»Ein Überdenken hätte sicher nicht gereicht«
SPIEGEL: Herr Minister, was wollten Sie mit dem demonstrativen Abbruch Ihres Leipziger Messebesuchs erreichen?
FRIDERICHS: Ich bin nicht nach Leipzig gefahren, um zu demonstrieren. Ich wollte die Messe besuchen und über Fragen des innerdeutschen Handels und der Kooperation zwischen West- und ostdeutschen Firmen sprechen.
SPIEGEL: Sie waren privat in Weimar, als Sie erfuhren, daß die DDR drei bundesdeutsche Korrespondenten nicht für die Leipziger Messe zulassen wollte. Warum sind Sie nicht gleich wieder nach Hause gefahren?
FRIDERICHS: Von Weimar aus war zunächst einmal die Kommunikation mit meinen politischen Freunden nicht ganz einfach, Ich habe dann am Sonntagabend von dort mit Herrn Genscher telephoniert, und wir waren beide der Meinung, daß ich nach Leipzig fahren sollte, zumal da das Ergebnis der Demarche von Herrn Gaus bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht feststand, weil Herr Gaus nicht empfangen wurde.
SPIEGEL: Haben Sie dann in Leipzig spontan reagiert, oder hatten Sie von Anfang an vor, vorzeitig abzureisen?
FRIDERICHS: Ich habe mich in Leipzig, bevor das Gespräch mit DDR-Außenhandelsminister Sölle begann, natürlich mit Herrn Gaus beraten und mich informieren lassen über Inhalt und Verlauf seines Gesprächs mit Herrn Seidel (Leiter der für die Bundesrepublik zuständigen Abteilung im DDR-Außenministerium Red.). Ich habe dann mein Gespräch mit Herrn Sähe ja nicht mit der Feststellung begonnen, ich führe zurück, sondern ich habe die Demarche von Herrn Gaus wiederholt und gesagt. wenn die DDR bei ihrer Haltung bleibe, dann sähe ich mich gezwungen, meine Anwesenheit auf dieses Gespräch zu begrenzen. Das heißt: Wenn die DDR sich in diesem Gespräch in der Frage der Akkreditierung der drei Journalisten bewegt hätte, hätte es für mich eine Handlungsalternative gegeben. Das habe ich Herrn Sölle auch deutlich gemacht.
SPIEGEL: Hätte es ausgereicht, wenn Herr Sölle gesagt hätte: Wir überdenken die ganze Angelegenheit noch mal?
FRIDERICHS: Die Ankündigung eines Oberdenkens hätte sicher nicht gereicht.
SPIEGEL: Konnten Sie überhaupt davon ausgehen, daß die DDR ihre Entscheidung revidieren würde?
FRIDERICHS: Ich bin nach wie vor der Meinung, daß es doch ein bemerkenswerter Tatbestand ist, daß just zu der Messe, zu der zum erstenmal der zuständige Ressortminister der Bundesrepublik anreist, drei Berichterstatter westdeutscher Rundfunkanstalten ausgeschlossen werden. Und da war es müßig, zu spekulieren, wie sich die DDR verhält. Allerdings wußte ich nicht, daß überhaupt kein Bewegungsspielraum da war, wenngleich ich dies nach dem Gespräch mit Herrn Gaus befürchten mußte.
SPIEGEL: Hätten Sie nicht einfach Ihr Programm ändern können, indem Sie zum Beispiel die DDR-Stände beim Messe-Rundgang ausgelassen hätten?
FRIDERICHS: Das war eine mögliche Alternative. Es gab aber eine Reihe von Motiven, warum dies am Ende ausschied. Ich wollte auf gar keinen Fall eine überzogene Reaktion haben. Wir haben uns ja auch korrekt verabschiedet. Ich habe Herrn Behrendt, dem für den innerdeutschen Handel zuständigen Stellvertreter von Herrn Sölle, gesagt, daß ich damit rechne, ihn auf der Messe in Hannover zu sehen, und bin anschließend zurückgefahren, ohne mit meinen Erklärungen zu einer Verschärfung der Lage beizutragen.
SPIEGEL: Nun ist ja Ihr Auftritt, zufällig oder nicht, mit der Verweige-
* Mit Staatssekretär Günter Gaus (l.)
rung der Landeerlaubnis für ein DDR-Flugzeug zusammengetroffen, das SED-Funktionäre zum DKP-Parteitag bringen sollte. Beides sind Praktiken, die bisher nicht zum Stil der Bonner Deutschlandpolitik gehörten.
FRIDERICHS: Ich kann nur sagen, daß ich für die Landeerlaubnis nicht zuständig bin und auch nicht darauf hingewirkt habe, sie nicht zu erteilen.
SPIEGEL: Ihre Aktion wie auch das Landeverbot passen prächtig in eine Vorwahl-Landschaft, in der sich Regierung und Opposition in der Härte gegenüber kommunistischen Staaten offenbar gegenseitig übertreffen wollen.
FRIDERICHS: Ich ziehe mir diesen Schuh nicht an. Man sollte Außenpolitik einschließlich unserer Normalisierungspolitik gegenüber dem Ostblock nicht vor und nach Wahlkämpfen unterschiedlich betreiben. Nur, die Lage. in der ich mich in Leipzig befand. zwang zu einer schnellen Entscheidung und zu einer Entscheidung ohne jede Beratung mit denen, die in Bonn waren.
SPIEGEL: Sie handelten nicht auf höhere Weisung?
FRIDERICHS: Ich habe die Entscheidung aus mir heraus getroffen, habe sie dann in Bonn mitgeteilt und konnte feststellen, daß Kanzler und Vize-Kanzler sie richtig fanden.
SPIEGEL: Machte es sich da nicht ganz gut, daß zufällig auch noch ein CDU-Minister in Leipzig war, der wegen seiner guten Verbindungen zu Ihrer Partei, der FDP, bekannt ist?
FRIDERICHS: Herr Kiep war als niedersächsischer Landesminister dort. Und ich sehe hier auch keinen Zusammenhang. Meine Entscheidung wäre mit oder ohne Anwesenheit von Herrn Kiep dieselbe gewesen. Ich habe ihn ständig informiert, wie es unter Kollegen üblich ist. Ich habe ihm meine Überlegungen mitgeteilt, er uns die seinigen. Und wir sind zu gleichen Entschlüssen gekommen.
SPIEGEL: Die DDR, Herr Friderichs, wird wie kein anderer Handelspartner der Bundesrepublik privilegiert. Bonn gewährt Ost-Berlin beispielsweise einen zinslosen Kredit in Höhe von 850 Millionen Mark jährlich, und zum anderen ist die DDR, weil sie von uns nicht als Ausland betrachtet wird, heimliches EG-Mitglied und kann zollfrei und fast ohne Kontingentierung ihre Waren einführen. Ist diese Vorzugsbehandlung als politische Waffe einsetzbar?
FRIDERICHS: Dies steht derzeit nicht zur Diskussion. Und ich würde es auch bedauern, wenn die Entwicklung dazu führen würde, daß solche Überlegungen angestellt werden müßten.
SPIEGEL: Sie würden grundsätzlich nicht ausschließen, daß der DDR Privilegien genommen werden?
FRIDERICHS: Das ist eine hypothetische Frage, und man soll keine hypothetischen Antworten geben. Jedenfalls wäre abzuwägen, ob die damit verbundenen Nachteile nicht größer sind als momentane Vorteile.
SPIEGEL: Vorerst also sollen Geschäft und Politik getrennt bleiben?
FRIDERICHS: Wir haben immer versucht, den innerdeutschen Handel von politischen Implikationen freizuhalten, auch in einer Zeit, in der die DDR dauernd eine Politik der Nadelstiche betrieb. Auch in dieser Zeit konnte etwa die Treuhandstelle für den Interzonenhandel, die mir untersteht, ordentlich weiterarbeiten. Um so unverständlicher muß man eigentlich das jetzige Verhalten der DDR sehen. Denn das Gespräch mit Herrn Sölle und Herrn Behrendt war ja ein Gespräch im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Treuhandstelle. An meiner Seite war Staatssekretär Rohwedder, der jedes Jahr die Leipziger Messe besucht, dabei und Herr Rösch, der neue Leiter der Treuhandstelle.
SPIEGEL: Wird der innerdeutsche Handel durch Ihre Aktion nicht doch noch Schaden erleiden?
FRIDERICHS: Wir wollen das nicht. Meine Aktion war eine politische. Und aus der Tatsache, daß der Leiter der Treuhandstelle dort geblieben ist, um weiter zu verhandeln, geht unsere Einstellung auch hervor. Alles was Routine ist, soll laufen. Nur: Das, was dort an Politik gegen westdeutsche Journalisten gemacht worden ist, verlangt auch eine politische Antwort.
SPIEGEL: Also »business as usual«?
FRIDERICHS: Ja, wenn möglich. Allerdings könnte die Zeit der ganz großen Zuwachsraten ohnehin vorbei sein.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
FRIDERICHS: Nun, die DDR hat offenkundig wachsende Devisenschwierigkeiten.
SPIEGEL: Wie sieht es bei den anderen Staatshandelsländern aus?
FRIDERICHS: Ich bin der Meinung, daß das Wachstum unseres Osthandels, ich betone: das Wachstum, die Raten der letzten Jahre nicht auf Dauer zu halten sind. Ich hoffe, daß das Volumen insgesamt nicht nur bleibt, sondern weiter wächst.
SPIEGEL: Sie haben stets versucht, die politischen Voraussetzungen zu schaffen, damit das Ostgeschäft vorankommt. Müssen nicht solche Auftritte, wie jetzt in Leipzig, dieses Bild des Chef-Akquisiteurs der deutschen Wirtschaft in Osteuropa schädigen?
FRIDERICHS: Ich glaube nicht. Mein Verhältnis zu den Kollegen in diesen Ländern ist sachlich, ist gut, in einer ganzen Reihe von Fällen auch menschlich gut. Und ich werde in diesen Bemühungen auch nicht nachlassen, was sich wohl auch daran zeigt. daß ich Ende dieses Monats erneut nach Moskau reise.