NOTFALLS ARM, ABER NEUTRAL EIN VERTRAG MIT DER EWG
ist »Österreichs vordringlichste Aufgabe auf außenpolitischem Gebiet« -- so sieht es die Wiener Regierungserklärung. Die Sieben-Millionen-Republik (etwa die Einwohnerzahl Niedersachsens) wickelt mehr als die Hälfte ihres Außenhandels mit EWG-Ländern pb. Gleichwohl kannte Osterreich dem Vertrag von Rom nicht beitreten, da es 1955 als Preis für Staatsvertrag und Russen-Abzug nimmerwährende Neutralität« gelobt hatte. Statt am Gemeinsamen Markt beteiligte sich Osterreich 1960 an der unter britischer Regie geschaffenen Europäischen Freihandelszone (Efta), die sich aber als untauglicher Ersatz erwies. Denn nur ein Sechstel seines Außenhandels verknüpft Osterreich mit seinen Efta-Partnern England, Dänemark, Norwegen, Schweden, Schweiz, Portugal und dem assoziierten Finnland. Der für Wien weitaus wichtigere EWG-Handel begann unter dem Druck der wachsenden EWG-Außenzölle zu stagnieren.
Trotz Neutralität bewarb sich Wien daher Ende 1961 um Assoziierung mit der EWG, forderte damit aber die Sowjets heraus. In zahlreichen diplomatischen Interventionen warnte der Kreml den Ballhausplatz vor jeder Art von Anschluß an den Gemeinsamen Markt, den Moskau als »unvereinbar mit der Neutralität« ansieht.
Josef Klaus, seit April 1964 christdemokratischer Kanzler und seit April 1966 Chef der ersten Einparteien-Regierung Osterreichs nach zwei Jahrzehnten Großer Koalition, will dennoch weiterverhandeln. Geduld und Zähigkeit ließen den 1910 in Kärnten geborenen Bäckersohn zum Landeshauptmann von Salzburg, Finanzminister, Obmann der Österreichischen Volkspartei und schließlich zum Kanzler aufsteigen. In ihm vereint sich unästerreichische Askese mit österreichischer Anpassungsfähigkeit.
Klaus trinkt nicht wie sein Vorgänger Figl, er raucht nicht wie sein Vorgänger Raab, er erzählt keine Witze wie sein Vorgänger Gorbach; er steht allmorgendlich um fünf Uhr auf. Am Wochenende mischt er sich als begeisterter Schwimmer, Skifahrer, Alpinist und -- hüllenloser -- Saunagast unters Volk.
Um die Sowjets von Osterreichs lauteren EWG-Absichten zu überzeugen, hatte er Russisch gelernt, bevor er im März nach Moskau fuhr. Doch die Sowjets blieben beim Njet.