ARBEITSLOSE Ein wenig abpuffern
Vor vier Jahren wurde der damals 43jährige Hamburger Taxifahrer Helmut Moosbach* entlassen, weil seine Firma sparen wollte. Nach der Diagnose eines Nervenarztes ist der noch immer Arbeitslose, zusätzlich von finanziellen Verpflichtungen bedrückt, heute »depressiv, verbittert, innerlich voller Angst und Spannung«. Er hat einen Selbstmordversuch hinter sich.
Latente Selbsttötungsrendenzen« stellten die Mediziner einer Hamburger Psychiatrischen Klinik auch bei der 55jährigen Krankenschwester Berta Lehnig* fest, die seit drei Jahren ohne Stelle ist. Die einst rührige Frau wurde durch Arbeitslosigkeit und Isolation krank. Sie hörte in ihrer Wohnung Stimmen, mußte von der Polizei ins Krankenhaus gebracht werden und leidet noch heute unter Schwindelanfällen und Stimmlosigkeit.
Die beiden Fälle sind symptomatisch für einen neuen Krankheitserreger, mit dem Psychologen und Psychiater immer häufiger zu tun haben: »Wir beobachten in der Beratungs- und Therapiepraxis«, so schrieb die Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie an Ar-
* Namen von der Redaktion geändert.
beitsminister Herbert Ehrenberg, »ein enormes Anwachsen von psychischen Problemen, die als direkte oder indirekte Folge von Arbeitslosigkeit angesehen werden müssen.«
Auch der Münchner Wissenschaftler Werner Sörgel machte jüngst in einer umfangreichen Studie (Titel: »Arbeitsssuche, berufliche Mobilität, Arbeitsvermittlung und Beratung") des Meinungsforschungsinstituts »Infratest« den Bonner Arbeitsminister darauf aufmerksam, daß »vor allem die seit längerer Zeit Arbeitslosen ... starke Unsicherheiten in bezug auf ihre Zukunftserwartungen« zeigen, die zu »ausgeprägten Ängsten«, bei einigen sogar schon »zu psychosomatischen Reaktionen wie Schlafstörungen, Magenbeschwerden, Depressionen oder übermäßiger Medikamenteneinnahme« führen.
Der so alarmierte Ehrenberg will nun mit Verordnungen und Gesetzen sowie mit sozialpädagogischen Maßnahmen verhindern, daß sich die Zahl der Dauerarbeitslosen und damit seelisch Gefährdeten weiter vermehrt.
Dabei muß er freilich einem personalpolitischen Trend in der Wirtschaft entgegenwirken, der die Misere für schlecht ausgebildete Arbeitnehmer verschärft. Denn zu deren Lasten besserten die Betriebe zwischen 1973 und 1976 ihr Personal mit Facharbeitern und qualifizierten Angestellten auf.
Die steigenden Ansprüche der Arbeitgeber und die wachsende Zahl der nur schwer zu vermittelnden Bewerber bringen die Arbeitsämter mancherorts in eine schier aussichtslose Situation: typisch dafür ist die von »Infratest« protokollierte Klage eines Beamten: »In meiner Abteilung von Vermittlung zu reden, das ist ein Witz. Ich habe ungefähr 1000 Arbeitslose in meiner Kartei und 20 bis 30 Stellenangebote ...«
Und diese Offerten werden in der Regel an jüngere, gutgeschulte Arbeitnehmer weitergeleitet -- die anderen verkümmern zu Karteileichen. Etwa 75 Prozent der länger als ein Jahr Arbeitslosen hatten, als sie von »Infratest« befragt wurden, in den letzten drei Monaten kein Stellenangebot erhalten.
Die Mehrheit der rund 170 000 Arbeitslosen, die reit über zwölf Monaten ohne Job sind, mußte sich auf eigene Faust um einen Posten bemühen, Im Durchschnitt, so ermittelte Sörgel, hat sich jeder Arbeitslose fünfmal selbst um einen Arbeitsplatz gekümmert.
Ehrenberg will nun die Arbeitsämter zwingen. häufiger als bisher ihre Listen nach den schwierigen Fällen zu durchforsten. Karl Furmaniak, Gruppenleiter im Arbeitsministerium: »Wir wollen verhindern, daß es überhaupt erst zu Langfrist-Arbeitslosen kommt.«
Da den Stellenvermittlern bislang wenig Zeit blieb, sich im Außendienst bei den Unternehmern der Region über neue Arbeitsplätze zu informieren, sollen sie künftig durch zusätzliche Mitarbeiter entlastet werden.
Mit einer Aufstockung des Personals will der Minister außerdem erreichen. daß der einzelne Beamte sich intensiver um seine Klienten kümmern kann. Bisher nämlich nimmt sich der Vermittler durchschnittlich nur sechs Minuten Zeit für ein Gespräch mit einem Beschäftigungslosen.
21 Prozent aller Befragten bemängeln denn auch, daß sie »kaum Angebote« bekommen hätten, 18 Prozent glauben, man habe sich »nicht richtig bemüht zu vermitteln«, und 16 Prozent fühlen sich »unfreundlich« behandelt.
Versäumt haben die Arbeitsämter ebenfalls, so die Sörgel-Studie, über Fortbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten zu informieren. Obwohl rund ein Drittel der Arbeitslosen interessiert wäre, einen Berufsabschluß nachzuholen oder sich umschulen zu lassen, wurden bisher allenfalls neun Prozent auf diese Alternativen verwiesen. Nun sollen die Beamten per Gesetz auf diese Zusatz-Aufklärung verpflichtet werden.
Ehrenberg will sich überdies der seelischen Nöte der Arbeitslosen annehmen. In Landau in der Pfalz und im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen wird derzeit ein Modell »Psychologische Hilfen für Arbeitslose« erprobt. Denn »je länger die Arbeitslosigkeit andauert«, haben auch die Ehrenberg-Mitarbeiter erkannt. »desto gravierender werden die psychischen und sozialen Folgen für den einzelnen, desto schwieriger wird es für ihn, sich mit Angeboten und Vorschlägen des Arbeitsmarktes, frei von Befürchtungen und negativen Einstellungen, konstruktiv auseinanderzusetzen«.
In einem vierwöchigen Training sollen demnächst in sieben weiteren Arbeitsämtern verunsicherte und entmutigte Arbeitslose in kleinen Gruppen lernen, ihre Befürchtungen und Ängste abzubauen.
Nur mit mehr Engagement der Arbeitsämter im sozialpädagogischen Bereich, glaubt Ehrenberg-Gehilfe Furmaniak, »können wir die Folgen des sozialen Wandels ein wenig abpuffern«.