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»Eine bessere und gerechtere Nation«

Hillary Rodham Clintons Erinnerungen an acht turbulente Jahre im Weißen Haus (II)
aus DER SPIEGEL 25/2003

Am Tag des Halloween-Festes 1993 nahm ich die Sonntagsausgabe der »Washington Post« zur Hand und stellte überrascht fest, dass unser altes, verlustreiches Immobiliengeschäft in Arkansas aus der Versenkung zurückgekehrt war.

Der Name Whitewater wurde bald zum Synonym für eine schrankenlose Durchleuchtung unseres Lebens. Allein die Untersuchung durch den Sonderermittler Kenneth Starr kostete die Steuerzahler 70 Millionen Dollar. Sie förderte nie auch nur den geringsten Verstoß unsererseits zu Tage. Doch auf jede Entkräftung einer Anschuldigung folgte gleich ein neuer Vorwurf. Wir fühlten uns, als ob wir in einem Spiegelkabinett Gespenster jagten: Wann immer wir in eine Richtung liefen, mussten wir feststellen, dass die Erscheinung verschwunden war - um im nächsten Augenblick in unserem Rücken wieder aufzutauchen. Whitewater war wie ein Phantom - etwas Irreales, das in der Realität jeder Grundlage entbehrte. Der einzige Zweck der Untersuchungen bestand darin, den Präsidenten in Misskredit zu bringen und die Regierungsarbeit zu stören. Whitewater war von Anfang an ein politischer Feldzug, der zum Sammelbegriff für sämtliche Angriffe wurde, die unseren politischen Gegnern einfielen. Wir standen im Zentrum eines zunehmend feindseligen ideologischen Konflikts zwischen gemäßigten Demokraten und einer Republikanischen Partei, die immer weiter nach rechts tendierte. Wir merkten bald, dass in diesem Krieg alles erlaubt war und die andere Seite mit den Waffen des politischen Kampfs weit besser ausgestattet war: Geld, Medien und Organisation.

Nach mehreren politischen Rückschlägen in beiden Häusern des Kongresses wussten wir, dass wir dabei waren, den PR-Krieg um die Gesundheitsreform zu verlieren. Im Dezember 1993 hatte der republikanische Stratege und Autor William Kristol ein Memo an republikanische Kongressführer verschickt, in dem er sie drängte, die Gesundheitsreform zur Strecke zu bringen. Der Plan, schrieb er, sei eine »ernsthafte politische Bedrohung für die Republikanische Partei«, und sein Scheitern wäre ein »gewaltiger Rückschlag für den Präsidenten«. Seine Ablehnung hatte nichts mit dem Inhalt des Plans zu tun, sondern mit parteipolitischer Logik.

Nach einem insgesamt 20 Monate währenden Kampf gestanden wir unsere Niederlage ein. Wir wussten, dass wir zahlreiche Experten im Gesundheitswesen sowie einige unserer Abgeordneten enttäuscht hatten. Letzten Endes war es uns nicht gelungen, die große Mehrheit der versicherten Amerikaner davon zu überzeugen, dass sie nicht auf Leistungen würden verzichten müssen, um den Mitbürgern zu helfen, die keine Krankenversicherung hatten.

Obwohl Bills Amt bei den Zwischenwahlen zum Kongress im Jahr 1994 nicht zur Disposition stand, wussten wir, dass sich seine Amtsführung - also auch der Rückschlag bei der Gesundheitsreform - auf das Wahlergebnis auswirken würde.

Am späten Nachmittag des Wahltags machte sich in den Gängen des Weißen Hauses eine Stimmung wie bei einem Begräbnis breit. Die Demokraten verloren 8 Senatssitze und erschreckende 50 Sitze im Repräsentantenhaus. Das Ergebnis bedeutete die erste republikanische Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses seit der Regierung Eisenhower. Überall waren die demokratischen Amtsinhaber abgewählt worden. Meine Freundin Ann Richards musste das Gouverneursamt von Texas an einen Mann mit einem berühmten Namen abtreten: George W. Bush.

Das amerikanische Volk hatte uns eine deutliche Botschaft geschickt. Erschöpft und enttäuscht, musste ich mir die Frage stellen, welchen Teil ich zu diesem Debakel beigetragen hatte: Hatte ich zu viel gewagt, als ich darauf gehofft hatte, das Land werde meine aktive Rolle im Weißen Haus akzeptieren? Und wie war es dazu gekommen, dass ich mich in eine bevorzugte Zielscheibe für die Wut so vieler Menschen verwandelt hatte?

Die Republikaner, nun in der Mehrheit, begannen damit, in der Debatte über das jährliche Haushaltsgesetz verschiedenen Programmen den Garaus zu machen, indem sie ihnen die Finanzierung verweigerten. Sie wollten den Staat in Bereichen wie dem Verbraucher- und Umweltschutz, den Einkommensbeihilfen und den Unternehmensvorschriften seiner Regulierungsfunktion berauben.

Wir waren zunehmend befremdet von der erbitterten Rhetorik, mit der die Führer der Republikaner die Regierung, die Gemeinschaft, ja selbst herkömmliche Gesellschaftskonzepte attackierten. Sie schienen zu glauben, dass im Amerika des späten 20. Jahrhunderts lediglich altmodischer, ruppiger Individualismus zählte - es sei denn, ihre Klientel verlangte besondere gesetzliche Gefälligkeiten. Ich betrachte mich selbst als sehr individualistische Person, bin jedoch davon überzeugt, dass ich als amerikanische Bürgerin Teil eines Systems aus Rechten und Pflichten bin, das für alle von Nutzen sein muss.

Die meisten Regierungen einschließlich der amerikanischen neigen dazu, sich auf die diplomatischen, militärischen und wirt- schaftlichen Einflussmöglichkeiten zu beschränken. Themen wie die Gesundheit der Frau, das Bildungsangebot für Mädchen, die Einschränkung der Rechte und der politischen Beteiligungsmöglichkeiten der Frau oder ihre wirtschaftliche Isolation finden nur selten Berücksichtigung in der außenpolitischen Debatte. Meines Erachtens lag es auf der Hand, dass manche Länder und Regionen im Bemühen um wirtschaftlichen oder sozialen Fortschritt in einer globalisierten Wirtschaft auf große Schwierigkeiten stoßen würden, solange ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz ihrer weiblichen Bevölkerung arm, ungebildet, ungesund und rechtlos leben musste. Die Uno-Frauenkonferenz, die alle fünf Jahre stattfindet, behandelt genau diese Themen und bietet den Nationen ein wichtiges Forum, um Fragen wie die Gesundheitsfürsorge für Mütter und Kinder, Mikrokredite, Gewalt in der Familie, Schulbildung für Mädchen, Familienplanung, Eigentums- und Grundrechte und das Frauenwahlrecht zu diskutieren. Ich hatte gehofft, meine Anwesenheit bei der Pekinger Konferenz von 1995 werde signalisieren, dass die Vereinigten Staaten entschlossen waren, die Bedürfnisse und Rechte der Frauen in den Mittelpunkt der internationalen Politik zu rücken.

Doch es gab bereits Einwände der üblichen Verdächtigen im Kongress, die der Meinung waren, die Vereinigten Staaten sollten nicht an der Konferenz teilnehmen. Unter diesen Politikern waren die Senatoren Jesse Helms und Phil Gramm, der verkündete, die Konferenz sei »ein nicht sanktioniertes Festival gegen die Familie«.

Es war am 4. September um Mitternacht, als wir schließlich im China World Hotel, einem für ausländische Besucher reservierten Luxushotel, eintrafen. Obwohl ich schon Tausende Reden gehalten hatte, war ich nervös: Das Thema lag mir sehr am Herzen, und ich würde als Vertreterin meines Landes sprechen. Vom Erfolg meiner Rede hing viel ab - für die Vereinigten Staaten, für die Konferenz, für Frauen in aller Welt und für mich selbst.

Als ich vor mein Publikum trat, sprach ich über meine Dankbarkeit, Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft von Frauen sein zu dürfen: »Dies ist ein wirkliches Fest. Wir haben uns versammelt, um gemeinsam eine Grundlage dafür zu schaffen, den Frauen und Mädchen in aller Welt zu mehr Würde und Respekt zu verhelfen.«

Ich war davon überzeugt, dass ich, um der Sache der Frauen zu dienen, auch unverblümt über das unmoralische Verhalten der chinesischen Regierung sprechen musste. Obwohl ich weder China noch irgendein anderes Land namentlich erwähnte, bestand kaum Zweifel daran, wer sich die schlimmsten Menschenrechtsverstöße zu Schulden kommen ließ, auf die ich zu sprechen kam: »Ich glaube, dass mit dem Beginn des neuen Jahrtausends der Zeitpunkt gekommen ist, unser Schweigen zu brechen. Es ist an der Zeit, dass wir hier in Peking für alle Welt hörbar sagen, dass es nicht länger akzeptabel ist, die Frauenrechte von den Menschenrechten zu trennen. Die Botschaft der Teilnehmerinnen dieser Konferenz muss laut und deutlich vernehmbar sein: Ein Baby verhungern zu lassen, es zu ertränken oder seine Knochen zu brechen, nur weil es als Mädchen zur Welt gekommen ist, bedeutet, ein Menschenrecht zu verletzen. Wenn diese Konferenz eine Botschaft aussendet, so sollte es die sein, dass Menschenrechte Frauenrechte sind und dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Lassen Sie uns dies ein für alle Mal klarstellen.«

Als ich die letzten Worte ausgesprochen hatte, sprangen die Zuhörerinnen, die bis dahin mit unbewegten Mienen dagesessen hatten, von ihren Sitzen auf und spendeten mir tosenden Beifall. Weniger positiv war die Reaktion der chinesischen Regierung. Im Nachhinein erfuhr ich, dass man meine Rede weder auf den Monitoren im Konferenzzentrum noch im chinesischen Fernsehen übertragen hatte, das über die Höhepunkte der Konferenz berichtete. Während die chinesische Führungsriege zu kontrollieren versucht, was das Volk erfährt und was nicht, war sie selbst erstaunlich gut informiert: Als wir uns nach der Rede ins Hotel zurückzogen, um einige Stunden auszuruhen, erwähnte ich beiläufig, wie schön es jetzt wäre, die »International Herald Tribune« zu lesen. Nach wenigen Minuten hörten wir einen dumpfen Schlag gegen die Tür: Wie auf ein Stichwort war die »Tribune« eingetroffen. Wir erfuhren nie, wer meinen Wunsch gehört und die Zeitung gebracht hatte.

In Bills Stab wurde seit dem Wahlkampf über die Reform der Sozialhilfe diskutiert. Bill hatte versprochen, den »Wohlfahrtsstaat in seiner gegenwärtigen Form« abzuschaffen. Ich teilte die Einschätzung, dass das System nicht mehr funktionierte und repariert werden musste, doch ich legte großen Wert darauf, dass ein angemessenes soziales Sicherheitsnetz erhalten blieb, das Wohlfahrtsempfänger so lange auffing, bis sie in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Während ich mich aus der öffentlichen Debatte heraushielt, machte ich Bill und seinen politischen Beratern im Westflügel unmissverständlich klar, dass ich mich in aller Öffentlichkeit gegen sie stellen würde, wenn sie einem republikanischen Gesetz zustimmten, das vor allem Frauen und Kindern schaden würde.

Das alte Wohlfahrtssystem hatte Generationen von Amerikanern hervorgebracht, die von Sozialleistungen abhängig waren. Das erste amerikanische Wohlfahrtsprogramm war in den dreißiger Jahren eingeführt worden, als Frauen kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt vorfanden, um in jener Zeit verwitweten Müttern unter die Arme zu greifen. Mitte der siebziger Jahre stieg die Zahl der unehelich geborenen Kinder deutlich an, und Mitte der Achtziger waren es vorwiegend ledige Mütter, die von Sozialleistungen lebten. In der Folge entstand eine Gesellschaftsgruppe, die auf Dauer von Sozialleistungen abhängig war. Dies weckte wiederum den Unmut der Steuerzahler, insbesondere den von Eltern, die beide wenig verdienten.

Ich hielt es nicht für gerecht, dass sich eine allein stehende Mutter um die Kinderbetreuung kümmern und jeden Tag früh aufstehen musste, um arbeiten zu gehen, während eine andere zu Hause blieb und von staatlicher Unterstützung lebte. So wie Bill war ich davon überzeugt, dass wir durch Kinderbetreuung und eine Krankenversicherung den Menschen einen Anreiz geben mussten zu arbeiten, statt Sozialleistungen zu beziehen.

Die Republikaner hatten ihre eigenen Vorstellungen von der Reform des Systems. Sie sprachen sich dafür aus, den Bezug von Sozialleistungen zeitlich zu begrenzen, die Bereitstellung von Bundesmitteln zu stoppen und legale Einwanderer - selbst jene, die erwerbstätig waren und Steuern zahlten - von allen Ansprüchen auf Sozialleistungen auszunehmen. Was der republikanische Plan dagegen nicht enthielt, waren generelle Anreize für Wohlfahrtsempfänger, die eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollten.

Ende 1995 begannen die politischen Grabenkämpfe um die Sozialreform. Ich glaube, viele Republikaner hofften, Bill in eine ausweglose Situation drängen zu können. Unterzeichnete er ihren Gesetzesvorschlag, so würde er wichtige demokratische Wählergruppen enttäuschen und Millionen Kinder, die unter der Armutsgrenze lebten, in eine kritische Situation bringen. Legte er sein Veto ein, so konnten ihm die Republikaner im Wahlkampf vorhalten, die Reform zu Fall gebracht zu haben, die in der Öffentlichkeit grundsätzlich auf Zustimmung stieß.

In der quälenden Zeit bis zur schließlich doch noch geglückten Reform der Sozialgesetze überschritt ich die Linie, die eine gesellschaftspolitische Aktivistin von einer Politikerin trennt. Meine Überzeugungen hatten sich nicht geändert, doch ich widersprach respektvoll der leidenschaftlichen Argumentation derer, die das Gesetz bekämpften.

Als Verfechter gesellschaftlicher Anliegen waren sie nicht zu Kompromissen gezwungen, mussten nicht mit Oppositionsführer Newt Gingrich verhandeln oder sich Gedanken darüber machen, das politische Gleichgewicht im Kongress zu erhalten. Ich erinnerte mich noch allzu gut an unsere Niederlage bei der Gesundheitsreform, die nach Ansicht mancher Beobachter nicht zuletzt auf mangelnde Kompromissbereitschaft zurückzuführen war. Ich glaube, dass man in der Politik nicht auf seine Prinzipien und Werte verzichten darf. Doch man muss in der Lage sein, seine Strategie anzupassen, um seine Ziele zu erreichen.

Als Bill und ich das Weiße Haus verließen, war die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 60 Prozent von 14,1 Millionen auf 5,8 Millionen gesunken. Millionen von Eltern hatten einen Arbeitsplatz gefunden. Die Einzelstaaten hatten Teilzeitarbeit und Niedriglohntätigkeiten gefördert, indem sie Arbeitskräften, die im Niedriglohnsektor tätig waren, weiterhin medizinische Versorgung und Lebensmittelmarken gewährten. Im Januar 2001 war die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Kinder um mehr als ein Viertel auf die niedrigste Rate seit 1979 gesunken.

Insgesamt hatten die neuen Sozialgesetze und der wirtschaftliche Aufschwung fast acht Millionen Menschen aus der Armut befreit - hundertmal mehr als unter der Regierung Reagan.

Wahltage sind quälend, denn man kann nichts anderes tun als warten - so auch der 5. November 1996, der Tag von Bills Wiederwahl. Als wir erfuhren, dass Bill mit stattlichen acht Prozentpunkten Vorsprung gewonnen hatte, war dies mehr als ein Sieg für den Präsidenten: Das Ergebnis bestätigte die Reife des amerikanischen Volkes. Die Bevölkerung hatte über das abgestimmt, was für sie Bedeutung hatte - Arbeit, Wohnung, Familie, Wirtschaft.

Die Bürger hatten sich nicht dazu verleiten lassen, über politisches Hickhack und fingierte Skandale abzustimmen. Trotz der vergifteten Atmosphäre in Washington hatten sie unsere Botschaft gehört. Der Grundsatz aus dem Wahlkampf 1992 - »It''s the economy, stupid!« - hatte weiterhin Gültigkeit, doch nun lag die Betonung auf dem, was der wirtschaftliche Aufschwung zu einem besseren Leben für alle Amerikaner beitragen konnte.

In Bills zweiter Amtszeit wollte ich einen Beitrag zur Gestaltung jener politischen Vorhaben leisten, die Frauen, Kinder und Familien betrafen. Obwohl die meisten Menschen in den hoch entwickelten Volkswirtschaften unter guten materiellen Bedingungen lebten, standen die Familien unter großem Druck. Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde größer. Ich wollte das soziale Sicherheitsnetz - Krankenversicherung, Bildung, Renten, Löhne und Gehälter, Arbeitsplätze - für jene Bürger erhalten, die durch das Netz zu rutschen drohten, da sie mit den technologischen Entwicklungen und der Entstehung einer globalen Konsumkultur nicht Schritt halten konnten.

Der zweiten Amtseinführung sahen wir sehr viel gelassener entgegen als der ersten, und ich genoss die Veranstaltungen, ohne mich davor fürchten zu müssen, im Stehen einzuschlafen. Ich hatte das Gefühl, dass wir diesen neuen Lebensabschnitt gestählt in Angriff nehmen würden: mit etwas härteren Kanten, jedoch belastbarer und ausdauernder. Bill war in den vergangenen Jahren in das Amt des Präsidenten hineingewachsen - auch optisch. Zum ersten Mal in seinem Leben entsprach sein Aussehen seinem tatsächlichen Alter. Er war schlohweiß, wirkte sehr würdevoll, hatte sich aber jenes jungenhafte Lächeln, jenen scharfen Verstand und jenen ansteckenden Optimismus bewahrt, in den

ich mich vor so langer Zeit verliebt hatte. 25 Jahre später strahlte ich noch immer, wenn er den Raum betrat. Wir teilten den Glauben an die Bedeutung des Dienstes an der Gemeinschaft, und wir waren der beste Freund des anderen. Doch vor allem brachten wir einander immer noch zum Lachen. Ich war sicher, dass uns dies durch weitere vier Jahre im Weißen Haus bringen würde.

Bill verdankte seinen Erfolg seinen politischen Fähigkeiten, die Lähmung der Demokratischen Partei zu erkennen und zu überwinden. Unsere Partei hatte das Land durch die Depression, durch den Zweiten Weltkrieg, durch den Kalten Krieg und durch die Bürgerrechtsrevolution geführt.

Nun musste die Parteiführung, ausgehend von unseren zentralen Werten, neue Antworten auf die Bedrohung der globalen Sicherheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts und auf den Wandel der Arbeits- und Familienbeziehungen finden. Bill versuchte, die Demokraten dazu zu bewegen, die »hirntote Politik der Vergangenheit« - rechts gegen links, Liberale gegen Konservative, Arbeitgeber gegen Arbeitnehmer, Wachstum gegen Umweltschutz, staatliche Lenkung gegen Staatsfeindlichkeit - zu überwinden und eine » dynamische Mitte« zu schaffen.

Auch für mich zeichnete sich schon bald eine neue Perspektive ab. Am Freitag, dem 6. November 1998, gab der New Yorker Senator Daniel Moynihan in einem Interview bekannt, dass er nicht für eine fünfte Amtszeit kandidieren werde. Spätabends stellte die Vermittlung des Weißen Hauses einen Anruf des Abgeordneten Charlie Rangel zu mir durch. Charlie war ein altgedienter Kongressabgeordneter aus Harlem und ein guter Freund. »Ich habe gerade erfahren, dass Senator Moynihan seinen Rückzug aus dem Senat angekündigt hat. Ich hoffe sehr, dass du über eine Kandidatur nachdenken wirst. Ich glaube, du hast wirklich gute Chancen.«

»Es ist schön, dass du an mich gedacht hast, Charlie, aber ich bin nicht interessiert«, sagte ich. »Abgesehen davon haben wir im Augenblick ein paar andere Dinge zu regeln.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber ich meine es ernst. Ich möchte, dass du dir die Sache überlegst.« Uns stand jedoch erst noch der Tiefpunkt der zweiten Amtszeit bevor, nachdem Sonderermittler Starr seinen Untersuchungsbericht dem Kongress übergeben hatte.

Am 18. Dezember 1998 wurde die Impeachment-Debatte eröffnet. Ich hatte seit Monaten kein einziges öffentliches Statement abgegeben, doch an diesem Morgen sprach ich mit einer Gruppe von Reportern vor dem Weißen Haus: »Ich glaube, die meisten Amerikaner teilen meine Zustimmung und meinen Stolz auf die Arbeit, die der Präsident für unser Land leistet. Und ich glaube, dass wir gerade in diesen Tagen, in denen wir Weihnachten, Chanukka und Ramadan feiern - eine Zeit der Besinnung und Versöhnung -, die Zwistigkeiten beenden sollten, weil wir gemeinsam so viel mehr erreichen können.«

Dick Gephardt, der Fraktionsführer der Demokraten im Abgeordnetenhaus, bat mich, unmittelbar vor der Abstimmung über die Anklagepunkte vor der Fraktion des Repräsentantenhauses am Capitol Hill zu sprechen. Als ich am nächsten Morgen vor den Demokraten stand, dankte ich allen dafür, dass sie der Verfassung, dem Präsidenten und ihrem Parteiführer die Treue gehalten haben: »Sie sind vielleicht wütend auf Bill Clinton«, sagte ich. »Auch ich bin nicht glücklich über das, was mein Mann getan hat. Doch ein Amtsenthebungsverfahren ist nicht die richtige Antwort. Es steht zu viel auf dem Spiel, um uns von dem ablenken zu lassen, was wirklich zählt.« Ich erinnerte sie, dass wir alle amerikanische Bürger waren, die in einem Rechtsstaat lebten, und dass wir es unserem Regierungssystem schuldeten, die Verfassung zu respektieren.

Der Ruf nach einer Amtsenthebung war Teil eines politischen Krieges, der von Menschen geführt wurde, die entschlossen waren, die Vorhaben des Präsidenten für Wirtschaft, Bildung, soziale Sicherheit, medizinische Versorgung, Umwelt und Frieden zu sabotieren - all das, wofür wir als Demokraten standen. Das durften wir nicht zulassen. Und ich versicherte ihnen, egal, wie die Abstimmung an diesem Tag auch ausgehen mochte, Bill Clinton würde nicht zurücktreten.

Das Repräsentantenhaus lehnte zwei Anklagepunkte ab, zwei wurden angenommen. Bill wurde wegen Meineids vor der Grand Jury und Behinderung der Justiz unter Amtsanklage gestellt. Nun würde im Senat ein Prozess gegen ihn stattfinden.

Der begann am 7. Januar 1999. Der Oberste Richter William Rehnquist trug zu diesem Anlass statt der üblichen schwarzen Robe ein Outfit, das er bis zu militärischen Rangabzeichen aus Goldborte auf den Ärmeln selbst entworfen hatte. Auf die Fragen der Presse antwortete er, die Kostüme in einer Aufführung der komischen Oper »Iolanthe« von Gilbert und Sullivan hätten ihn dazu inspiriert. Wie passend, dass er ein Theaterkostüm trug, um bei einer politischen Farce den Vorsitz zu führen.

Die Entscheidungsschlacht um die Verfassung im Kapitol bot einen eigenartigen Hintergrund für die Spekulationen über meine mögliche Kandidatur für den Senat. Ich war immer noch nicht interessiert daran, mich um Senator Moynihans Sitz zu bewerben, doch die demokratische Führung und Aktivisten aus dem ganzen Land taten alles, um mich zu einem Sinneswandel zu bewegen. All diese Aufmerksamkeit war sehr schmeichelhaft.

Der aussichtsreichste Anwärter der Republikaner, der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, würde für jeden demokratischen Kandidaten ein ungemein harter Gegner sein. Unsere Parteiführung befürchtete, einen seit langem von den Demokraten gehaltenen Sitz im Kongress zu verlieren, und suchte daher nach einem ähnlich Erfolg versprechenden Kandidaten, der auch die vielen Spendengelder auftreiben konnte, die für eine solche Kampagne benötigt wurden. In gewissem Sinn wurde mir die Kandidatur aus Verzweiflung angetragen: Ich war eine prominente Figur, die es mit Giulianis Bekanntheit aufnehmen und die Wahlkampfkassen der Demokraten füllen könnte.

An diesem Nachmittag lehnte der Senat mit großer Mehrheit den Antrag auf Bills Amtsenthebung ab. Keiner der gegen ihn erhobenen Vorwürfe erreichte auch nur annähernd die für eine Verurteilung erforderliche Zweidrittelmehrheit. Das Ergebnis war alles andere als aufregend. Es weckte

keine Begeisterung, sondern nur Erleichterung - die Verfassung und die Präsidentschaft waren unangetastet geblieben.

Die Beschäftigung mit der Kandidatur gab Bill und mir die Möglichkeit, endlich wieder über andere Dinge als die Zukunft unserer Beziehung zu sprechen. Er wollte mir helfen, und ich war dankbar für seinen sachkundigen Rat. Bill sprach geduldig mit mir über meine Sorgen und analysierte meine Aussichten sorgfältig. Wir hatten die Rollen getauscht, und nun übernahm er die Funktion, die ich in den vergangenen Jahren wahrgenommen hatte.

Im Juni unternahm ich die ersten konkreten Schritte zur Vorbereitung einer Kandidatur. Ich begann, mich erstmals in eigenem Namen um Wahlkampfspenden zu bemühen. Bei einer Spendenveranstaltung für die Demokratische Partei in Washington wurden Bill und ich auf der Bühne von der ehemaligen texanischen Gouverneurin Ann Richards begrüßt, deren spitze Zunge in der Hauptstadt legendär war: »Hillary Clinton, die nächste Juniorsenatorin aus New York, und nicht zu vergessen, ihr reizender Ehemann Bill«, stellte sie uns in ihrem texanischen Akzent vor. »Ich wette, er wird ordentlich Leben in den Club der Senatorengattinnen bringen.«

Rückblickend waren die schwierigsten Entscheidungen in meinem Leben jene, die Ehe mit Bill aufrechtzuerhalten und für den Senat zu kandidieren. Im Lauf der letzten Monate war mir klar geworden, dass ich Bill liebte und dass mir die gemeinsam verbrachten Jahre sehr viel bedeuteten. Auch wenn ich nicht daran zweifelte, mir allein ein befriedigendes Leben aufbauen und meinen Lebensunterhalt verdienen zu können, hoffte ich doch, dass Bill und ich miteinander alt werden könnten. Wir waren beide entschlossen, unsere Ehe auf unserem Glauben, unserer Liebe und unserer gemeinsamen Vergangenheit wieder aufzubauen. Und da ich nun wusste, welchen Weg ich mit Bill einschlagen wollte, fühlte ich mich frei, die ersten Schritte im Rennen um den Senatssitz zu wagen.

Mein besonderes Augenmerk auf meiner Tour durch den Staat galt der weiblichen Bevölkerung, die teilweise enttäuscht und verärgert auf meine Entscheidung reagiert hatte, mit Bill zusammenzubleiben. Ich hoffte, dass sie Verständnis für meinen Entschluss zu Gunsten meines Mannes und meiner Tochter hatten. Da ich diese privaten Dinge nicht bei großen Veranstaltungen thematisieren wollte, nahm ich an Dutzenden kleinen Versammlungen in Privathäusern von weiblichen Anhängerinnen im ganzen Staat teil. Die Gastgeberinnen luden jeweils etwa 20 Freundinnen und Nachbarinnen zu einem Gespräch mit mir ein. Ohne Blitzlichtgewitter und Reporter beantwortete ich bei einer Tasse Kaffee Fragen zu meiner Ehe, zu den Beweggründen für meinen Umzug nach New York, zum Gesundheitswesen und zu allen anderen Themen, über die meine Gesprächspartnerinnen reden wollten. Mit der Zeit zeigten immer mehr Frauen, die meine politischen Vorhaben grundsätzlich befürworteten, die Bereitschaft, meine Entscheidung für Bill zu akzeptieren.

Ich kämpfte bis zur letzten Minute, und als am Abend die Ergebnisse hereinkamen, zeigte sich rasch, dass ich mit sehr viel größerem Abstand als erwartet siegen würde. Ich zog mich gerade in meinem Hotelzimmer um, als Chelsea mir die Neuigkeit brachte: Die letzte Hochrechnung hatte ein Ergebnis von 55 zu 43 Prozent ergeben. Unsere harte Arbeit hatte sich bezahlt gemacht, und ich war dankbar dafür, New York vertreten und in einer neuen Rolle zur Entwicklung unserer Nation beitragen zu dürfen.

Die Präsidentenwahl entwickelte sich hingegen zu einer Achterbahnfahrt. Noch ahnte niemand, dass es 36 Tage dauern sollte, bis das Land erfahren würde, wer der nächste Präsident war.

Der Oberste Gerichtshof entschied am 12. Dezember mit fünf gegen vier Stimmen, die Neuauszählung der Stimmen in Florida zu beenden, womit er Bushs Sieg besiegelte. Vielleicht nie zuvor in der Geschichte unseres Landes wurde das Recht des Volkes auf die Wahl seiner Vertreter durch einen offenkundigen Missbrauch der richterlichen Gewalt durchkreuzt.

Endlich kam der große Tag meines Amtsantritts. Da nur Mitglieder des Kongresses und ihre Mitarbeiter Zugang zum Sitzungssaal des Senats haben - für Präsidenten werden keine Ausnahmen gemacht -, musste Bill meine Vereidigung gemeinsam mit Chelsea und meiner Mutter von der Besuchergalerie aus verfolgen. In den vergangenen acht Jahren hatte ich Bill von der Galerie aus zugesehen, während er seine Vorstellungen für die Zukunft unseres Landes erläutert hatte. Am 3. Januar 2001 trat ich im Senat vor, um zu schwören, »die Verfassung der Vereinigten Staaten zu unterstützen und gegen alle äußeren und inneren Feinde zu verteidigen«. Als ich mich umdrehte und zur Galerie hinaufsah, erblickte ich meine Mutter, meine Tochter und meinen Ehemann, die der neuen Senatorin des Bundesstaates New York zulächelten.

Schließlich kam der Zeitpunkt, das Weiße Haus zu verlassen.

Als wir das Foyer zum letzten Mal als Bewohner des Hauses betraten, hatten sich die ständigen Mitarbeiter zur Verabschiedung versammelt. Ich dankte dem Personal für den aufopferungsvollen Einsatz. Ich umarmte zum Abschied den altgedienten Butler Buddy Carter, der einen Tanz daraus machte und mit mir über den Marmorfußboden wirbelte. Mein Ehemann klatschte ihn ab, und wir tanzten unter dem Gelächter und dem Beifall der Umstehenden einen Walzer durch die Eingangshalle.

© Econ Verlag, München 2003.* Auf der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Pekingam 5. September 1995.* Mit dem damaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani (r. hinterClinton) sowie den Senatoren Charles Schumer (am Rednerpult) undTom Daschle (r.) am 20. September 2001.* Bei der Abschlussfeier ihrer Tochter Chelsea an der StanfordUniversity in Kalifornien am 16. Juni 2001.

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