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MEXIKO Eine Nation wandert

aus DER SPIEGEL 28/1953

Nachts spielen sich an der 1833 Meilen langen Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten Szenen ab, die jedem Zonengrenzbewohner, der die Hochflut des Flüchtlingsstromes aus der Sowjetzone erlebte, vertraut sind. Zu Tausenden schwärmen mexikanische Landarbeiter in die »estados unidos«, und die US-Grenzer stehen dem Ansturm illegaler Grenzgänger ebenso hilflos gegenüber wie ihre deutschen Kollegen an der Zonengrenze.

»Selbst wenn die gesamte mexikanische Nation über die Grenze kommen wollte, könnten wir sie nicht stoppen«, gab kürzlich ein hoher Beamter des Einwanderungs-Büros zu. Im vergangenen Monat schien es, als wollten die Mexikaner tatsächlich ihre Wigwams nördlich des Rio Grande aufschlagen. Der Strom der wetbacks (= Naßgesäße, so heißen die illegalen Grenzgänger, weil sie beim Durchwaten der Grenzflüsse eine nasse Büx bekommen) erreichte eine Rekordstärke: zwei wetbacks pro Minute, Tag und Nacht.

Sie kamen aus allen Teilen Mexikos. Mit aller beweglicher Habe (einem Sombrero und einem zerlumpten Anzug) und einer Feldflasche Wasser zogen sie tagelang durch die Wüste zur Grenze. Tags schliefen sie unter Kakteen und nachts trotteten sie weiter. Viele brachten der Durst und die Sonne zur Strecke, ehe sie die Grenze erreichten. Viele wurden bei der nächtlichen Pirsch über die Grenze gestellt und zurückgeschickt (im Monat April waren es 87 416) - sie riskierten den Grenzgang an einer anderen Stelle.

Motor für diese größte moderne Einwanderungswelle (viele ziehen im Winter allerdings bis zum nächsten Frühjahr wieder heim) ist das soziale Gefälle zwischen Mexiko und den USA. Arme Mexikaner (und die meisten Mexikaner sind arm) schauten seit Jahren mit hungrigen Blicken nach dem Goldenen Norden.

Wenn ein erfolgreicher wetback von einem Amerika-Trip in sein Dorf zurückkam, wußte er verlockende Stories zu erzählen. Von der Schaufensterpracht, von königlichen Löhnen und von dem größten Wunder, einem satten Magen. Nach fünf Dürrejahren wirkten die Stories in diesem Jahr immer magischer auf die arbeitslosen Landarbeiter.

Die von den Amerika-Heimkehrern gelobten Löhne waren wohl für mexikanische Begriffe königlich, die amerikanischen Gewerkschaftsführer aber nannten sie knickerige Kulilöhne. Wer die amerikanischen Mindestlöhne so unterbiete, gefährde den Lebensstandard der amerikanischen Landarbeiter, argumentierten die Gewerkschaftler und stemmten sich gegen die Wetback-Invasion.

Zu den Gewerkschaftsargumenten kamen weitere Vorstöße gegen die Naßbüxen-Invasion. Liberale Amerikaner empörten sich über die neue Lohnsklaverei der Südstaaten-Farmer. Den Regierungs-Angestellten in Washington wollte es nicht in den Kopf, daß die US-Grenze, die überall durch ein feines Maschennetz politischer und sozialer Quarantänestationen verschlossen ist, ausgerechnet für das soziale

Elend der kommunistisch infizierten Mexikaner passierbar sein soll.

Es wurde debattiert. Die Einwanderungsbehörden setzten Landarbeiter-Quoten und Mindestlöhne fest und stellten die Anstellung von Illegalen unter Strafe. Die wetbacks aber zogen die illegale Einwanderung einer nahezu garantiert erfolglosen Bewerbung um einen legalen Job vor, und die Kuli-Löhne, von denen man satt wurde, dem mexikanischen Elend. Die Südstaaten-Farmer brachen lieber die Gesetze, als daß sie auf billige Arbeitskräfte verzichteten. Eine Vorlage im Kongreß, in der eine Verstärkung des Grenzschutzes gefordert wurde, brachten die Südstaaten-Abgeordneten zu Fall.

In den Quartieren des US-Grenzschutzes an der mexikanischen Grenze rätselt man jetzt an einer Preisfrage: Wie lange wird es (bei der augenblicklichen Stärke des Einwandererstroms) dauern, bis sich die gesamte mexikanische Nation nördlich des Rio Grande angesiedelt hat? Mit den wetbacks, die in den vergangenen Monaten nach den Vereinigten Staaten kamen, sind bereits über 10 Prozent der mexikanischen Bevölkerung*) nach dem Goldenen Norden ausgewandert.

*) Nach der letzten Volkszählung im Juni 1950 hat Mexiko 25 581 250 Einwohner. Schätzungsweise flüchteten bis zum Februar 1953 zwei Millionen Ostzonen-Deutsche nach dem Westen.[Grafiktext]

WIE MAN IN USA MANAGER WIRD

44 % Aufstieg im eigenen Betrieb
27 % Besitz von Kapitalanteilen des Unternehmens u. a.
16 % Berufung auf Grund von Leistungen in anderen Betrieben
13 % Nachfolge in der Position des Vaters
SOZIALE HERKUNFT
DER MANAGER

Aus reicher
Häusern
38 %
Aus dem
Mittelstand
45 %
Aus
einfachen
Verhältn.
17 %

[GrafiktextEnde]

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