Ein wenig komisch
(Nr. 50/1976, England: Die Briten tun sich schwer mit ihrem Deutschen-Bild)
Ich habe 1965 und 1974 für jeweils ein Jahr als Lehrer an englischen Schulen gearbeitet und kann leider den Tenor Ihrer Ausführungen nur bestätigen. Weite Kreise der englischen Bevölkerung denken beim Wort »German« an Hitler, Blitzkrieg, Lederhosen, Sauerkraut, Mercedes, Beckenbauer -- in dieser Reihenfolge. Ich glaube, daß die Briten hinsichtlich des Dritten Reiches ein schlechtes Gewissen haben: Sie sind sich gar nicht mal so sicher, ob sie nicht über Chamberlains Appeasement-Politik Deutschland und Europa den Weg ins Verderben gebahnt haben.
Dahn (Rhld.-Pf.) HANS RUDI NASSHAN
1975 und 1976 verbrachte ich je vier Wochen mit Freunden in Torquay (Südengland). Wir waren in Familien untergebracht, die alle Kinder im Alter von sechs und zwölf Jahren haben. Während einer Diskussion mit meinem englischen Daddy meinte er, daß von 100 Briten 80 die Deutschen sympathischer finden als die Franzosen. Wirkliche Negativerfahrungen habe ich nicht gemacht, nur: wenn junge Engländer oder Skandinavier hörten, daß ich Deutsche bin, sagten sie: »Ah! Heil Hitler! -- You are Nazis!«, auch wenn es nicht ernst gemeint war.
Castrop-Rauxel (Nrdrh.-Westf.)
JULIA WUNDERLICH Gymnasiastin, 16 Jahre
Der »ugly German« ergibt sich aus der Art und Weise, wie sich die Deutschen aufführen: arrogant und verachtend gegenüber den Engländern wegen ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Begründung für diese Schwierigkeiten sehen wir in negativen Eigenschaften der Engländer: faul, unfähig, dekadent. Die besonderen Eigenarten der Sozialstruktur in England werden gemeinhin übersehen. Daß viele Briten dennoch so positiv über uns denken, ist verwunderlich.
Tübingen DIETER SEITZ
Student (Wirtsch.-Wiss., Anglistik)
Unheimlich und ein wenig komisch wirkte der Deutsche stets auf Engländer. Eine besonders potente und haftende Mischung. Gemischte Gefühle schlagen sich auch in der Sprache nieder: Während der Kriege mit uns wurde das Wort kindergarten durch das französische crèche ersetzt. Die übrigen Entlehnungen sprechen ihre eigene Sprache: angst, schadenfreude, blitzkrieg, realpolitik, hinterland, flak. Dämonisch ist alles Deutsche dem Engländer geraten: Aus Augsburg stammen die katholischen Kelten, aus Pinneberg die protestantischen Angelsachsen, die sich in Nordirland grausam bekriegen. Hunnen, Hunnen haben wir uns selbst tituliert. Wilhelm der Zweite: »Ihr solltet hausen wie die Hunnen«, als er das deutsche China-Korps verabschiedete. Hunnen sind wir für die Engländer geblieben, bis auf den heutigen Tag. »The Hun out of the sun!« geflügelte Warnung bei der RAF für Messerschmitts, die aus dem Osten, also aus der Sonne angriffen, wodurch die RAF-Piloten geblendet wurden. Vor einigen Monaten erschien im »Observer« eine Karikatur (Fall »Ampthill"). Danach sei es zu einer »Jungfrauen-Geburt« gekommen, weil der Ehemann im Ehebett nur »Hunnnen-Praktiken« anwandte. Abgebildet wurde ein deutscher Offizier mit Pickelhaube! Und so weiter, ad infinitum. Als reisender Deutscher empfindet man sich manchmal in der Rolle eines Menschen, der den Part eines Touristen einstudiert hat, so unbefangen zu erscheinen wie ein Reisender, der diese Rolle nicht einstudiert hat.
Hamburg ERICH KROHN
Die britische Überheblichkeit allem Fremden gegenüber hat eine lange Tradition. Als man in Deutschland, weit entfernt von chauvinistischen Anschauungen, die erst seit der napoleonischen Fremdherrschaft gezüchtet wurden, mit der Nachahmung des Auslandes einer nationalen Selbstidentifikation noch geradezu entgegenarbeitete, bescheinigte der Schweizer Arzt Johann Georg Zimmermann in einem seinerzeit viel gelesenen Buch »Vom Nationalstolze« (Zürich 1758) den Briten bereits eine aggressive, nach allen Seiten ausschlagende extreme nationale Selbstüberschätzung. Als königlich großbritannischer Hofrat und Leibarzt in Hannover war Zimmermann ein durchaus unverdächtiger Zeuge:
Die Engländer gestehen selbst, daß sie von ihren Vätern ein unvernünftiges Vorurtheil wider alle Nationen unter der Sonne ererben. Allemal wird ein Engländer. der in einer Zänkerei mit einem Fremden begriffen ist, zuerst das Land seines Gegners mit irgend einem schimpflichen Beyname dem Gegner um die Ohren schlagen. Er wird sagen, du bist ein französischer Plauderer, ein italienischer Affe, ein holländisches Rindvieh, eine deutsche Sau. Nicht nur ist das Wort Franzos in England ein Schimpfwort, sondern die Engländer würden sogar einen Fremden. dem sie den Namen Hund geben wollen. nicht genug beschimpft glauben, wenn sie ihn nicht einen französischen Hund nennten. Die Nationalvorurtheile der Engländer erstreken sich sogar gegen die zwo Nationen, die mit ihnen unter den gleichen Gesetzen leben, und für das nehmliche Vaterland streiten; nichts ist in England gemeiner als du bettelsüchtiger Schotte, oder du unverschämter irrländischer Morasttraber. Alle Nationen von Europa werden von einem mit dickplüntschigten Pudding und starkem Biere wol. gefütterten Engländer verachtet. Der Fuchsjunker in Jorkschire glaubt, er sey Herr der ganzen Erde, denn er ist in Yorkschire Herr aller Füchse.« (Zitieit nach der 4. Auflage, Zürich 1768, S. 55).
Tübingen DR. PAUL MÜNCH
Historisches Seminar der Universität
Als ich vor nunmehr fünf Jahren in einer englischen Schule Deutsch unterrichtete, waren Ausdrücke wie »Jawohl, Herr Kommandant« und »Heil Hitler« von Schülerseite keine Seltenheit. Das Problem ist in der Tat nicht die Aversion gegen den Deutschen an sich, sondern gegen jeden, das geheiligte Inselbewußtsein störenden Ausländer. Typische Antwort eines Engländers, warum er nicht auf den Kontinent in Urlaub fahre: »Well, you know, it's full of foreigners.« Daß sich Deutsche allerdings sehr oft durch betont rüpelhaftes Benehmen im Ausland profilieren müssen, ist dem Engländer nicht verborgen geblieben. Erfreuliche Entwicklung: Die jüngere Generation scheint durch Schulaustausch und häufige Auslandsreisen bemüht, gegenseitige Ressentiments und Vorurteile abzubauen. Hoffen wir's! Bad Friedrichshall (Bad.-Württ.)
CHRISTOPH SPITAL, M. A. Englischlehrer
Wir Deutsche stellen uns als das Mustervolk heraus. So konnte man am 7. Dezember 1976 in dem Kommentar einer im ganzen Bundesgebiet verbreiteten Boulevard-Zeitung lesen:
Weihnachten und Neujahr fallen auf einen Samstag. Am Montag beißen wir die Zähne zusammen -- und ran. Andere Länder, anderes Feiern. In England wurden die beiden Montage kurzerhand zu Feiertagen erklärt. In England liefern übrigens nur drei Prozent der Betriebe ihre Ware pünktlich aus. Laut amtlicher Statistik. Ob da ein Zusammenhang besteht? Oberschlettenbach (Rhld.-Pf.)
LOTHAR STÜRZEBECHER