Zur Ausgabe
Artikel 4 / 96

»Eine abgesprochene Aktion«

aus DER SPIEGEL 6/1991

SPIEGEL: Herr Rabin, als Generalstabschef haben Sie 1967 Israel in sechs Tagen zum Sieg über die Araber geführt. Die Anti-Saddam-Allianz kämpft nun schon seit über zwei Wochen gegen die Iraker. Machen die Amerikaner etwas falsch ?

RABIN: Man kann die beiden Kriege nicht miteinander vergleichen. Anders als wir damals verfügen die USA und ihre Verbündeten über Zeit und unbegrenzte Mittel. Ihre Strategie hat Methode: zunächst die Vorherrschaft in der Luft zu erringen; dann die kriegswichtigen Anlagen für die Entwicklung und Produktion von atomaren, biologischen und chemischen Waffen zu zerstören; schließlich auf die Transport- und Kommunikationswege zu zielen.

SPIEGEL: Die USA haben nicht verhindern können, daß sich Teile der irakischen Luftwaffe in den Iran absetzten. Was steckt dahinter?

RABIN: Das war eine abgesprochene Aktion, keine Fahnenflucht. Wir haben Beweise. Schon vor dem Ablauf des Uno-Ultimatums am 15. Januar waren einige der für elektronische Aufklärung umgerüsteten irakischen Transportmaschinen im Iran gelandet.

SPIEGEL: Was könnten sich die Iraner von dieser Schützenhilfe versprechen?

RABIN: Sie wollen ihren zwei größten Feinden schaden nach dem simplen Motto: Laßt die Amerikaner und die Iraker einander umbringen! Deswegen half Staatschef Rafsandschani schon in den fünfeinhalb Monaten vor Ausbruch des Kriegs dem Irak mit Lebensmitteln. Ihm war nicht daran gelegen, daß Saddam Hussein wegen knapper Vorräte vor der Konfrontation mit den USA zurückscheuen würde.

SPIEGEL: Gibt es nicht auch Iraner, die zusammen mit ihren moslemischen Brüdern im Irak gegen die ungläubigen Amerikaner zu Felde ziehen wollen ?

RABIN: Die Fundamentalisten-Fraktion in Teheran wünscht, daß Saddam Hussein nicht am Boden zerstört, sondern lediglich geschwächt aus dem Konflikt hervorgeht - abhängig von einer in Zukunft unangefochtenen Regionalmacht Iran. Möglicherweise erzwang diese Gruppe die Abmachung, derzufolge die irakischen Flugzeuge im Iran Zuflucht fanden.

SPIEGEL: Weshalb dauerte es fast zwei Wochen, bis Saddam Husseins Maschinen in den Iran flohen?

RABIN: Erst da wurde ihm klar, daß er dabei war, seine gesamte Luftwaffe zu verlieren. Die Amerikaner haben 80 Prozent der Radaranlagen außer Gefecht gesetzt, vielleicht sogar alle. Jetzt bombardieren sie systematisch die Landepisten, ein Drittel der Flugzeug-Schutzbunker ist schon zerstört.

SPIEGEL: Ist Israel durch die irakischen Geschwader im Iran bedroht ?

RABIN: Überhaupt nicht. Denn die Su-24, die Mirage F-1 und die MiG-29 sind jetzt weiter weg - rund eineinhalb Stunden Flugzeit. Außerdem gehe ich davon aus, daß die Iraner Saddams Luftwaffe nicht erlaubt haben, mit chemischen und biologischen Bomben einzufliegen.

SPIEGEL: Sie vertrauen darauf, daß die Iraner zu ihrem Wort stehen und die Maschinen bis Kriegsende festhalten ?

RABIN: Ich traue ihnen keineswegs, aber ich denke, daß die Iraner von ihrem Territorium aus keine Operationen zulassen werden - es sei denn, die USA würden die heiligen Stätten der Schiiten im Irak dem Boden gleichmachen.

SPIEGEL: Die Verlegung der Flugzeuge ist eine der Überraschungen, mit denen Saddam seine Gegner verwirrt . . .

RABIN: Überrascht dürfte eigentlich niemand sein. Wer die irakische Kriegsmaschinerie kennt und sich Saddam Husseins Reden vor Ausbruch des Konflikts angehört hat, konnte Bagdads Strategie durchschauen: Saddam Hussein mußte angesichts der technologischen Überlegenheit der Amerikaner wissen, daß die Alliierten in der Luft die Oberhand gewinnen würden.

SPIEGEL: Warum kann der Irak immer noch Raketen auf Israel abschießen?

RABIN: Ich habe sogar noch mehr Angriffe auf Israel erwartet: Während des Kriegs gegen den Iran feuerten die Iraker im Frühjahr 1988 binnen drei Wochen 200 Scud-Raketen auf iranische Städte. Drei Jahre später, während deren Bagdads Rüstungsschmieden Hunderte von Scuds produzieren konnten, schoß Saddam jedoch in 14 Tagen nur rund 50 Raketen auf Saudi-Arabien und Israel ab.

SPIEGEL: Über 20 Scuds schlugen zwischen Haifa und Tel Aviv ein. Warum hatte sich Israel nicht besser vorbereitet, obwohl die Gefahr bekannt war?

RABIN: Wir kannten sie, aber gegen ballistische Geschosse gibt es keinen absoluten Schutz. Die einzige Abwehrwaffe ist bislang die »Patriot«, und auch die wurde erst in den vergangenen zwölf Monaten zur Anti-Raketen-Rakete weiterentwickelt. An einem wirklich wirkungsvollen Gegenmittel arbeiten wir noch in Absprache mit den Amerikanern.

SPIEGEL: Sie meinen die »Arrow«-Rakete, die aber voraussichtlich erst Mitte der neunziger Jahre fertig sein wird.

RABIN: Ich besuchte vor zweieinhalb Jahren als Verteidigungsminister das US-Raketen-Entwicklungszentrum Red Stone in Alabama. Wir sahen uns damals die »Patriot« an, es war eine Waffe gegen Flugzeuge. An der Elektronik und dem Antrieb zum Abfangen einer Rakete, die mit zwei- bis fünffacher Schallgeschwindigkeit herunterkommt, wurde noch gearbeitet. Wir hatten damals kein Geld, deswegen wollte ich die »Patriot« auf Leasingbasis besorgen oder mindestens das dazugehörige Radar als Frühwarnsystem.

SPIEGEL: Jetzt bedienen US-Soldaten die »Patriot«-Raketen, die Israel schützen.

RABIN: Ja, wir hätten uns nicht im Traum das gegenwärtige Szenario vorstellen können. Eine internationale Koalition - und nicht Israel selbst - ist dabei, unseren größten und gefährlichsten Feind zu zerstören, und zwar gründlich. Für Israel ist das, sofern man das von einem Waffengang überhaupt sagen kann, ein »Krieg de luxe«.

SPIEGEL: Nicht für die Koalitionsstreitmacht, die Saddams Truppen wohl nur mit einer verlustreichen Bodenoffensive aus Kuweit vertreiben kann.

RABIN: Genau das will Saddam Hussein. Er hat seine Soldaten darauf gedrillt, dem Bombenhagel der Amerikaner zu widerstehen. Auf den 250 Kilometern zwischen der kuweitisch-saudischen Grenze und Basra hat er 40 Divisionen zusammengezogen - fast eine halbe Million Soldaten, dazu 4000 Panzer, 2000 Geschütze. Saddam hofft, daß die Schlacht so früh wie möglich beginnt. Am vergangenen Mittwoch befahl er deshalb den ersten Vorstoß nach Saudi-Arabien.

SPIEGEL: Saddams Geschosse forderten bisher in Israel 14 Tote, es gab Hunderte von Verwundeten, 3300 Wohnungen sind beschädigt. Wie lange dauert es, bis Israel zurückschlägt? _(* In Tel Aviv. )

RABIN: Ich denke in diesem Punkt wie die Regierung: Ich bin gegen eine automatische Reaktion. Nur wenn sich die Angriffe zu Giftgasattacken oder Raketenüberfällen mit riesigen Schäden ausweiteten, müßte Israel ernsthaft einen Vergeltungsschlag erwägen.

SPIEGEL: Und politisch dafür womöglich teuer bezahlen.

RABIN: Wenn Israel in den Krieg eingriffe, würden ein oder mehrere arabische Länder in den Konflikt hineingezogen werden. Denn wir können den Irak nicht erreichen, ohne den Luftraum von Jordanien oder Syrien oder Saudi-Arabien zu verletzen. Und es gilt ja nicht nur, Rücksicht auf die Regierungen der arabischen Länder innerhalb der internationalen Koalition zu nehmen, sondern auch auf die Stimmung der Volksmassen dort.

SPIEGEL: Die haben Saddam Hussein schon jetzt zu ihrem Helden erkoren.

RABIN: Eines hat er mit seiner Propaganda geschafft: den Haß gegen Israel anzuheizen und sich selber als arabischen Robin Hood darzustellen. Geschickt prangert Saddam die ungerechte Verteilung der Reichtümer zwischen den in Armut lebenden Millionen und den im Überfluß schwelgenden Ölscheichtümern an. Die Massen sind zutiefst verbittert, weil diese Länder immense Summen im Westen investieren, aber nichts für ihre Brudernationen übrig haben.

SPIEGEL: Ist Israels Abschreckungsdoktrin noch glaubwürdig, wenn es die Raketenangriffe nicht mit einem Vergeltungsschlag beantwortet?

RABIN: Wir wollen nur, daß sich ein arabischer Führer zehnmal überlegt, ob er unser Land angreift. Zum Beispiel Syrien: Hafis el-Assad hat seit zehn Jahren Scud-Raketen, die, heute sogar mit chemischen Sprengköpfen, ganz Israel bedrohen. Und dennoch hat er nicht gewagt, sie einzusetzen. Warum? Weil er weiß, daß wir nach einem Angriff auf Israel mit hundertfacher Gewalt gegen Damaskus zurückschlagen würden.

SPIEGEL: Die von der Uno legitimierte Operation »Wüstensturm« fordert die Befreiung Kuweits und die Wiederherstellung des Status quo ante. Kann sich Israel damit zufrieden geben ?

RABIN: Wir führen den Krieg nicht, wir bestimmen nicht seinen Ablauf. Seit jedoch die politischen Forderungen mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden, ist klar, daß sich diese Aktion nicht auf Kuweit begrenzen läßt. Es wäre töricht, die militärische Stärke des Irak nicht auch innerhalb seiner eigenen Grenzen zu brechen.

SPIEGEL: Wie wird die politische Landkarte nach dem Golfkrieg aussehen ?

RABIN: Wenn die Anti-Saddam-Koalition gesiegt hat, wird es nötig sein, die Staaten auf der arabischen Halbinsel zu stabilisieren. Deswegen werden die USA für eine Übergangszeit von sechs, vielleicht zwölf Monaten eine beträchtliche Zahl von Soldaten im Nahen Osten stationieren müssen.

SPIEGEL: Damit kann Washington allenfalls vorübergehend militärischen Schutz garantieren.

RABIN: Ja. Daher sind die reichen arabischen Staaten gefordert: Mit acht bis zwölf Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe jährlich sollten sie die armen Nationen der Region unterstützen. Damit könnten sie innere Spannungen und soziale Gegensätze entschärfen, die heute von den islamischen Fundamentalisten ausgenutzt werden.

SPIEGEL: Nach dem Krieg werden die arabischen Mitglieder der internationalen Koalition das Palästinaproblem wieder auf die Tagesordnung bringen. Wird eine internationale Nahost-Friedenskonferenz die Lösung dieses Problems bringen?

RABIN: Ich glaube nicht an eine Lösung des israelisch-arabischen Konflikts auf einen Streich, sondern an bilaterale Verhandlungen mit den arabischen Staaten. Dazu sollten wir zunächst das Palästinenserproblem anpacken, das bisher normalen Beziehungen zu unseren Nachbarn im Wege steht. Wir müssen die Friedensinitiative vom Mai 1989 wiederaufnehmen: Wahlen im Westjordanland und im Gaza-Streifen, Autonomie für eine begrenzte Übergangszeit und etwa drei Jahre danach Verhandlungen über eine Dauerlösung.

* In Tel Aviv.

Zur Ausgabe
Artikel 4 / 96
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten