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»Eine Art Überbehörde in unserem Land«

In Niedersachsen löste es eine Art »Volksaufstand« aus: das im Juni verabschiedete Verfassungsschutz-Gesetz. Doch euch in anderen Bundesländern, ergab eine SPIEGEL-Analyse, ermöglichen stümperhaft gefertigte Gesetze geheimdienstliche Willkür, verfassungswidrige Bespitzelung und Mißbrauch vertraulicher Daten.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Ein »Prof. Dr. Hans-Hugo Schleim« schwärzte brieflich einen »notorischen Verteiler politischer Druckschriften« bei der Regierung an: »Beschreibung des Beschuldigten in der Anlage anbei.«

Ein anderer Hochschullehrer, Unterschrift unleserlich, denunzierte per Brief ans Ministerium einen Studenten, der »im Anschluß an meine letzte Vorlesung« Sympathie für die Meinhof geäußert habe. »Den Sympathisantensumpf aber gilt es trockenzulegen.«

Ein Grundschul-Rektor namens Krauß aus Preitzen meldete nach oben, »Florian Frese, ein Schüler der dritten Klasse der Grundschule«, sei von ihm ertappt worden, »wie er die Melodie des alten subversiven Volksliedes »Die Gedanken sind frei' vor sich hinpfiff": »Unter diesen Umständen muß ich schon jetzt anregen, seine Überprüfung spätestens für 1979 vorzumerken.«

Satire, gewiß. Doch die drei Briefe, abgedruckt in der Juli-Ausgabe des Frankfurter Blödelblattes »Pardon«, sind mehr als nur Political fiction: Die Parole »Jeder verfassungstreue Bürger ein Denunziant«, mit der die Satiriker ihren Beitrag überschrieben, gibt präzise den Inhalt von Paragraphen wieder, die für Bürger in fünf Bundesländern und in West-Berlin bereits geltendes Recht sind -- ohne daß dies, bis auf den heutigen Tag, einer breiteren Öffentlichkeit bewußt geworden ist.

In Bremen und in Berlin, in Mainz und in München, in Kiel und in Saarbrücken haben die Landesparlamente in den Jahren 1973 bis 1975 Verfassungsschutzgesetze verabschiedet, in denen -- nahezu wortgleich -- die Verpflichtung verankert ist, »unaufgefordert« dem jeweiligen Verfassungsschutzamt »alle Tatsachen und Unterlagen« über »Bestrebungen und Tätigkeiten« gegen die »freiheitliche demokratische Grundordnung« der Bundesrepublik zu übermitteln.

Die Aufforderung ist ausdrücklich an alle »Behörden des Landes, der Gemeinden, der Gemeindeverbände« gerichtet, in Bayern darüber hinaus an alle sonstigen »Einrichtungen des Staates«. Meldepflichtig sind aber auch zumeist »die Gerichte« sowie alle »juristischen Personen des öffentlichen Rechts«, in West-Berlin und in Schleswig-Holstein selbst jene, die nicht »der Aufsicht des Landes unterstehen«.

Mithin: Bedienstete von Handwerks- und Notar-, Apotheker- und Ärzte-, Industrie- und Handelskammern. dazu Finanzfahnder und Forstbeamte« Pädagogen und Dorfschulzen, Richter und Amtsärzte -- sie alle haben, wenn sie keine Dienstpflichtverletzung riskieren wollen, dem geheimen Nachrichtendienst ihres Landes zuzuarbeiten.

Obwohl Rechtskundigen wie dem hannoverschen Staatsrechtler Professor Hans-Peter Schneider »kein demokratisches Land mit einem solchen System der Zuträgerei für den Geheimdienst« bekannt ist; obgleich »eine solche Breite der Zuarbeit«, so der Celler Notarkammer-Präsident Werner Holtfort, »1933 selbst der Gestapo nicht zur Verfügung gestellt« wurde, passierte das »Gesetz über den Verfassungsschutz«,

* Getarnter Beamter photographien Teilnehmer einer Dortmunder Vietnam-Demonstration

zumeist einstimmig, sechs Landtage als vermeintliche Routinesache.

Erst nachdem im Herbst letzten Jahres in Niedersachsen der damalige Innenminister Rötger Groß (FDP) die Verfassungsschutzvorlage -- die auf einem einschlägigen Bundesgesetz und einem Musterentwurf der Innenministerkonferenz basierte -- dem Parlament präsentiert hatte, wurde Widerspruch laut: Dem SPD-Abgeordneten Wolfgang Pennigsdorf, 40, Justitiar der IG Chemie, fiel in dem Papier die Tendenz auf, »die Verfassungsschutzbehörde zu einer Art Überbebörde in unserem Land zu machen« (SPIEGEL 16/1976).

Als Ende letzten Monats im hannoverschen Landtag die Verabschiedung des Gesetzes anstand. war zwischen Ems und Elbe eine Art »Volksaufstand« ("Süddeutsche Zeitung") ausgebrochen: Alarmiert von Pennigsdorfs Kritik. hatten Gewerkschaften und Schülerräte, der Niedersächsische Städteverband und die evangelische Kirche. Universitäten und auch der Bund deutscher Kriminalbeamter gegen den Gesetzentwurf Bedenken angemeldet; Tenor: »Freiheit stirbt zentimeterweise.«

Beeindruckt von soviel Widerspruch. hatte sich auch die SPD -- im Februar vom Christdemokraten Albrecht aus der Regierung gedrängt -- viele der Bedenken des Parteilinken Pennigsdorf zu eigen gemacht. Innen- und Rechtsausschuß des Landtages berieten über die Vorlage mit einer »Gewissenhaftigkeit, ja Akribie« und »so lang dauernd« (CDU-Berichterstatter Winfried Hartmann) wie über kaum einen anderen Gesetzentwurf zuvor.

Die beispiellose Prüfprozedur förderte in dem Entwurf -- und den damit weitgehend Identischen Verfassungsschutzgesetzen anderer Bundesländer -- eine Vielzahl von Schwachstellen zutage. Die Abgeordneten modifizier-

* Demonstrant mit Tarnkappe.

ten denn auch die hannoversche Vorlage mit einer Reihe von Änderungsanträgen -- über deren Qualität die Parlamentarier freilich unterschiedlicher Ansicht sind.

Die CDU teilt die Meinung des freidemokratischen Ex-Innenministers Groß, das am 24. Juni verabschiedete Niedersachsen-Gesetz sei schließlich »besser und präziser« ausgefallen als »alle anderen entsprechenden Bundes- und Landesgesetze«. Viele SPD-Abgeordnete hingegen stimmten, so ihr Landeschef Professor Peter von Oertzen, auch dem bereinigten Gesetz nur unter »zum Teil sehr schwerwiegenden Bedenken« zu. Fraktionsvize Pennigsdorf und zehn Mitstreiter, darunter der ehemalige Kultusminister Gottfried Mahrenholz, fanden den Entwurf trotz Änderungen (Pennigsdorf: »Augenauswischerei") unannehmbar; sie stimmten dagegen.

Einig waren sich alle Abgeordneten aber in der Einsicht gewesen, daß per Landesgesetz geregelt gehöre, in welche Angelegenheiten die hannoverschen Geheimdienstler ihre Nase stecken sollen, ob und gegen wen sie etwa Wanzen oder Spitzel ansetzen dürfen, wer ihnen als Zuträger zu dienen hat und wem Einsichtnahme in ihre Dateien und Dossiers zusteht. Denn in Niedersachsen wie in den meisten anderen Bundesländern waren die Verfassungsschutzämter über ein Vierteljahrhundert lang ohne jegliche landesgesetzliche Grundlage tätig gewesen.

Nur: Ob »Vertrauen« in die Beamten des Verfassungsschutzes (CDU-Forderung) eine ausreichende Sicherung sei -- darauf konnten sich die Landesparlamentarier nicht verständigen. SPD-Linke wie Pennigsdorf erinnerten an die einst gesetzwidrig vom Bundesnachrichtendienst betriebene »Inlandsaufklärung«, an die Bonner Abhöraffäre und an diverse CIA-Skandale: »Wir können nicht so tun, als sei das alles bei uns ausgeschlossen.«

Der einstige Verfassungsschutz-Vorgesetzte Groß hingegen verdächtigte die Gesetzeskritiker im Landtag, sie hätten »schlechte Filme« gesehen. Und CDU-Landesvorsitzender Wilfried Hasselmann mokierte sich gegenüber Pennigsdorf: »Was haben Sie für Sorgen.«

Eine Befürchtung der Linken allerdings teilten schließlich auch Frei- und Christdemokraten. Die Verpflichtung aller Behörden, Gerichte und Kammern. verdächtige Tatsachen dem Verfassungsschutz zu melden, wurde in den Parlamentsausschüssen »teils mit großer Mehrheit« -- so Oertzen -- auf den »unstreitigen Kern reduziert«.

»Von sich aus« müssen diese Stellen in Niedersachsen nun nicht -- wie in sechs anderen Ländern vorgeschrieben -- alle »Bestrebungen« gegen die »Grundordnung« melden, sondern lediglich Fakten, die auf Spionage oder Terrorismus deuten. Pennigsdorf: »Hier ist eine wirkliche Verbesserung erzielt worden,«

In Bremen, Berlin und Bayern, in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und im Saarland dagegen besteht -- so Hannovers Rechtslehrer Schneider -- weiterhin »zumindest die Gefahr«, daß sich aus der uneingeschränkten Meldepflicht »ein umfassendes Spitzel- und Überwachungssystem entwickelt, welches einerseits notwendige Kritik schon durch die bloße Möglichkeit einer Mitteilung an den Verfassungsschutz unterbindet und andererseits dem Denunziantentum Tür und Tor öffnet«. »Wir erwarten, daß der Professor uns anruft.«

Verstärkt wird dieses Risiko dadurch. daß alle einschlägigen Landesgesetze eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe -- wie etwa »Belange der Bundesrepublik« oder »freiheitliche demokratische Grundordnung« (Spötter-Kürzel: »FDGO") -- enthalten, die einen weiten Auslegungsspielraum einräumen. Die Gesetze gewähren somit, wie die »Humanistische Union« in Hannover kritisierte, »praktisch dem Dienstherrn des Verfassungsschutzes die Definitionsvollmacht über verfassungsfeindliche oder sicherheitsgefährdende Bestrebungen«.

Gerade die FDGO-Formel werde, hatte unlängst SPD-Chef Brandt geklagt, häufig so ausgelegt. »als sei das. was manche Leute die freie Marktwirtschaft nennen, Teil des Grundgesetzes«.

Über DKP-Mitglieder -- ob Schüler. Studenten oder öffentlich Bedienstete -- erhoffen sich die Geheimdienstler laufende Berichterstattung »Wir erwarten«, erklärte ein leitender Verfassungsschützer dem SPIEGEL, »wenn ein Hochschullehrer hört, wie einer sagt, er wolle in den öffentlichen Dienst. und der ist in der DKP -- daß der Professor uns dann anruft.«

Darüber hinaus können die Verfassungsschutzämter -- in Niedersachsen wie anderswo -- nunmehr »über alle Angelegenheiten, deren Aufklärung zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich ist«. von sämtlichen Gerichten, Behörden und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts »Auskünfte und die Übermittlung von Unterlagen« verlangen -- eine pauschale Ermächtigung. deren Konsequenzen bislang kaum kritisch diskutiert worden sind.

Zwar hatte Willi Birkelbach, Westdeutschlands erster. vom hessischen Landtag eingesetzter »Datenschutzbeauftragter«, bereits 1975

in seinem Jahresbericht auf Möglichkeiten des politischen Mißbrauchs vertraulicher Daten hingewiesen -- etwa den .Versuch des ehemaligen US-Präsidenten Nixon, durch systematische Nachforschungen bei der Steuerfahndung, beim Rauschgiftdezernat oder allgemein in Unterlagen der Verbrechensbekämpfung belastende Angaben über politische Gegner zu sammeln«.

Trotz solcher »warnenden Beispiele (Birkelbach) jedoch wurden die Nachrichtendienste der Länder per Gesetz ermächtigt, unkontrolliert unter anderem Material anzufordern

* von den Datenzentralen der Hochschulen, in denen etwa gespeichert ist, welcher Student einmal linke Vorlesungen und Übungen belegt hat;

* von den Personalverwaltungen des öffentlichen Dienstes sowie den Lehrer- und Schüler-Individualdateien der Länder, in denen beispielsweise die Ergebnisse von IQ- und Psychotests konserviert werden;

* von den kommunalen und Landesrechenzentren, die pro Bürger bis zu 400 persönliche Einzeldaten erfassen;

von den Staats- und Universitätsbibliotheken, deren Computer Auskunft über das Leseverhalten von Hunderttausenden geben könnten. Was sich ausnimmt wie ein Alptraum von der Machtübernahme des »Großen Bruders, der alles und jedwedes zur Kenntnis nimmt« (Pennigsdorf). liegt politisch so fern nicht: In den sechziger Jahren bereits, warnt der Bonner Datenschutz-Experte Ulrich Seidel, habe das Pentagon die Namen von mehr als sieben Millionen US-Bürgern erfaßt, die »als politisch dissident galten. Und eine »Beobachtung des Leseverhaltens« beispielsweise sei, so Seidel, »auch in der Bundesrepublik Deutschland von besonderem nach richtendienstlichem Interesse«.

Gleichwohl hat bislang nur ein einziges Bundesland Vorkehrungen gegen derlei Mißbrauch getroffen: Allein in Hessen, berichtet Seidel, soll ein auf Anregung des Datenschutzbeauftragten ergangener Ukas verhindern, daß sich »der Verfassungsschutz aus öffentlichen Bibliotheken Listen von Entleihern bestimmter politischer Literatur verschaffen« kann.

Als legitim erscheinen lassen die Amtshilfeklauseln der Verfassungsschutz-Landesgesetze nun jedoch eine Vielzahl von Daten-Transaktionen, die technisch ohnehin seit Jahren schon möglich sind -- bis hin zur Zusammenführung der derzeit noch auf diverse Computer des Staates verteilten Personenangaben zu einer Art »Untertanendatei« (Seidel). die alle als Verfassungsfeinde verdächtigten Subjekte enthalten könnte. »Mit einem Federstrich«, urteilt Professor Schneider. seien in den Ländern »jahrzehntelange Bemühungen um einen Datenschutz einfach unterlaufen« worden.

Das neue Bundesdatenschutzgesetz, das am 1. Januar 1978 in Kraft treten soll, schließt solchen Mißbrauch nicht aus. Im Gegenteil: Gerade den Geheimdiensten soll darin eine überdimensionierte Dunkelzone eingeräumt werden, in der »rechtsstaatliche Sicherungen zum Schutz des Bürgers . nicht oder nicht ausreichend vorgesehen sind«, wie der Regensburger Rechtsprofessor Wilhelm Steinmüller. langjähriger Datenschutz-Gutachter der Bundesregierung, nachgewiesen hat (SPIEGEL 24/1976).

Verfassungsrechtlich zumindest bedenklich erscheinen auch jene Regelungen der Landesgesetze, die -- etwa in Bayern und in Rheinland-Pfalz -- pauschal vorschreiben, der Verfassungsschutz habe mitzuwirken »bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben«.

Denn erst im Mai vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß sich Einstellungsbehörden vor der Übernahme eines Bewerbers in den Vorbereitungsdienst dessen Beurteilung »nicht erst von anderen (Staatsschutz-)Behörden systematisch nach entsprechenden Erhebungen zutragen« lassen dürfen.

»Ermittlungen der letztgenannten Art« nämlich, entschied das Gericht, »vergiften die politische Atmosphäre, irritieren nicht nur die Betroffenen in ihrem Vertrauen in die Demokratie, diskreditieren den freiheitlichen Staat, stehen außer Verhältnis zum »Ertrag« und bilden insofern eine Gefahr, als ihre Speicherung allzu leicht mißbraucht werden kann.«

In allen Ländern, die in den letzten Jahren Verfassungsschutzgesetze verabschiedet haben, sind die »Controlettis« (Uni-Jargon) obendrein befugt, sich zwecks FDGO-Verteidigung gewisser »nachrichtendienstlicher Mittel« zu bedienen. Mit diesen -- nicht näher definierten -- Methoden dürfen die Staatsschützer in Bayern und Berlin selbst Bewerber für den öffentlichen Dienst überprüfen.

Welche Instrumente die Gesetze meinen, deutet die Begründung zum Niedersachsen-Entwurf an: Mittel, »die der geheimen, das heißt dem Betroffenen oder Außenstehenden nicht wahrnehmbaren Nachrichtenbeschaffung dienen«. Konkretes, argumentierten Hannovers Innen-Ministeriale in den Ausschußberatungen, dürfe keinesfalls ins Gesetz geschrieben werden; das würde »die Anpassung der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes an die technische Entwicklung« erschweren.

Da liegt die Frage nahe, ob -- so die Humanistische Union (HU) -- »in Zukunft auch Abhörgeräte, Richtmikrophone und ähnliche technische Überwachungsmittel unkontrolliert verwendet werden« sollen. Delikate Daten vom Innenminister.

Auszuschließen ist das nicht: Zwar verbietet Paragraph 201 des Strafgesetzbuches, »unbefugt« das »nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger« aufzunehmen. Staatsschützer jedoch könnten nunmehr, fürchten die HU-Bürgerrechtler. die Formulierung der Landesgesetze als Befugnis zu elektronischer Schnüffelei interpretieren.

Sollte diese »irrige Auffassung« (von Oertzen) unter Verfassungsschützern tatsächlich Anhänger finden, könnte -- unter Ausschluß der Öffentlichkeit -- unschwer ein Gesetz zu Artikel 10 der Verfassung umgangen werden, das das geheimdienstliche Abhören von Telephonaten abhängig macht von der Zustimmung durch besondere parlamentarische Instanzen in Bund und Ländern, die sogenannten G-10-Kommissionen:

Um von den lästigen Kontrolleuren nicht behelligt zu werden, brauchten die Staatsschützer statt der Telephonate nur die, ohnehin oft ergiebigeren, sonstigen Gespräche mitzuhören -- sei es per Wanze, sei es per Richtmikrophon.

Solche und andere Formen der geheimen Nachrichtenbeschaffung würden weniger bedenklich stimmen, wenn sichergestellt wäre, daß die so gewonnenen Daten, dicht abgeschottet gegen Unbefugte, im »Geheimbereich« verbleiben. Jedoch: Gerade jene Passagen der Ländergesetze, die eine »Weitergabe von Erkenntnissen an Dritte« regeln, haben »die am schwersten wiegenden Meinungsverschiedenheiten« (Oertzen) ausgelöst.

In Schleswig-Holstein, im Saarland, in Hessen, Bayern und Berlin ist die Weitergabe von Daten im Verfassungsschutzgesetz durch keinerlei Einschränkung begrenzt. In Bremen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen dürfen solche Erkenntnisse »an andere als staatliche Stellen« weitergereicht werden, soweit dies entweder zur Terror- oder Spionage-Abwehr oder aber »zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung« erforderlich ist; in Bremen muß der Innensenator, in Niedersachsen »im Einzelfall« der Innenminister oder sein Staatssekretär zustimmen. Datenschützer freilich halten auch die -- vergleichsweise bürgerfreundliche -- niedersächsische Regelung für unzureichend, weil sie dem Verfassungsschutz die Möglichkeit offenhalte, zwecks FDGO-Schutz beispielsweise Unternehmer und ihre Verbände auf DKP-Arbeitnehmer aufmerksam zu machen, Gewerkschaftsführungen auf Maoisten hinzuweisen oder SPD-Funktionäre auf Stamokaps im Unterbau.

Damit aber, kommentiert der hannoversche Gesetzes-Kritiker Schneider, »ist zumindest theoretisch ein Weg eröffnet, bestimmte Personen oder Gruppen politisch zu diffamieren und sogar von privaten Arbeitsverhältnissen fernzuhalten« -- was letztlich einer Ausweitung des sogenannten Radikalenerlasses auf die bundesdeutsche Wirtschaft gleichkommen würde.

Daß Verfassungsschutz-Dossiers zudem auch zu parteipolitischen Zwecken mißbraucht werden können -- dafür fehlt es nicht an Anhaltspunkten. Jüngst erst hat die CSU-Materialsammlung über Franz Josef Straußens Intimfeind Franz Heubl dem Bonner SPD-Vorstand Anlaß zu der Frage gegeben, ob in dieses Dossier »auch Erkenntnisse deutscher Nachrichtendienste« eingeflossen seien -- ein Verdacht, den das Heubl-Papier in der Tat nahelegt.

Freidemokrat Wolfgang Mischnick, derzeit Vorsitzender des Bonner Vertrauensmännergremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, kündigte nach Bekanntwerden des Heubl-Dossiers denn auch sogleich an, diese Institution werde sich der Affäre annehmen müssen: »Es wäre ungeheuerlich, wenn sich herausstellen sollte, daß nachrichtendienstlich gesammeltes Material einer Partei zugeleitet und für innerparteiliche Machtkämpfe eingesetzt wird.«

Dies freilich wäre nicht neu. Immer wieder ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden, wie bedenkenlos selbst Verfassungsschutz-Spitzen oft mit delikaten Daten hantieren: 1> In West-Berlin stiftete 1971 der sozialdemokratische Landesamt-Leiter Eberhard Zachmann parteiinterne Verwirrung, als er dienstlich erworbene Erkenntnisse über ein SPD-Mitglied ("sicherheitspolitisches Risiko") unter Genossen weiterreichte (SPIEGEL 14/1971); > in Hamburg verlautbarte 1974 der damalige Verfassungsschutz-Senator und heutige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose, der -- rechten Sozialdemokraten unbequeme -- linksliberale FDP-Abgeordnete Gerhard Weber sei »objektiv ein Sicherheitsrisiko«; der so in Mißkredit gebrachte Weber unterlag daraufhin bei der Wahl des FDP-Fraktionsvorsitzenden (SPIEGEL 37/1974).

Als im selben Jahr der Mainzer Innenminister Heinz Schwarz (CDU) einen internen Baader-Meinhof-Report publizieren ließ, der »auch unbewiesene Angaben über Personen außerhalb seines Amtsbereichs enthielt«, forderte Hessens Datenschützer Birkelbach, daß auch die landespolitischen »Spitzen gebunden sein müssen«. Denn, so Birkelbach, »immerhin gibt es -- mit den elf Ländern und dem Bund -- zwölf Innenminister beziehungsweise -senatoren«, die sich unkontrolliert aus dem bundesweiten Daten-Pool der Sicherheitsorgane zwecks Weitergabe bedienen können.

Gleichwohl blieb auch im niedersächsischen Landtag eine Anregung hannoverscher Juristen unberücksichtigt, die Weitergabe von Verfassungsschutz-Daten an »außerbehördliche Dritte« von der Zustimmung eines besonderen parlamentarischen Gremiums abhängig zu machen. Die Mitglieder dieser Kontrollinstanz sollten, so der Vorschlag, vom Landtag mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt werden.

Durch das nun verabschiedete Gesetz jedoch könnte Niedersachsens Innenminister Gustav Bosselmann (CDU) sich befugt sehen, Vertrauliches -- Angaben über Parteizugehörigkeit, Demonstrationsverhalten, politische Jugend-Eseleien -- beispielsweise auch an den rechten »Bund Freiheit der Wissenschaft« oder an private Schnüffelfirmen weiterzureichen.

An Interessenten mangelt es nicht: Neuerdings beauftragen westdeutsche Großunternehmen, wie das Wirtschaftsblatt »Capital« jüngst zu melden wußte, immer häufiger Detektive mit der politischen Ausforschung von Job-Aspiranten. »Auskünfte über extreme politische Aktivitäten sind«, recherchierte das Blatt. »unter 95 Mark nicht zu haben.«

Unbeachtet blieb in Niedersachsen wie anderswo der Appell Birkelbachs an die Landtage, exakt festzulegen, »wie lange Informationen über den Bürger ... vom Verfassungsschutzamt zur Verfügung gehalten werden« dürfen. Dabei hat sich gerade jüngst in Hannover erwiesen, wie leichtfertig politisch aktive Bürger verdächtigt werden können und wie schwierig es ist, solchen Makel zu tilgen:

Monatelang bemühte sich die Gefangenen-Hilfsorganisation »Amnesty international« ("ai") um die Löschung eines vom Verfassungsschutz archivierten Polizei-Vermerks. eine 19jährige Hannoveranerin arbeite bei »ai« mit und sei daher »in staatsabträglicher Hinsicht« aktiv.

Obwohl die Landesregierung im Februar nach öffentlichen Protesten erklärte, der »abwegige« Vermerk werde »ohne jede Auswertung vernichtet«, konnten die Verfassungsschützer unlängst, nach mehreren Anfragen des »ai«-Anwalts« mitteilen, das Papier werde nun doch »nicht vernichtet« werden. »Wer schützt uns«, fragte daraufhin der »ai«-Vorstand« »vor dem Verfassungsschutz?«

Schutz vor Bürokraten-Willkür wäre nach Ansicht vieler Abgeordneter am ehesten von verstärkter parlamentarischer Kontrolle zu erwarten -- eine Überlegung, die Niedersachsens SPD dazu veranlaßte, die Einrichtung eines »aus fünf Abgeordneten bestehenden Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes« zu fordern.

Die fünf sollten -- anders als die seit Jahren bestehenden, aber ohne gesetzliche Grundlage arbeitenden »Vertrauensmännergremien« der Landtage -- »über die informelle Unterrichtung hinaus eine spezielle parlamentarische Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden« ermöglichen. CDU und FDP lehnten den Antrag ab -- mit zum Teil absonderlich anmutenden Begründungen.

Ein solcher Ausschuß könne, sprach Christdemokrat Ernst-Henning Jahn im hannoverschen Parlament. eines Tages von verfassungsschutzfeindlichen Abgeordneten unterwandert werden; zudem würde das Gremium eine Vielzahl von »querulatorischen Eingaben provozieren«. FDP-Chef Groß fand es »unerträglich, den Angehörigen des Verfassungsschutzes ausdrücklich oder stillschweigend die Bereitschaft zum Verfassungs- und Rechtsbruch zu unterstellen«.

Immerhin: Freidemokraten anderswo sehen das anders. In Hamburg. wo ein einschlägiges Gesetz derzeit vorbereitet wird, war die FDP mit der Forderung »Kontrolliert die Kontrolleure« in die letzte Bürgerschaftswahl gezogen.

Und gegen den Widerstand der Sozialdemokraten hatten die hanseatischen Liberalen durchsetzen können. daß in die SPD/FDP-Koalitionsvereinbarung als Programmpunkt aufgenommen wurde« zur »parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes« solle ein dreiköpfiger Abgeordneten-Ausschuß eingesetzt werden. Über die Verwirklichung dieser Forderung allerdings liegen die Koalitionspartner noch im Streit.

In anderen Bundesländern stehen, so scheint es, ähnlich bürgerfreundliche Regelungen nicht einmal zur Diskussion. Das christdemokratisch regierte Baden-Württemberg will« offenbar unbeeindruckt von der niedersächsischen Diskussion, den Musterentwurf der Innenministerkonferenz bis Ende 1977 in Kraft setzen -- »ohne wesentliche Änderungen« (Oberregierungsrat Dr. Roland Frömel). Im sozialliberalen Hessen« wo ein fast in Vergessenheit geratenes Gesetz aus dem Jahre 1951 existiert, denken die Politiker »nicht daran, jetzt schnellstens grundlegende Reformen vorzunehmen« (Innen-Ministerialrat Werner Hoffmann).

In Nordrhein-Westfalen schließlich scheint die SPD/FDP-Mehrheit auf eine landesrechtliche Regelung der heiklen Materie völlig verzichten zu wollen: Ohne ein solches Gesetz könne der Verfassungsschutz, so ein Sprecher. doch auch »sehr gut verfahren«.

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