norman Lucas: Die Sowjet-Spionage«. Verlag Fritz Molden, Wien; 352 Seiten; 25 Mark.
Doppelagent Blake mit Bart
Im Büro des Chefs ...
Doppelagent Blake ohne Bart
... warteten zwei Detektive
Westlicher Spionagetunnel in Ost-Berlin
Von Blake verraten
Korea-Heimkehrer Blake (l.), Kameraden: Höchste Kerkerstrafe der englischen Geschichte
Deutscher GeheimdienstGeneral Gehlen
Die Engländer gewarnt
Gehlen Mitarbeiter Eitner
Die Sowjets beliefert