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Artikel 57 / 74

EINE KARIKATUR AMERIKAS

aus DER SPIEGEL 35/1964

Dr. Peter von Zahn, 51, kennt, beschrieb und zeigte Amerika seit 1951 - zuerst als Korrespondent deutscher Rundfunk- und Fernsehstationen, zuletzt als bester »Reporter der Windrose« im eigenen TV-Produktionsunternehmen. Er gilt als kommender Chef des Dritten Fernsehprogramms beim WDR.

Mit Besorgnis schlägt man das Buch eines Autors auf, der zu seinem Gegenstand in einem Verhältnis der Haßliebe steht. Solche Schriften werfen fast immer mehr Licht auf die Seelenvorgänge im Verfasser als auf das, was zu schildern er vom Leder zieht. Da sie alles auf die einfachste Formel bringen, wirken sie auf den unorientierten Leser verführerisch. Haß-Schatten und Liebes-Licht sind symmetrisch geordnet. Die gleichmäßige Verteilung scheint ein Zeichen von Objektivität zu sein. Dabei handelt es sich in Wahrheit nur um grobe Schwarzweißmalerei. Daß die Entstellung durch Haß und Liebe das delikate Verhältnis zwischen Amerika und Europa heute besonders gefährdet, bedarf nach dem Parteitag von San Francisco keiner weiteren Begründung.

Die Lektüre des Buches von Hans Habe rechtfertigt all solche Besorgnisse und noch einige mehr. »Der Tod in Texas« verdunkelt Amerika und erhellt gewisse Vorgänge in Hans Habe.

Man erinnert sich, daß die Vereinigten Staaten dem begabten Emigranten aus Wien nach abenteuerlichen Irrfahrten Asyl gewährten und Aufgaben zuwiesen. Als Major reorganisierte er nach Kriegsende die resse in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands. Er wurde Chefredakteur der »Neuen Zeitung« in München. Ob es diese Verdienste waren, die man in Amerika nicht recht anerkannte, ob dort die Stimmung zu schnell von Umerziehuhg zu Bündnis umgeschlagen war, oder ob Habe die kühle Behandlung als Kränkung empfand, die ihm von seiten seiner aristokratischen Gönner widerfuhr, als er sich von der Millionärstochter Davies scheiden ließ - ich weiß es nicht. Jedenfalls warf Habe dann seinem Amerika literarisch den Fehdehandschuh hin. Seine Bücher klangen mit einem Male alles andere als schmeichelhaft für die neue Heimat. Die vertauscht er auch bald wieder mit Europa. Aber es bleibt über alle Enttäuschungen hinweg die sentimentale Anhänglichkeit an ein Land, das den Mann auf der Flucht aufnahm. Neben Haß bleibt Liebe. Und das ungezügelte Temperament Habes bleibt auch. Es erlaubt kein Abwägen und keinen Abstand.

Der Mord an Kennedy eröffnete einen Ausweg aus diesem schiefen Verhältnis. Wo bisher die Gefühle durcheinandergingen, konnte nun endlich Gut und Böse in der Neuen Welt eindeutig fixiert werden. Zu diesem Behuf zerlegt Hans Habe in seinem »Tod in Texas« Amerika in zwei Teile. Der eine heißt: Kennedy, Jugend, Eleganz, Intelligenz, New York, Kalifornien. Diesem Amerika gilt eine abgöttische und rechthaberische Liebe. Den anderen Teil identifiziert er als: Texas, Dallas, wilder Westen, tiefer Süden, Ku-Klux-Klan, Ölmillionär Hunt, Lumpenproletariat und Aristokratie. Diesen Teil verfolgt er auf 340 Seiten mit grimmigem Haß. Leider auch ohne die geringste Spur von Humor. Unter Habes haßliebenden Händen zerfällt ein großes Volk in lauter Fratzen und Heilige, Engel und Luzifer. Dazwischen findet sich so gut wie nichts als ein paar Oppotunisten.

Diese gestrenge und säuberliche Trennung macht es dem Verfasser einfach seinen Haß auf Amerika zu versprühen, ohne der Lieblosigkeit geziehen werden zu können. Der Leser aber sei davor gewarnt, für bare Münze zu nehmen, was Habe in seiner Reportage klingelnd vor ihm ausschüttet. Vielfach ist es Blech, häufig hastig angelesen, nur selten frisch und gut. Das ist schade. Habes Interview mit dem Groß-Wizard des Ku -Klux-Klan ist ein erstklassiger Beitrag zur Kenntnis Amerikas. Man sieht, daß da ein Talent steckt. Leider wiederholt sich die Qualität der Beobachtung in den anderen Kapiteln nicht eben häufig.

Eine weitere Quelle der Fehler kommt hinzu. Nach langjähriger Abwesenheit von seiner Adoptivheimat unternahm Hans Habe im Herbst 1963 eine Reise, die ihn von New York mit einem Abstecher nach Süden quer über den Kontinent führte. Er reiste mit seiner Frau. Das ist nicht mehr die Tochter des ehemaligen Botschafters in Moskau, Davies, sondern eine ungarische Schauspielerin. Die Reise war praktisch beendet, als das Ehepaar im Zug die Nachricht von der Ermordung Kennedys hörte.

Man hat den deutlichen Eindruck, daß nunmehr die bis dahin niedergeschriebenen Notizen überarbeitet wurden. Von solchen Erfordernissen kann jeder reisende Journalist ein Lied singen. Ursprünglich war aber ein eher schnippischer Bericht geplant; über die Schrullen eines gemächlich und luxuriös reisenden Ehepaares vorgeschrittener Jahre und ungarischer Abkunft, das alte Freunde in Amerika wiedertrifft. Nun mußte plötzlich eine Interpretation darübergestülpt werden, die der Tragödie von Dallas gerecht wird. Es galt, im nachhinein die Indizien aufzupolieren, die bereits im Oktober Kennedys Tod im November vorausahnen ließen.

Es hieße, Hans Habes Reporterspürsinn Unehre anzutun, wollte man behaupten, er habe nicht die gereizte und haßerfüllte Stimmung, bemerkt, die das Amerika des Herbstes 1963 beherrschte. Der Rassenkonflikt ließ sich nicht übersehen. Besonders nicht, wenn einer zur Uraufführung eines seiner Dramen fuhr, das sich mit Rassenkonflikten beschäftigt. Da Kennedy jedoch nicht von einem Rassenfanatiker umgebracht wurde, mußte Hans Habe für den Tod in Texas eine Erklärung ersinnen, die aus eigenen Erlebnissen zu belegen war und eines originellen Kopfes würdig ist.

So etwa, denke ich, ist die merkwürdige« Theorie zustande gekommen, die uns da aufgetischt wird. Es ist die Verschwörungstheorie McCarthys in der Umkehrung. Die amerikanische Geldaristokratie konspiriert mit dem weißen Lumpenproletariat gegen Kennedy, den abtrünnigen Millionär.

Wer länger in Amerika gelebt hat und nie mit einer Millionärstochter verheiratet war, mit der offenbar noch ein Hühnchen zu rupfen ist, liest das mit Erstaunen. Da heißt es zum Beispiel, der Reichtum der obersten Klassen sei in Amerika ganz jungen Jahrgangs. Ich hätte diese Behauptung gern Senator Byrd mitgeteilt. Seine Familie war in Amerika bereits mächtig, alt und reich, als Hans Habes Jugendaufenthalt Wien noch von den Türken belagert wurde. Der amerikanische Reichtum gründe sich auf Glück und Spiel, nicht auf Wissen und Intelligenz. Er hasse die Bildung und empfinde sie bei Neureichen wie den Kennedys geradezu, als gefährlich. Um ihre Klassenherrschaft ohne geistige Bemühung weiter behaupten zu können, habe sich die Aristokratie Amerikas mit dem »white thrash« verschworen, mit den unteren weißen Schichten des Südens, die den Aufstieg der Neger zu fürchten haben. Die Führung habe dabei die Ölaristokratie von Texas übernommen. Und voilà - aus dieser Mischung niederer Haßinstinkte zweier Klassen seien die Schüsse von Dallas zu erklären.

Wie bei vielen solcher Verschwörungstheorien stecken ein paar Viertelwahrheiten darin. Wenn man in Amerika all die Gruppen summiert, welche die Ideen eines liberalen Europäers nicht teilen, dann reichen sie In der Tat von den besten Familien auf Cape Cod und in Palm Beach bis hinab zu den Cowboys in Texas und Arizona und den Polizisten mit scharfen Hunden in Mississippi. Diese Gruppen mögen sich auch zeitweilig in der Abneigung gegen einen Mann wie Kennedy finden. Nämlich an der Wahlurne. Ob sie sich zu gemeinsamer mörderischer Aktion verschwören können, ist eine andere Frage.

Die Antwort wird noch dadurch kompliziert, daß es eben keine einzige amerikanischeAristokratie gibt, sondern deren mehrere. Die eine mag Kennedy, die andere mag ihn nicht. Die von Charleston, South Carolina, verhält sich zu der von Boston wie ein sizilianischer Grande zu einem hamburgischen Patrizier. Habe bestätigt das selbst. Ohne zu bemerken, daß er damit ein Loch durch seine Theorie schießt, beschreibt er, wie die Aristokratie von New Orleans gemeinsam mit den Negern einen Liberalen zu wählen versucht. Daß nicht der, sondern der Kandidat des weißen Mittelstandes Gouverneur wird, paßt vollends nicht in Habes Theorie. Die gewaltsame Vereinfachung, mit der die John-Birch -Gesellschaft an die Geschichte und Politik herangeht, langt eben doch für einen Reporter aus Europa nicht zu. Man darf die Simplifizierung aber in keinem Falle durchgehen lassen - oder die Diagnose der Krankheit Amerikas gerät in die Hände von Quacksalbern, die obendrein emotionell belastet sind.

Amerika reizt zum Brustton der Entrüstung. Man kann sich aus der soziologischen Literatur jede Menge abstoßenden Materials über Texas und den Süden zusammensuchen. Habe reiht das aneinander. Es sind aber weniger eigene Beobachtungen, auf denen er fußt, als die erbarmungslosen Kritiken der Amerikaner an sich selbst. Die haben schon viele irregeführt. Texas besteht nicht nur aus Narren und Verbrechern. Wer das annimmt, läuft Gefahr, nicht ernst genommen zu werden. Beinahe noch gefährlicher wird der Gemütszustand der Haßliebe, wenn sie zur Verzerrung eines sympathischen Objektes führt.

Den Kennedy, den Habe in den Himmel hebt, den hat es nie gegeben. Das war weder ein »Marquis Posa von Massachusetts« noch ein »Danton ohne Revolution«. Dieser Mann, »dessen Stimme den Triumphgesang des Geistes über die Materie zu singen schien«, »der sich vom Tod nur eine kurze Frist geliehen hatte«, »mit dem das Pathos der Wahrheit ins Grab gesunken ist«, »der die Dummheit nicht duldete«, der »seine Länder nicht zwingen«, sondern »bekehren« wollte, dieser Mann, der das Wort »Macht« aus dem Weißen Haus verbannt habe - Habe, um Gottes willen, Kennedy muß sich im Grabe herumdrehen, wenn er das hört!

Als ob es pure Liebe gewesen sei, welche den Einsatz aller staatlichen Machtmittel einschließlich des FBI gegen die Stahlkonzerne verfügte, nachdem sie die Eisenpreise erhöht hatten. Als ob die kaltblütige Beseitigung der Diem -Familie ein Scherz und die Konfrontierung »Augapfel gegen Augapfel« mit der Sowjet-Union während der zweiten Kuba-Krise keine Machtprobe gewesen sei. Habes Überschwang verführt ihn dazu, Kennedy als einen Mann zu beschreiben, der »keine Verpflichtung übernahm, die er nicht erfüllen konnte, kein Versprechen gab, an dessen Verwirklichung er zweifelte«. Man braucht nur an die Fehlkalkulation in der Schweinebucht zu erinnern, um zu erkennen, daß da was nicht stimmt. Habe hat sich eine Mischung aus Heilandsfigur und Superman zurechtgemacht.

Zu allem Überfluß dichtet er seinem Kennedy die Suche nach einem »aristokratischen Sozialismus« an. Man weiß wirklich nicht, wo er das her hat. Der Vater Kennedys brachte die Millionen der Familie zusammen, indem er das Gesetz des Dschungels in Wall Street noch getreulicher befolgte als andere. Die Söhne dachten und denken nicht daran, die Geldaristokratie - eine der mehreren Aristokratien Amerikas - zu sozialisieren. Sie wollten immer nur einem gesunden Kapitalismus gute Lebensbedingungen verschaffen.

Das alles zu bemerken, heißt nicht, die Bedeutung Kennedys verkleinern zu wollen. Es ist die Verhimmelung, welche ihm bei einigen Europäern widerfährt, die den Blick trübt für seine wahre Bedeutung und zugleich für das Kräfteverhältnis in Amerika.

Der Kontinent hatte Kennedy nur mit einer hauchdünnen Mehrheit gewählt. Er empfand ihn und seine Frau mehr und mehr als einen re-europäisierten Fremdkörper. Für viele Amerikaner von altem Schrot und Korn trug diese Familie ein gefährlich dynastisches Element in die, Republik. Nicht deshalb wurde Kennedy ermordet. Aber deshalb wurde in weiten Kreisen der Untat gedämpft applaudiert.

Im Spätherbst 1963 hatte Kennedy außenpolitisch den Zustand des Patt erreicht und war innenpolitisch matt gesetzt. Er hatte sich mit höchstem Widerstreben an die Spitze der Negerbewegung gesetzt, als sie ihm davonzulaufen drohte. Dafür tauschte er den Totalverlust des weißen Südens ein. Der Kongreß war ihm so gut wie aus der Hand geglitten. Die Kennedy-Partei war auch dort zur Minderheit geworden (daß ihr ausgerechnet durch einen Mann aus Texas wieder auf die Beine geholfen wurde, muß Hans Habe mit Schmerz erfüllen). Innenpolitisch lag vor dem Präsidenten ein Jahr der Enttäuschung. Am Ende drohte die fast unvermeidliche Wahlniederlage. Dieser Umstand wird bisweilen vergessen. Von Europa her - und Hans Habe trägt es mit sich, wo immer er seine zahlreichen Koffer und seine japanischen Netsukes auspackt -, von Europa her gesehen, schien Kennedy ein siegreicher, glückumflossener Prinz. In Amerika war er ein Reformpräsident, der eine Reihe nicht wiedergutzumachender Fehler begangen und die Bürger eines kranken Volkes schlimmer gegeneinander aufgebracht hatte, als sie es je zuvor gewesen waren.

Kennedy hat einmal gesagt, daß die Dinge nicht schwarz oder weiß seien, sondern in vielen Schattierungen des Grau zu sehen seien. An diese Erklärung, die auch für Amerika gilt, hat sich Habe nicht gehalten. Er sieht nur ein Idol, welches andere als die hehrsten Motive nicht kennt, und er sieht dessen Gegner, und das müssen Leute sein mit abgründig bösen Instinkten.

Dazwischen ist nichts. Zwischen New York und Los Angeles, die er als die Zukunft Amerikas gelten läßt (welche Zukunft!), existiert nur ödes, von opportunistischen Zwergen, besoffenen Cowboys oder blutrünstigen Ölmillionären bevölkertes Nichts, kaum wert, daß die Habes darin anhalten.

Hätten sie länger angehalten, so hätten sie vielleicht entdeckt, daß Texas ebensowenig ein Gruselkabinett ist, wie Bayern nur nach seinen Wirtshausraufereien beurteilt werden kann. Sie hätten entdeckt, daß Amerika außer der angeblich so schlimmen Pioniervergangenheit auch noch eine andere Geschichte hat. Sie fängt nicht mit Roosevelt an und hört mit Kennedy nicht auf. Der Süden ist nicht nur wild, der Westen trampelt nicht nur in Cowboy-Stiefeln in die Vergangenheit zurück. Es sind Entwicklungsländer, die kaum mit Maßstäben gemessen werden können, welche man von der Fifth Avenue in New York ableitet. Daß diese Landschaften zur Zeit die Experimentierbühne der Weltraumfahrt sind, daß ihre Gesellschaft sich in einer tiefen Umschichtung befindet, erfährt man von Habe nicht.

Dagegen erfährt man, daß Mrs. Cafritz die umworbenste Gastgeberin Washingtons war. Das stimmt nicht. Ihre Rivalin soll sich Perle Meste schreiben. Richtiger wäre: Mesta. Ein wildcatter ist für Habe ein »Wilderer des Öls«. Der Unterschied zwischen Traum und Trauma ist ihm nicht ganz klar.

Solche Ungenauigkeiten könnte man ihm nachsehen. Aber wenn er in New York das Restaurant Sardi's verläßt, dann nur »nach links und rechts grüßend«. Häufiger als seine Unkenntnis kommt ihm seine Eitelkeit in die Quere. Und noch häufiger stolpert der Leser über einen Satz wie diesen: »Daß die Weltgeschichte, einer reifen Frucht gleich, die gestern noch in den Ästen geleuchtet hatte, faulend und wurmzerfressen zu unseren Füßen fallen sollte - wir ahnten es nicht.« Hans Habes Vater hatte einen großen Gegner. Das war Karl Kraus. Der hätte über diesen Ausspruch des Sohnes sicher was Hübsches zu schreiben gewußt.

Verlag

Kurt Desch

München 340 Seiten

9,80 Mark

von Zahn

Habe *

* SPIEGEL-Titel 44/1954.

Peter von Zahn
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