ZEITGESCHICHTE »Eine Mission der Ehre«
Langsam schwenkt die Kamera auf die Gesichter der Hingerichteten. Auf das wächserne Antlitz der Frau, gesäumt von einer Blutspur im Staub des Kasernenhofs. Auf ihren Mann, der die Augen aufgerissen hat im Moment des Todes. Rumäniens Staatschef Nicolae Ceausescu und Gattin Elena starben, die Arme mit Stricken auf den Rücken gefesselt, am 25. Dezember 1989 im Kugelhagel aus Kalaschnikow-Schnellfeuergewehren.
Die Gesichter der Schützen bleiben auf den Bildern von der Exekution im Dunkeln. Das einzige Kapitel im osteuropäischen Wendejahr 1989, das mit dem Tod des Staatschefs endet, wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit von rumänischen Soldaten geschrieben.
»Unsere Mission war ein Himmelfahrtskommando«, sagt Dorin Carlan - höchste Geheimhaltung, höchstes Risiko.
Carlan ist einer von drei Männern aus dem 64. Fallschirmjäger-Regiment, die das Todesurteil an den Ceausescus vollstreckten. Einen Wimpernschlag der Geschichte lang wurde er zum Werkzeug der Revolution. Heute bringt er sich mühsam als juristischer Berater in der Hauptstadt Bukarest durch: ein massiger Mann mit schwermütigem Blick, der an den Ereignissen zu tragen scheint wie an tonnenschwerem Gepäck.
Während der letzten Sekunden auf dem Weg zum Hinrichtungsort, einer Mauer im Hof der Kaserne von Tirgoviste, stand er, der Feldwebel, seinem Oberbefehlshaber gegenüber - dem »Genie der Karpaten«, »Erlöser der Erde« und »geliebtesten Sohn des rumänischen Volkes«. Carlan erinnert sich so: »Ceausescu schaute mich an, brach in Tränen aus und rief ,Tod den Verrätern, die Geschichte wird uns rächen'. Dann sang er die Internationale. Er und seine Frau wurden zur Mauer geschoben, wir feuerten. Es musste zu Ende gebracht werden.«
Carlan diente in einem Elite-Regiment zum persönlichen Schutz des Staats- und Parteichefs. Als Waisenkind aufgewachsen und im Glauben an Ceausescu groß geworden, ringt er bis heute um Worte für seine Tat, als müsse er den Treuebruch vor sich selbst rechtfertigen. Carlan sagt: »Wir rächten die Toten, die Ceausescu auf dem Gewissen hatte. Es war eine Mission der Ehre.«
Die Mission ist, auch 20 Jahre nach dem Ende der Diktatur in Rumänien, umstritten. War die Hinrichtung der Ceausescus wirklich ein Meilenstein auf Rumäniens Weg in die Freiheit? Oder ist sie die Erbsünde der jungen Demokratie, weil durch die heimliche Verurteilung und Erschießung »Ceausescu jenen gestohlen wurde, die unter ihm gelitten haben«, wie der Dissident und Exil-Schriftsteller Paul Goma zürnt?
Das Tribunal gegen den fast ein Vierteljahrhundert lang regierenden Diktator sei nötig gewesen, so sagen die damals dafür Verantwortlichen, um der Gewalt und Anarchie auf den Straßen Einhalt zu gebieten. Warum aber starb dann die überwältigende Mehrheit von insgesamt 1104 Rumänen erst nach Ceausescus Flucht aus der Hauptstadt? Wer schoss da auf wen, und wer gab die Befehle?
Die Galionsfiguren und Drahtzieher des rätselhaftesten Umsturzes, der 1989 jenseits des Eisernen Vorhangs über die Bühne ging, leben noch. Da ist der Dichter Mircea Dinescu, der seinen Landsleuten live aus dem Fernsehstudio heraus die Nachricht verkündete, der Despot sei gestürzt - und der seither in Talkshows wie Leitartikeln die verratene Revolution beklagt. Da ist Ex-Präsident Ion Iliescu, der als grauer Kardinal der politischen Klasse bis heute in den Kulissen mitregiert. Und da ist Victor Stanculescu, einst virtuoser Buffo im Rang eines Vier-Sterne-Generals, der sich im Dezember 1989 vom Vertrauten zum Verräter der Ceausescus wandelte; heute sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis Bukarest-Rahova ein.
Fest steht: Es gab einen Volksaufstand, getragen von Abertausenden gegängelter, hungernder und frierender Rumänen. Es gab daneben ein Grüppchen potentieller Aufrührer - Altgediente aus Partei, Armee und Sicherheitsorganen, die den Sturz Ceausescus schon länger im Sinn hatten. Und es gab schließlich einen Punkt, an dem die beiden Strömungen sich kreuzten und kurzzeitig eins wurden. Das Ergebnis war eine gewaltige Welle des Widerstands, die das Regime mit sich fortriss - am 22. Dezember 1989.
Der historische Tag beginnt für General Victor Stanculescu mit einer Finte. Der Vize-Verteidigungsminister lässt sich das kerngesunde linke Bein von einem Arzt seines Vertrauens eingipsen. Frisch zurück vom Fronteinsatz in Timisoara, wo seit Tagen die Proteste gegen das Ceausescu-Regime blutig niedergeschlagen werden, ahnt der so schneidige wie schlaue General früher als andere in der Führung von Partei, Armee und Geheimdienst, was die Stunde geschlagen hat: Das Regime ist nicht mehr zu retten.
Der Widerstand nahm seinen Anfang in Timisoara, der Metropole des westrumänischen Banats, als Pfarrer László Tökés wegen Renitenz versetzt werden sollte. Der wortmächtige und unerschrockene Pastor aus der ungarischen Minderheit war ein populärer Dissident, der die permanenten Verstöße gegen die Menschenrechte wortgewaltig anprangerte. Er war ein Ärgernis, das Regime wollte ihn weghaben, wie es so viele verschwinden ließ oder verstieß. Die Gläubigen bildeten am 16. Dezember 1989 eine Menschenkette um Tökés' Haus und versuchten, die Sicherheitskräfte daran zu hindern, ihn zu verschleppen.
Das ist der Anfang. Von Timisoara aus frisst sich die Revolution wie eine Feuerwalze ins Land hinein. Armee und Geheimdiensteinheiten schießen tagelang auf das eigene Volk. Ceausescu unterschätzt das Ausmaß des Aufstands. Leichen liegen längst in den Straßen, da geht er noch auf Staatsbesuch nach Teheran und überlässt seiner Gattin Elena zwei Tage lang die Regierungsgeschäfte.
Zurück in Bukarest, beschließt der »Conducator« - »Führer« -, dass er sich vom Balkon des ZK-Gebäudes aus beschwichtigend ans Volk wenden will. Er erlebt das Unerhörte: Buhrufe und Pfiffe. Das Bild des Parteichefs mit der Astrachan-Pelzmütze auf dem Kopf, wie er grimassierend die Proteste zu ersticken versucht, zählt zur Ikonografie der rumänischen Revolution.
»Die Securitate hat Ceausescu über die wahre Lage im Land im Unklaren gelassen«, sagt der General a. D. Stanculescu. Dann erzählt er von den letzten dramatischen Stunden: wie er am 22. Dezember 1989 vormittags mit seinem Gipsbein ins ZK-Gebäude humpelt, um zu erfahren, er sei gerade zum Verteidigungsminister befördert worden - Amtsinhaber Vasile Milea, der die Armee nicht mehr gegen das Volk einsetzen will, ist Minuten zuvor tot aufgefunden worden. Ob er ermordet wurde oder Selbstmord beging, ist bis heute ungeklärt.
Draußen, auf dem Platz vor der Parteizentrale, versammeln sich schon wieder mehr als 100 000 Wütende. Ceausescu tritt ein letztes Mal auf den Balkon, bewaffnet mit einem Lautsprecher, aber er kommt nicht mehr zu Wort.
Während im Erdgeschoss, vorbei an schwerbewaffneten Geheimdienstlern, die wütende Menge das ZK-Gebäude stürmt, organisiert Stanculescu die Flucht des Diktatorenpaars. Er beordert einen Hubschrauber aufs Dach. Begleitet von zwei Politbüro-Mitgliedern und zwei Leibwächtern retten sich die Ceausescus. »Victorchen, kümmere dich um unsere Kinder«, soll Elena Augenzeugen zufolge dem Verteidigungsminister noch zugerufen haben.
Stanculescu bestreitet das. Der General a. D., heute 81 Jahre alt, räumt nur so viel ein: Ceausescus Gattin, genannt »Büro Nummer 2«, habe ihn als Armee-Vertreter bei offiziellen Anlässen favorisiert, »weil ich unglücklicherweise besser aussah als die anderen«. Kurz vor dem Todesurteil erst, beim Prozess in Tirgoviste, erkennt Elena Ceausescu ihren Irrtum. Sie ruft: »Hier unter uns ist ein Verräter, er ist bekannt.«
Ihm sei, sagt Stanculescu schulterzuckend, damals nur die Wahl geblieben, »von den Revolutionären oder von den Ceausescus getötet zu werden«.
Der Wechsel des Generals ins Lager der Aufständischen zählt zu den Schlüsselmomenten der Revolution: Als neuer Verteidigungsminister beordert er heimlich die Armee in die Kasernen zurück. Er versucht, mitten im Chaos des führungslosen Landes, Nerven zu bewahren und gibt, als die geflüchteten Ceausescus vorübergehend völlig vom Radarschirm der Sicherheitsorgane verschwunden sind, die Linie vor, was mit ihnen zu geschehen habe. Selbst die Todesschützen für die Hinrichtung wird Stanculescu am Ende höchstpersönlich auswählen.
Noch aber haben die Ceausescus drei Tage zu leben. Die Gattin des Karpaten-Genies packt beim ersten Hubschrauber-Zwischenstopp im Sommersitz Snagov Juwelen und Bademäntel in die Reisetaschen, während ihr Mann am Telefon nach Fluchtzielen fahndet. Auf Anraten des Piloten - der Luftraum ist gesperrt worden - landen die beiden nach kurzem Weiterflug im Karpatenvorland auf offenem Feld. Es beginnt eine groteske Odyssee.
Das greise Herrscherpaar irrt durch die Kulissen eines Landes, das es nach seinem grausamen Willen geformt, aber aus der Alltagsperspektive nie kennengelernt hat. Das erste Fluchtfahrzeug bleibt mit einer Panne liegen. Das zweite bringt sie ins Pflanzenschutzzentrum von Tirgoviste, wo am Abend die Miliz zuschlägt. »Sie sind jetzt in den Händen der Volksmassen«, wird Nicolae Ceausescu mitgeteilt. Der traut seinen Ohren nicht: »In wessen Händen?«
Die »Volksmassen« werden zu diesem Zeitpunkt aus dem Studio 4 des Bukarester Fernsehzentrums dirigiert. Dort ist der Dichter Mircea Dinescu gegen 13 Uhr eingetroffen und mit den Worten »unser Held« vors Mikrofon geschoben worden. Er fasst, inmitten des Tumults, das Unbegreifliche in Worte: »Die Armee ist mit uns. Der Diktator ist geflohen. Gott hat sein Antlitz wieder den Rumänen zugewendet. Wir haben gesiegt.«
Wir? In der Stunde des Triumphs ahnt Dinescu noch nicht, wer mit ihm die Zentrale des staatlichen Senders besetzt hat. Er ist stolz, wieder eine Bühne zu haben, nach monatelangem Hausarrest. Dinescu, der frühvollendete Lyriker und wohl wortmächtigste Rebell der Ceausescu-Zeit, hatte gegen die Mauer des Schweigens zornige Verse geschleudert, im Namen des Volkes: »Mit einer Spitzhacke brech' ich die Wand auf und lass' euch hineinschauen.«
Nun findet er sich in bunter Gesellschaft wieder. Neben einigen ausgewiesenen Regimegegnern tummeln sich Generäle in voller Montur und hochrangige Mitglieder der Kommunistischen Partei im Gebäude. Mittendrin ist Ion Iliescu, einst der Kronprinz Ceausescus, dann aus der Gnade gefallen. Jetzt, 18 Jahre nach seiner Degradierung, nutzt er die Gunst der Stunde.
Viele seiner Mitstreiter, die nach und nach im Studio 4 eintrudeln und sich zum Kern der »Front zur Nationalen Rettung« formieren, kennt er seit langem: Da ist der Partei-Ideologe der letzten Stalin-Jahre Silviu Brucan, danach Botschafter in den USA und bei der Uno, zuletzt auch er von Ceausescu unter Hausarrest gestellt. Da ist der General Nicolae Militaru, der schon in den Siebzigern gegen Ceausescu konspiriert haben soll. Und da ist, im ständigen Telefonkontakt zugeschaltet, General Stanculescu.
Ist das ein Team cleverer Zeitgenossen, die zufällig »gerade im Bahnhof« waren, als der Revolutionszug einfuhr, wie der listige Brucan das später bildhaft nennen wird? Oder ist es ein Grüppchen moskautreuer Verschwörer, für die Brucan nach eigener Aussage schon 1988 bei Gorbatschow im Kreml grünes Licht zum Umsturz eingeholt hat?
Von »den vornehmen Zielen des Kommunismus«, die Ceausescu verraten habe, würde Iliescu heute nicht mehr sprechen. Zehn Jahre lang stand er, mit Unterbrechungen, nach 1989 an der Spitze des Staats. Er ließ Proteste der Bergarbeiter niederknüppeln und hat sein Land in Nato und EU geführt. Er ist fast 80 Jahre alt und mit sich im Reinen. Umschwirrt von Leibwächtern und Assistenten erscheint er zum Treffen.
Das ewige Gerede vom Staatsstreich sei dummes Zeug, sagt Iliescu. Der Volksaufstand sei eine Reaktion auf die Diktatur gewesen, in der keiner seine Meinung sagen konnte: »Es war der Zusammenbruch des Systems.« Er, Iliescu, sei da in letzter Sekunde hineingeschlittert - »mit meiner moralischen Autorität, die ich gewonnen hatte in 18 Jahren als Gegner Ceausescus«.
Nur wenige Stunden nach seinem Eintreffen im Fernsehsender verkündet Iliescu vor Millionen Zuschauern landesweit, dass eine Front zur Nationalen Rettung die Macht übernommen habe - mit ihm an der Spitze. Was dann in den Tagen bis zur Hinrichtung der Ceausescus unter dem Kommando der Rettungsfront passiert ist, darüber gibt es unterschiedliche Theorien.
Gewiss ist nur: Es sterben landesweit mehr als 900 Menschen.
Sie sterben in Bukarest, Sibiu, Brasov und Timisoara. Sie sterben durch Schüsse aus Neun-Millimeter-Stechkin-Pistolen, wie sie nur Spezialeinheiten der Securitate verwenden, aber auch durch Dumdumgeschosse, Sniper-Feuer, Kalaschnikow-Salven. Es werden Waffen an Zivilisten verteilt, Geheimdienstler in Armee-Uniform gesichtet und ausländische Söldner auf Seiten der Securitate. Von 4000 Russen im Land sei berichtet worden, sagt Stanculescu - »angeblich Touristen, immer vier Männer in einem Auto, so als fände gerade irgendwo eine Schwulenhochzeit statt«.
»Wir können da nichts belegen, Geheimdienste sind immer in der Nähe bei so einer Revolution«, sagt Iliescu, 1990 erster frei gewählter Präsident Rumäniens, im Rückblick. Das allgemeine Chaos im Dezember 1989, das räumt er ein, hätten Tatarenmeldungen aus der von den Front-Führern kontrollierten Fernsehzentrale verschärft - das Trinkwasser sei vergiftet, die Armee sei am Ende, und nicht näher benannte »Terroristen« kämpften im Sold der Konterrevolution.
»Es wurden damals Spannungen geschürt, um einen Grund zu haben, Ceausescu umzubringen«, sagt heute General a. D. Stanculescu. Von wem? »Das muss Iliescu beantworten.«
Der Vorwurf, den Stanculescu 20 Jahre später unausgesprochen erhebt, führt zur Kernfrage der Revolution. Wenn die »Terroristen« von den Front-Führern erfunden oder gelenkt wurden, dann war der Schauprozess gegen Ceausescu nicht nötig und der Tod Hunderter Unschuldiger ein Verbrechen, für das sich die Umstürzler zu rechtfertigen hätten.
Wer waren die »Terroristen«? Ion Iliescu zögert keine Sekunde: »Es gab sie innerhalb der Securitate, in der Armee, in den Spezialeinheiten«, sagt er und zeigt dabei das weise, unerschütterliche Lächeln, das ihm den Beinamen »Großmütterchen« eingetragen hat: »Warum hätten wir diese Leute anstacheln sollen? Das war nicht nötig. Es war der Wille des Volks, sich der Ceausescus zu entledigen.« Um die Einzelheiten von Prozess und Hinrichtung kümmert sich General Stanculescu. Er lässt die Front-Führung wissen, sobald die Entscheidung über das Schicksal Ceausescus gefallen sei, wolle er über seine direkte Telefonleitung, Anschluss 262, eingeweiht werden. Ein Codewort wird für die finalen Vorbereitungen vereinbart: »Wenden Sie die Maßnahme an.«
Am 24. Dezember 1989 erhält Stanculescu den entscheidenden Anruf.
Am folgenden Tag werden Militärrichter, Ankläger und Rechtsanwälte unter höchster Geheimhaltung in Hubschraubern zur Kaserne in Tirgoviste geflogen, wo die Ceausescus seit drei Tagen festsitzen. An Bord sind neben Vertretern der nun regierenden Front auch General Stanculescu und der spätere Todesschütze Carlan.
»Wir flogen mit knapp 200 Kilometern pro Stunde, nur 10 bis 30 Meter über dem Boden, um dem Radar auszuweichen«, sagt Carlan. »Stanculescu hat uns dann nach der Landung im Kasernenhof antreten lassen. Er fragte: Wisst ihr, wer hier ist? Die Ceausescus. Es wird ein Außerordentliches Militärgerichtsverfahren geben. Sollte das Urteil auf Todesstrafe lauten, wer von euch kann es vollstrecken?«
Alle acht angetretenen Fallschirmspringer melden sich. Stanculescu wählt drei aus, »Vollblüter«, wie er das nennt. »30 Schuss«, gibt er als Befehl auf den Weg: »Automatisches Feuer.«
Die beiden Leichen werden in Zeltplane verpackt, per Helikopter nach Bukarest geflogen und auf dem Friedhof im Stadtteil Ghencea getrennt beerdigt. Die Gerüchte über den heimlich aufgezogenen Schauprozess, über die wahren Ziele der neuen Herrscher und über die »verratene« Revolution verstummen auch danach nicht.
Die Hauptfiguren der Dezember-Tage 1989 aber, Menschen, deren Lebenslinien sich in einem historischen Augenblick trafen, nehmen schon bald verschiedene Wege ins neue Rumänien.
Der Dichter Dinescu gründet satirische Zeitschriften, engagiert sich mit mäßigem Erfolg für die Offenlegung der Staatssicherheitsakten und rührt dabei, wie er illusionslos bemerkt, »mit dem Zahnstocher im Pechkessel«. Heute bewirtschaftet er am walachischen Donau-Ufer hundert Hektar Weinberge. Die Trümmer seiner revolutionären Träume hat er sortiert. Die Politik in Rumänien sei in die Hände von »Halb-Analphabeten« geraten, spottet er. »Die Sklaven von einst sind zu Herren geworden.«
General Stanculescu wird nach 1989 Geschäftsmann und schließlich wegen »Totschlags in besonders schwerem Fall« während der Armee-Einsätze in Timisoara zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Presse überzieht ihn mit Häme, seine Frau begeht Selbstmord. Der große Puppenspieler der Revolution zieht im September 2009 noch einmal Bilanz: »Es waren verrückte Zeiten. Ich habe mir nichts vorzuwerfen.«
Dorin Carlan kämpft bis heute erfolglos darum, zum Staatssekretär für Revolutionsfragen bestellt zu werden - eine Anerkennung für seinen Beitrag zum Umsturz, die er für recht und billig hielte.
»Ich war der Henker«, sagt Carlan, »und der Prozess war eine Farce. Doch es musste Recht geschehen, und es wurde Recht gesprochen. Ich habe es umgesetzt.«
WALTER MAYR
Das Thema wird auch im Buch »Minenfeld Balkan« (Siedler Verlag)behandelt, das Walter Mayr und Olaf Ihlau geschrieben haben. Eserscheint in dieser Woche.