Kriminalität Eine Mache
Armin König, 33, Briefmarkenhändler in Düsseldorf, will »den Burschen abschießen«. Bei der Kölner Staatsanwaltschaft erstattete er Mitte des Monats Strafanzeige wegen »Beihilfe zum Betrug«. Im Visier hatte er: Jürgen Ehrlich, den Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Briefmarkenhandeis.
Händler König nimmt Anstoß daran, daß Händler-Präsident Ehrlich als Herausgeber des »Philex«-Briefmarken-Katalogs einen Markensatz namens »Alpenvorland-Adria« (16 Bilder) mit 250 Mark bewerten läßt - nach Ansicht Königs »Fälschungen ohne jeden Wert«.
Nun sollen Richter abermals eine Affäre im grauen Geschäft mit dem Raritäten-Kult aufhellen, durch das immer häufiger Hobbykunden und Geldanleger unter den 400 000 Philatelisten und rund fünf Millionen Sonntagssammlern übervorteilt werden. So werten Spezialisten billige Dutzendware mit seltenen Attributen wie Auf- und Überdrucke, Einfach- und Sonderstempel auf, renovieren Stückwerk oder liefern gleich komplett gefälschte Freimarken einschließlich Echtheitsstempel von Bundesprüfern - selbst für den Fachmann oft nur schwer erkennbare Falsifikate.
Die Marken des einstigen deutschen Besatzungsgebiets »Alpenvorland - Adria«, angeblich 1945 gedruckt, wurden von Kennern schon als Makulatur klassifiziert, als sie, in den fünfziger Jahren, im Handel auftauchten. Weder existiert ein Druckauftrag für die 16 Werte, noch waren sie jemals an einem Postschalter gehandelt worden. Der Philatelistenverband Sloweniens forschte ebenso vergeblich nach dem Ursprung der Marken wie Interpol. Der jugoslawische Spezialprüfer Bar Julij nannte die Marken 1956 schon »eine Mache«.
1962 warnte der »Bund der Philatelistischen Prüfer e. V.« dessen rund 100 Experten gegen Gebühr gutachten und von Sammlern wie Händlern respektiert werden, vor den »mit hoher Wahrscheinlichkeit erst nach dem Kriege« hergestellten Nachdrucken »privater Entwürfe. die »völlig wertlos« seien. Gleichwohl nahm, Mitte der sechziger Jahre, Händler-Präsident Ehrlich die »ganz ordentliche Sache« in seinen Katalog mit dem Zusatz: »Nicht mehr zur Ausgabe gelangt.«
Ehrlichs Düsseldorfer Kollege Wilhelm Bartels verkauft die nach seiner Bekundung »in amtlichem Auftrag gedruckte« Serie für 190 Mark und signiert mit Bartels-Stempel, der Echtheit garantieren soll. Bartels ("Ich hab' das größte Markenlager in der Bundesrepublik") war auch der erste, der einen großen Posten »Alpenvorland-Adria« besaß, nach eigenen Angaben rund 900 Sätze und »eine Menge unkomplettes Zeug«. nach anderen Quellen etwa 3000 Sätze. Einen Teil erwarb er angeblich bei der staatlich-jugoslawischen Verkaufsstelle in Laibach, die nach Meinung von Bundesprüfer Emil Ludik »nicht existiert oder bestand«, einen anderen Teil von zwei jungen Männern, deren Namen er vergessen hat.
Dafür suchte Bartels (Werbespruch: »Sie wissen, woran Sie sind") intensiv nach einem Bundesprüfer, um die postalische Echtheit seiner Exemplare zu bestätigen. Der Erlanger Prüfer Dr. Hermann Schultz urteilte in einem Artikel für die Fachpresse positiv - »auf Anregung«. wie er einem Kollegen eingestand, und ohne zu kontrollieren, erledigte er diese »Honorarsache«. Als Schultz noch vor der Signierung starb, ersuchte Bartels 1961. wie er sich heute selber erinnert, dessen Sohn um Signierung und Stempel. Bartels zum SPIEGEL: »Ich hätt' ihm auch zwei Mark pro Satz gegeben.«
im selben Jahr versuchte er es auch bei dem Hamburger Prüfer Werner Pickenpack. »Da ist er zu mir ins Büro gekommen«, erinnert sich der Hanseat. »legte ein Paket auf den Tisch« und »bot mir 5000 Mark« für die Prüfung der »reinen Schwindelerzeugnisse« (Pickenpack). Ein gleiches Angebot wurde auch dem Prüfer Ludin gemacht, der sich allerdings nicht mehr an den Agenten erinnern kann; Bartels sei dabei nicht in Erscheinung getreten. Erst der Wiener Sachverständige Dr. Ferdinand Wallner applizierte 1961 die gewünschten Atteste - und wurde aus dem Prüferverband ausgeschlossen.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft erkannte 1966 in einem Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen Bartels, für den »amtlichen Charakter dieser Ausgabe« fehle jeglicher »Nachweis« und bei den Marken handele es sich um »Vignetten ohne philatelistischen Wert«. Das Verfahren aber wurde »mangels ausreichenden Beweises« eingestellt.
Als Ludin 1968 in der »Michel-Rundschau« über »Dienstpost Blaue Adria - die Geschichte eines geplanten Schwindels« berichtete, wurde er prompt verklagt. Bartels stellte den Anwalt, der Lübecker Markenhändler Martin Peschel verlangte Widerruf und Schadenersatz.
Das Karlsruher Landgericht freilich wies die Klage 1971 kostenpflichtig ab. Nach der »klaren widerspruchsfreien und glaubhaften Bekundung« des früheren Leiters der Dienstpost »Alpenvorland«, Dr. Siegfried Damrau, hielt es die Kammer für »wahrscheinlich«, daß es sich bei den umstrittenen Werten »weder um eine gültige Briefmarkenserie« noch um einen »in Vorbereitung befindlichen amtlichen Entwurf« aus den letzten Kriegstagen handele.
Und auch der »Schwaneberger Verlag«, der die Briefmarken-Bibel, den »Michel«-Katalog, herausgibt, hält »Alpenvorland-Adria« für eine »rein spekulative Ausgabe', eine »Registrierung im Philex-Katalog« für »nicht gerechtfertigt«
»Philex«-Ehrlich hingegen will seinen Katalog nur als »Spiegelbild des Marktgeschehens« gewertet wissen und dem »mündigen Staatsbürger etwas mehr zutrauen«, wenn es um Mark und Marken geht. Ehrlich über seinen Katalog: »Ich bin nicht die »FAZ« sondern ein normales Boulevardblatt.«