Zur Ausgabe
Artikel 23 / 84

SCHMUGGEL Eine Art Kreislauf

Der Goldschmuggel in die Bundesrepublik floriert. Manche Banken zeigen gewollte Arglosigkeit. *
aus DER SPIEGEL 21/1986

Heinrich Ashauer glaubt »aus langer Berufserfahrung« zu wissen, wie Zöllner einen Schmuggler wittern. »Man hat«, sagt der Chef des Zollkriminalinstituts (ZKI) in Köln, »ganz einfach so ein Blubbern in der Blase.«

Das müssen auch zwei Beamte verspürt haben, als ihnen am deutschluxemburgischen Grenzübergang in Echternacherbrück ein Audi Quattro auffiel. Die Beamten winkten den Wagen aus der Reihe und durchsuchten ihn.

Audi-Fahrer Jan van der Pijl, 68, aus Rotterdam hatte 500 Zigaretten mehr als erlaubt dabei und außerdem eine durchgeladene »Walther PPK« samt sieben Dumdum-Patronen. Pijls Begleiterin hielt, wie sie später berichtete, »den Atem an, als wir dann mit einer Metallsonde abgesucht wurden": Im Wagenfond waren 495 Goldmünzen versteckt, sogenannte Krügerrand.

Mit der Festnahme des Paares kamen Zollexperte Ashauer und dessen Kollegen im Mai 1985 der »bisher größten Goldschmuggel-Affäre« in Westdeutschland auf die Spur. Zollfahnder und Staatsanwälte in Trier, Koblenz und Wiesbaden hoben nach dem Grenzfall einen achtköpfigen Dealer- und Hehlerring aus, dem Schmuggelgeschäfte im Wert von mehr als 130 Millionen Mark zur Last gelegt werden.

Die heimliche Einfuhr des Edelmetalls in Barrenform oder klingender Münze in die Bundesrepublik ist längst zum Supergeschäft geworden, mit dem der Staat im Jahr um schätzungsweise 150 Millionen Mark betrogen wird. Beteiligt sind Touristen, die sich als Gelegenheitsschmuggler ein paar Goldmünzen in die Wäsche stecken, ebenso wie Profi-Banden, die den schwarzen Handel als Millionen-Ding betreiben.

Das kuriose europäische Steuerrecht öffnet den kleinen wie den großen Gaunern eine schier unerschöpfliche Goldgrube: In einigen Ländern, wie in Luxemburg, der Schweiz und Österreich, kann das Edelmetall steuerfrei oder zu einem niedrigen Abgabensatz am Bankschalter erworben werden; in anderen Staaten fällt beim An- und Verkauf die Mehrwertsteuer an, 14 Prozent in der Bundesrepublik.

Wer im Ausland Gold in Barren oder Münzen steuerfrei einkauft, muß daher beim Import der Ware an der Grenze Einfuhrumsatzsteuer zahlen, die genauso hoch ist wie die Mehrwertsteuer. Organisierte Schmuggler umgehen diese Abgabe und streichen, mit etwas Preisnachlaß beim Wiederverkauf, die Steuerersparnis ein. Das macht, beim Kilopreis für Gold von derzeit 24300 Mark, rund 3400 Mark Gewinn pro 1000 Gramm.

Auf die schnelle Mark mit dem Goldstück kamen aber auch Urlauber, die mit Bahn und Bus, im Flugzeug oder im Auto die Grenzen überqueren. »Es spricht sich immer mehr herum«, sagt der bayrische Zollfahnder Claus Tiedtke, »was man da verdienen kann«

So wurde in Lindau eine Metzgersfrau mit 40 Goldmünzen erwischt, die während einer Kur am Bodensee nicht nur kurte, sondern auch Kurierdienste aus der Schweiz versah. Ein Mercedes-Fahrer fiel am Grenzübergang Passau-Mariahilf auf, als er bei der Zollkontrolle betrunken aus dem Auto fiel - und ein halbes Dutzend Krügerrand-Münzen verlor.

In Trier haben die Zollfahnder ältere Ehepaare als »typische Kleinschmuggler« identifiziert, die sich ihr Erspartes, 20000 oder 30000 Mark, in Luxemburg vergolden ließen und dann in Schuhen oder Gürteln versteckten. Der Gewinn ihrer Tagesfahrt, wären sie durchgekommen: 2500 oder 4000 Mark an ersparter Einfuhrumsatzsteuer.

1984 waren es nach einer ZKI-Statistik noch 292 Goldschmuggelfälle, die bundesweit registriert wurden. 1985 leitete die Zollfahndung bereits 364 neue Verfahren gegen 540 Beschuldigte ein. Tendenz weiter steigend.

Allein im Bereich der Zollfahndungsstelle Trier, wo um die 80 Prozent aller Fälle spielen, wurden voriges Jahr Krügerrand-Münzen,

Bruchgold und Barren im Wert von 135,7 Millionen Mark als Schmuggelgut identifiziert. Der vom Zoll registrierte »Steuerschaden« betrug dabei 19006983,10 Mark - nur ein Bruchteil der tatsächlichen Einbuße.

Denn »nur jeder zehnte, jeder zwanzigste vielleicht«, schätzt der Trierer Zollrat Klemens Brucherseifer, »fällt mit seinen Krügerrand aus Luxemburg bei uns auf«. Die wenigen Fälle, die sein Münchner Kollege Tiedtke 1984 (drei) und 1985 (fünf) an der Südfront aufklären konnte, sind »nur ein geringer Teil dessen, was tatsächlich läuft«.

Manch einer der Schmuggler, der nicht mit Hilfe von Metallsonden oder durch Zollinstinkt gegriffen wurde, fiel den Beamten nur durch Dämlichkeit auf. Zwar war die Ware gut verstaut, doch lag der luxemburgische Bankbeleg schon mal im Paß oder im Führerschein - wie bei einem 70jährigen Rentner in Wasserbilligerbrück, der Kaufbelege über 85000 Mark dabeihatte. Ähnlich erging es einem Lehrerehepaar: Die Grenzer fanden zufällig Belege über den Kauf von fünf 250-Gramm-Barren, die Ware steckte im doppelten Boden eines Werkzeugkoffers.

Mitunter hilft den Zöllnern auch ein Tip aus dem Inland. Eine Funkstreife in Kassel, die letzthin einem Holländer nach einem Kneipenbummel bei der Suche nach seinem parkenden Wagen half, bekam dabei mit, daß der Mann Goldbarren im Fond verwahrte. Ein Trucker beobachtete auf einem Autobahn-Rastplatz bei Magen zwei Männer, die »weiße Päckchen« aus dem Motorraum ihres Porsche holten und in einer Aktentasche verstauten. Hausdurchsuchungen erbrachten den Beweis, daß die beiden nach 36 Schmuggelfahrten 2242 unversteuerte Krügerrand an eine Bonner Bank verkauft hatten.

Doch viele dieser kleinen Sünder hätten ihren Steuergewinn gar nicht zu Geld machen können. Der Goldankaufspreis bei Banken liegt für Privatkunden um 16 Prozent unter dem Verkaufspreis - die Steuerersparnis ist mithin geringer als die Einbuße am Bankschalter.

Ganz anders bei den großen Goldfingern wie bei dem holländischen Kurier van der Pijl, seinen Lieferanten, Gehilfen und Auftraggebern. Solche Gold-Ringe bedienen sich eines simplen Tricks, mit dem sie den Steuergewinn durch Schmuggelei auch kassieren können. Und mit von der Partie sind gelegentlich Banken, die auf ihre Art an dem besonderen Wertgeschäft verdienen,

Die grenzenlos agierenden Goldschmuggler gründen Scheinfirmen in der Bundesrepublik, mit deren Hilfe und dank fingierter Rechnungen legale Inlandsgoldgeschäfte vorgetäuscht werden. Die Firmen beantragen und erhalten vom zuständigen Finanzamt sogenannte Freistellungsbescheide für die Mehrwertsteuer, die zum Abzug der Vorsteuer berechtigen.

Mit einem solchen Zertifikat ist Schmuggelgold auch bei Banken absetzbar, inklusive Mehrwertsteuer, die in Wirklichkeit gar nicht gezahlt worden ist. Bei den Dealern um van der Pijl addierten die Zollfahnder Hunderte von Fällen einer solchen Steuerhinterziehung in Höhe von 15,2 Millionen Mark. 19 Goldhandelsfirmen, Edelmetall-Scheideanstalten und einige Banken sind in den Fall verwickelt; sie bauten sich gegenseitig goldene Brücken.

Nicht so perfekt praktizierte ein Paar aus dem Rheinland eine ähnliche Tour. In Zeitungsanzeigen offerierten die beiden eine »gut bezahlte, selbständige Tätigkeit« für »clevere Hausfrauen«. Die Bewerberinnen mußten beim Gewerbeamt ihrer Stadt einen »Handel mit Edelmetallen, Münzen und Briefmarken« anmelden und erhielten vom Finanzamt eine Bescheinigung zur Regelversteuerung.

Eine Dame verabredete sich danach mit den Frauen in verschiedenen Banken und ließ sie 1-Kilo-Barren im Wert von 25000 bis 30000 Mark am Schalter einliefern. Da die Verkäuferinnen ihre Geschäftsdokumente vorlegten, wurde in den Rechnungen die Mehrwertsteuer ausgewiesen. »Alles Weitere« erledigte die Unbekannte, nachdem die cleveren Hausfrauen pro Barren 100 Mark Provision erhalten hatten.

Eine andere Variante: Drei Jahre importierte eine Bande am Niederrhein 1,2 Tonnen Gold unversteuert. Das Edelmetall wurde zusammen mit Ketten, Ringen und Kupferrohren zu »Altgold« umgeschmolzen - die verunreinigten Barren gingen an Scheideanstalten. »Demnächst«, verrät Erich Schlautmann von der Oberfinanzdirektion in Düsseldorf, »werden noch etliche solcher Fälle aufgedeckt« Zwölf Privat-Schmelzereien hat der Zoll seit 1982 ausgehoben.

Leichter läuft der krumme Deal mit dem Krügerrand, dem 31,1 Gramm schweren Goldstück aus Südafrika. »Tausend Krügerrand nehmen gar nicht viel Platz ein«, weiß Zollfahnder Tiedtke. Vielfach bewegen sich die Goldmünzen zwischen Österreich und der Bundesrepublik »in einer Art Kreislauf«.

Beispiel: Eine Salzburger Bank braucht Krügerrand, um den Bedarf ihrer Kunden zu decken. Sie fragt bei Partnerbanken in Bayern an und bekommt von einem Münchner Institut die gewünschten Münzen. Die sind zuvor der Münchner Bank verkauft worden -

Schmuggelgut aus Österreich, wo Ausländer den Krügerrand steuerfrei kaufen können. Die Banken verdienen dabei allemal.

Zollfahnder Tiedtke macht sich »keine falschen Hoffnungen«, daß die Banken vielleicht eines Tages zu Kontrollmitteilungen an Finanzämter bereit sein könnten. Auch Banken im Großherzogtum, klagt Zollkriminalist Ashauer, »tun einen Deubel und geben uns ihre Kunden preis«. Luxemburgische Kollegen um Fahndungshilfe oder gar Spitzeldienste zu bitten sei »unmöglich, da würde man nur mitleidig belächelt«.

Doch auch deutsche Banken legen Vorschriften und eigene Regeln beim Metallhandel nicht immer auf die Goldwaage. Ministerialrat Nikolaus Haberland, zuständig für die Zollfahndung im Bonner Finanzministerium, sieht in dem Verhalten so manchen Geldinstituts schon »gewollte Arglosigkeit.«

Ein Schmuggeltrio im ostfriesischen Leer setzte ohne Anstände binnen sechs Monaten 138 Kilo Gelbmetall bei der Oldenburgischen Landesbank, 110 Kilo bei der Dresdner Bank in Frankfurt und 136 Kilo bei der Sparkasse in Bremen ab. 2,5 Tonnen Gold im Wert von 70 Millionen Mark gar war der Pforzheimer Goldschmiedemeister Joachim Gerlach unter Aufschlag der hinterzogenen Umsatzsteuer bei der Pforzheimer Volksbank und bei einer Edelmetallgesellschaft losgeworden; Gerlach erhielt fünf Jahre Haft.

Zwar sind deutsche Banken zu besonderer Sorgfalt verpflichtet, wenn ihnen eine nennenswerte Menge Gold angeboten wird - insbesondere dann, wenn die Ware unter dem Tagespreis zu haben ist. Keines der in Verdacht geratenen Geldinstitute aber schien sich für die naheliegende Frage zu interessieren, warum das Gold so konkurrenzlos billig war, und übernahm die heiße Ware - Banken als Goldwaschanlagen.

Als Staatsanwälte und Kripo in mehreren niedersächsischen Kreditinstituten die Belege filzten, gab sich der Bundesverband deutscher Banken empört. In einem Schreiben an den niedersächsischen Justizminister verwahrte sich der Verband gegen »bedenkliche Ermittlungspraktiken« der Staatsorgane, die das »Vertrauensverhältnis zwischen der Bank und ihren Kunden beeinträchtigen. Die Presse sei über den Vorgang nicht vollständig unterrichtet« worden, »um eine Irritation der Kunden zu vermeiden.«

Unterdessen sitzt der Holländer van der Pijl, schwer nierenkrank, in Wittlich in U-Haft. Ihm und seinen Helfern soll im August vor dem Trierer Landgericht der Prozeß gemacht werden.

Van der Pijl, oder mit seinem Geständnis zur Zerschlagung des Rings, zu dem auch sein Sohn Tony gehört, beitrug, bekommt nun makabre Post. Sohn Tony schickte seinem Vater eine zertretene goldene Uhr mit Begleitbrief »Von Verrätern nehmen wir keine Geschenke.«

Zur Ausgabe
Artikel 23 / 84
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren