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»Eine Partei wie die SPD«

SPIEGEL-Interview mit der Labour-Politikerin Shirley Williams Shirley Williams, 50, seit ihrem 16. Lebensjahr Mitglied der Labour Party, unter Wilson Erziehungs- und Wissenschafts-Ministerin, ist die profilierteste Persönlichkeit des gemäßigten Labour-Flügels.
aus DER SPIEGEL 6/1981

SPIEGEL: Auf dem Labour-Parteitag von Wembley schlug einer der Delegierten vor, daß alle Abweichler auf ihr Fahrrad steigen und losfahren sollten. Sie haben sich ein neues Fahrrad zugelegt, den »Rat für Sozialdemokratie«. Wann treten Sie in die Pedale?

SHIRLEY WILLIAMS: Nach Wembley hat es schon mehrere Versammlungen gegeben. Diese Besprechungen müßten abgeschlossen sein, bevor wir eine Entscheidung treffen.

SPIEGEL: Ist Ihr Ziel eine sozialdemokratische Partei wie die bundesdeutsche SPD?

SHIRLEY WILLIAMS: Wir haben uns immer noch nicht entschlossen, eine neue Partei zu bilden. Sollte es eine neue Partei geben, dann glaube ich schon, daß sie der SPD, die wir sehr bewundern, in vielem ähnlich wäre.

SPIEGEL: Umfragen haben schon oft zuvor einer neuen Zentrumspartei gute Chancen gegeben. Ist es aber nicht sehr riskant, darauf zu spekulieren, vier Jahre vor den nächsten Wahlen?

SHIRLEY WILLIAMS: Wir tun, was wir tun, nicht aufgrund von Meinungsumfragen, sondern weil wir glauben, daß es richtig ist.

SPIEGEL: Falls erfolgreich, würde eine neue sozialdemokratische Partei die traditionelle Labour Party Großbritanniens aber doch spalten und ihr jede Chance nehmen, eine Mehrheit zu gewinnen. Macht Ihnen das keinen Kummer?

SHIRLEY WILLIAMS: Ja, sehr. Die Umfragen ergeben aber, daß eine solche neue Partei ihre Stimmen in gleichem Maße von der Labour Party und von den Konservativen bekommen würde. Und wir glauben, daß eine weit links stehende Labour Party keine Mehrheit in diesem Lande erringen kann.

SPIEGEL: Sie nennen die Wahl des Parteichefs durch ein Wahlkollegium, wie es die Mehrheit jetzt beschlossen hat, undemokratisch. Ist die Wahl durch eine Abgeordneten-Elite wie bisher das nicht auch?

SHIRLEY WILLIAMS: Nein, weil Abgeordnete keine Elite sind. Sie müssen durch Tausende Mitbürger gewählt werden. Das ist was anderes als ein Gewerkschaftsführer, der auf Lebenszeit gewählt werden und beschließen kann, wie eine Blockstimme abgegeben wird.

SPIEGEL: War Mr. Owens »One man one vote«-Vorschlag, der den Gewerkschaften ihren Einfluß genommen hätte, nicht unrealistisch, da die Parteistruktur doch nun mal auf den Gewerkschaften aufbaut?

SHIRLEY WILLIAMS: Nein, weil es jedem Gewerkschaftsmitglied offensteht, auch Mitglied der Labour Party zu werden. Es ist sogar willkommen. Wenn also die Gewerkschaften einen bedeutenden Stimmenanteil ihrer Mitglieder auf Labour-Parteitagen wünschen, brauchen sie ja nur ihre Mitglieder aufzufordern, Mitglieder der Partei zu werden. Das wäre sehr gut für die Labour Party.

SPIEGEL: Ist Ihr Vorschlag, eine neue Partei zu gründen, nicht eine Flucht vor dem wirklichen Problem? Denn jetzt lassen Sie die Labour Party in den Händen der undemokratischen Gewerkschaften, anstatt weiterhin dafür zu kämpfen, daß die Gewerkschaften sich demokratisieren.

SHIRLEY WILLIAMS: Vielleicht sollte ich darauf hinweisen, daß einige von uns schon seit Jahren dafür kämpfen. Wir sind enttäuscht, daß unsere Kollegen diese Frage für nicht so bedeutend halten wie wir. Einige der Parteiführer haben sich diesem Kampf gar nicht angeschlossen. Es nützt nichts, uns zu sagen, wir sollen kämpfen. Wir kämpfen schon seit Jahren.

SPIEGEL: Halten Sie ein Abkommen zwischen einer neuen sozialdemokratischen Partei und den Liberalen für möglich?

SHIRLEY WILLIAMS: Sollte es eine neue sozialdemokratische Partei geben, müßte sie ein Wahlbündnis mit den Liberalen eingehen, um die Stimmen nicht zu zersplittern. Aber eine Fusion würde das, glaube ich, nicht bedeuten.

SPIEGEL: Würden Sie für den Vorsitz kandidieren?

SHIRLEY WILLIAMS: Nein, wir haben eine kollektive Führung und haben keinen Grund, das zu ändern -- wenigstens nicht für die absehbare Zukunft.

SPIEGEL: Wann werden Sie die Entscheidung treffen, innerhalb der Labour Party zu bleiben oder eine neue Partei zu gründen?

SHIRLEY WILLIAMS: Ich glaube, das werden wir in der nächsten Zeit entscheiden müssen.

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