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EINE »SPIEGEL«-SEITE FÜR ANNEDORE LEBER

aus DER SPIEGEL 29/1947

Zum dritten Male jährt sich nun jener Tag, der auf Grund seines erfolglosen Ablaufes über alle, die sich an seiner Vorbereitung entscheidend oft auch nur an der Peripherie beteiligten, unendliches Leid heraufbeschworen hat.

Der unselige Verlauf des Unternehmens hat, seinen Inspiratoren, auch von Freundesseite mitunter, sogar den Vorwurf eingetragen, unüberlegt, ja nicht verantwortungsbewußt gehandelt zu haben. Es wird von der Dolchstoßlegende gesprochen, von der gefährlichen Märtyrerwirkung eines gewaltsam beseitigten Hitler.

Aber alle Betrachtungen dieser Art gehen am wesentlichen vorbei. Und auch die äußere Erfolglosigkeit hebt nicht das Wesentliche auf. Nicht nachzugeben im Kampf gegen das schlechte und böse Prinzip heißt Ueberwindung und Sieg. Und Foltern und Qualen, Verlästerung und Kritik zerfallen in nichts, wo sich die Seele nicht binden läßt. In diesem Geiste hatten sich alle zusammengefunden: Sozialdemokraten, Gruppen des Bürgertums, der Kreisauer Kreis, der eine Reihe von fortschrittlich gesonnenen Aristo- kraten, Theologen und Sozialisten umschloß, Militärs mit tief menschlichem Verantwortungsgefühl. Sie standen im scharfen inneren Widerspruch zu der Generalität. Nicht anders als alle sonst Beteiligten sahen sie im Militär nur das notwendige Machtinstrument, um sich der Gewalt Hitlers erfolgreich entgegenwerfen zu können.

Ich sehe das unbewegte Gesicht Fritz von der Schulenburgs. Er kam als Verbindungsmann von Goerdeler. Nur das Augenglas glitzerte leicht, als er von Himmler berichtete, der ihm bedeutet hatte, daß er von nun ab sorgsam »die Noblesse« beobachten werde. Ebenso glitzerte es in dem Tage, als Schulenburg sagte, daß er sich niemals einer akuten Gefahr durch Flucht entziehen werde.

Noch heute höre ich die so jungenhaft glückliche Stimme Mierendorffs bei der Uebereinkunft, nicht

mehr zögern, sondern den Tag des Umsturzes auf den Beginn des neuen Jahres 1944, das er dann nicht mehr erleben durfte, zu fixieren. »Wie wird uns sein«, rief er aus, »wenn wir wieder die Luft der Freiheit atmen dürfen.«

Ich denke an den Oberstleutnant von Treskow zurück. Im grauen zivilen Rock betrat er unser Haus, so ruhig, bestimmt wie die personifizierte Zuverlässigkeit. Seit Jahren führte er im Hinblick auf den Sturz Hitlers konspirative Gespräche mit einer Gruppe von Arbeitern in einem östlichen Vorstadtlokal Berlins.

Wie rang der schwerblütige, in der jungsozialistischen Bewegung verankerte Hermann Maaß mit sich und im Freundeskreis, um über sich selbst und seine Dogmatik hinaus eine für alle Richtungen akzeptable Synthese zu finden. Ein wenig muß ich in dem Gedanken an das Verschwörerbemühen Stauffenbergs lächeln. Glaubte er doch, daß der Radmantel des Offiziers die beste Tarnung sei. Und doch zog er erst recht die Blicke auf seine schon durch die schwarze Augenklappe und die Länge seiner Glieder auffällige Gestalt. Nichts war ihm vermutlich, so wesensfremd, wie ein Verschwörertum. Aber der um so viele Illusionen betrogenen deutschen Jugend dürfte er Vorbild menschlicher Wärme, Gewissenstreue und Idealistischer Tapferkeit sein. Seine tiefste Verachtung galt dem General Fromm, den er als einen feigen Toren und Opportunisten bezeichnete. Ich sehe vor mir, in schärfster Konzentration beratend, Leuschner und meinen Mann. Gemeinschaftlich traten sie dann in allen weiteren Verhandlungen dafür ein, daß der Klassenkampf im alten doktrinären Sinne als überholt anzusprechen und der Wert des christlichen Einflusses auf die abendländische Kultur nicht zu bestreiten sei. In mir klingen auch die Gespräche zwischen, Reichwein und meinem Mann über den Humanismus und seine Bedeutung als Fundament der europäischen Geisteswelt.

Ebenso leben in mir die Worte zwischen meinem Mann und Trott zu Solz. Jener stand gerade vor einer Reise nach Schweden. Er hoffte, im Auftrag der Aufständischen dort auch Verhandlungen mit Vertretern des Auslandes führen zu können. Beide Männer waren sich einig, daß niemals im Ausland der Verdacht entstehen dürfe, die Deutschen spekulierten auf Differenzen unter den Alliierten oder hätten die Absicht, sich etwa nach Osten oder nach Westen einseitig zu binden. Unüberlegte Aeußerungen der in der sicheren Atmosphäre des Auslandes Lebenden schufen für Trott den Zustand höchster Gefahr. Trotzdem kehrte er wieder zurück, trotzdem stand er weiter bereit.

Immer wieder erwärmt mich die Freundschaftstreue von Haubach. Er, der in so vielen Fragen Skeptische, zögerte nicht am Tage der Verhaftung meines Mannes, am 5. Juli 1944, zweimal zu mir zu kommen. Galt es doch, den Freunden Verbindungslinien zu sichern, hoffte er doch, das Leben des Kameraden zu retten. Da war der breitschultrige, körperlich mächtige Wirmer. Nicht äußerlich sah man ihm die Sensitivität des gläubigen Katholiken an. Mit dem Mut des Bekenners soll er dem tobenden Freisler zugerufen haben: »Auch Sie werden nicht verhindern können, daß die 'una sancta' kommt.«

Ich sehe das zerknitterte Zeitungsblatt im Hof des Moabiter Frauengefängnisses: »Witzleben gehenkt«, lautet die erste Kunde von draußen. Einige Tage später klopfte es an meiner Zelle: »Straßenkämpfe in Paris« Und es beginnt der entsetzliche Wettlauf mit einer Zeit, die einen Tag auf einen entscheidenden Vormarsch der Alliierten hoffen den nächsten um den Tod nicht ersetzbarer Opfer fürchten läßt.

Gleiche Hoffnung und gleichen Zweifel verraten die Augen des bleichen abgemagerten Goerdeler. Am 5. Januar, 1945 sehe ich ihn in der Schreibstube der Gestapo. Es war der Tag, an dem ich den 'Tod meines Mannes erfuhr der als letztes Bekenntnis hinterließ: »Für eine so gute Sache ist der Einsatz des eigenen Lebens der angemessene Preis. Wir haben getan, was in unsrer Macht gestanden hat. Es ist nicht unser Verschulden, daß alles so und nicht anders kam.« Und weiter stehen auf: Schwamb, York von Wartenburg, Moltke und viele andere. Klingelzeichen, Telefonanrufe, getarnte Verabredungen, alles zieht wieder an mir vorbei. Es stand soviel auf dem Spiel. Um deshalb zunächst der Verhaftung auszuweichen legte ich mich in ein Krankenhaus. Dorthin bekam Ich am 18. Juli Nachricht von einem Vermittler Stauffenbergs. Wir sind, uns unserer Pflicht bewußt, so hieß der Gruß.

Gymnasium. Heiratete 1927 Julius Leber, Reichstagsabgeordneter der SPD. Nach Festnahme ihres Mannes durch die Nazis Schneiderin. Durch Mitarbeit am legalen Kampf ihres 1937 freigelassenen 'und nach dem 20. Juli 1944 ermordeten Mannes konsequente Gegnerin jeder Gewaltherrschaft. 1945 in den Zentralausschuß der SPD berufen. Amtsniederlegung bei Gründung der SED. Seit April 1946 Lizenziatin des »Telegraf«. SPD-Stadtverordnete in Berlin

Annedore Leber

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