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Eine Tat ohnegleichen

aus DER SPIEGEL 22/1993

Das Landgericht Stuttgart hat am 13. Mai dieses Jahres sieben junge Männer verurteilt, die im Juli 1992 ein Arbeiterwohnheim in Ostfildern-Kemnat gestürmt und, blindwütig rasend, mit einem Baseballschläger einen Kosovo-Albaner, der seit über 20 Jahren in der Bundesrepublik lebte und bei einer Baufirma arbeitete, erschlagen hatten. Auch auf einen Landsmann des Toten hatten sie eingedroschen, bis dessen Schädel brach und er sich wimmernd in der hintersten Ecke unter der Dachschräge der Unterkunft verkroch.

Eigentlich hatte die »Horde«, wie sie ein Sachverständiger bezeichnete, ein anderes Ausländerwohnheim im Sinn gehabt. Aber irgendeine Tür stand offen, zufällig die jenes Arbeiterwohnheims, in dem sich zufällig die zwei, den Tätern unbekannten, Ausländer aufhielten.

»Das war der ganz normale, dumpfe Rechtsradikalismus, wie Sie ihn jeden Abend zwischen 10 und 12 Uhr in jeder Kneipe hören«, sagte der Sachverständige. Und ein Zeuge sagte vor Gericht: »Sie haben eigentlich das gemacht, was alle denken. Gegen Scheinasylanten ist doch jeder. Das ist doch ganz normal.«

Das Gericht hat streng gestraft: lebenslang wegen Mordes und versuchten Mordes für den Haupttäter, neun Jahre Jugendstrafe für den zweiten Angeklagten. Die anderen fünf wurden, je nach Tatbeteiligung wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Beihilfe, zu Strafen zwischen sieben Jahren und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Die Stuttgarter Zeitung hat dieser Entscheidung der 2. Strafkammer mit dem Vorsitzenden Richter Hans-Alfred Blumenstein Respekt bezeugt: »Die Kammer hat harte Strafen verhängt, aber sie hat angemessen geurteilt und dem Druck widerstanden, ein Exempel zu statuieren und die Angeklagten in einer unruhigen Zeit ,die ganze Härte des Gesetzes spüren zu lassen', wie dies törichterweise bisweilen gefordert wird - ganz so, als ob in anderen Fällen die halbe Härte ausreichen würde.«

Zwei andere junge Männer, Lars Christiansen, 19, und Michael Peters, 25, ebenfalls angeklagt wegen Mordes und Mordversuchs, stehen zur Zeit in Schleswig vor Gericht: Sie gelten als die sogenannten Mölln-Attentäter, die zwei von Türken bewohnte Häuser angezündet haben sollen.

Christiansen und Peters aber müssen sich nicht vor einer gewöhnlichen Strafkammer verantworten, sondern vor dem II. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts. Die Anklage vertritt nicht ein gewöhnlicher Staatsanwalt, sondern die Bundesanwaltschaft ist angereist.

Denn in Schleswig, so scheint es, soll nun endlich und endgültig geklärt werden, warum Ausländer in der Bundesrepublik verfolgt werden.

Es soll auch geklärt werden, »wie und ob Menschen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben, fürderhin in Deutschland leben können«, kündigte der Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele als einer der Vertreter der Nebenklage an.

Medienvertreter aus dem In- und Ausland sind also in hellen Scharen herbeigeeilt. Es wird jeden Tag von neuem hemmungslos fotografiert und gefilmt, ohne Pardon für die Angeklagten. Sie haben eine Tat ohnegleichen begangen, heißt es. Sie sind angeklagt wegen des »grausamsten und gemeinsten Verbrechens, das man sich in dieser Gesellschaft vorstellen kann«, so Ströbele.

Die Ermordung von Millionen Menschen in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten war grausam; der Mord an Hanns Martin Schleyer und seinen Begleitern war grausam. Jede Gewalttat, die einem Menschen das Leben raubt, ist grausam. Aber dieses Verbrechen in Mölln, der Tod der 51 Jahre alten Bahide Arslan, der 10jährigen Yeliz Arslan und der 14jährigen Ayse Yilmaz in der Nacht zum 23. November vorigen Jahres - es muß das grausamste aller Verbrechen sein, damit sich daran deutsche Geschichte bewältigen läßt.

In gewöhnlichen Strafprozessen haben die Angeklagten bis zum Urteil als mutmaßliche Täter zu gelten. Aber dies ist nun das grausamste Verbrechen, und da braucht man nicht mehr so pingelig zu sein. Bild fragt vor Prozeßbeginn: »Haben sie nichts dazugelernt? Noch im Gefängnis scheren sich die zwei Brandstifter von Mölln die Köpfe kahl. In 48 Stunden stehen sie so vor ihren Richtern.«

Sie müssen im Besitz eines fabelhaften Haarwuchsmittels sein, denn nach diesen 48 Stunden werden sie mit normalen Frisuren in den Gerichtssaal gebracht. In Bild »lümmelt« sich der Angeklagte Peters auf dem Zellenbett. Er sei 1,90 Meter groß, wird behauptet, und das Bett fast zu kurz. Tatsächlich ist Peters schmächtige 1,68, er war schon in der Schule der Kleinste. Das grausamste aller Verbrechen aber verlangt nach einem Riesen.

Oder ist es das Feuer, das den Rausch ausmacht? Rom hat gebrannt, auch der Reichstag. Es kann nur das Feuer gewesen sein, das den Generalbundesanwalt veranlaßte, den Fall Mölln an sich zu ziehen.

Die Attentäter von Mölln sollen nach ihren Taten bei der Polizei und der Feuerwehr angerufen und »Heil Hitler« gebrüllt haben. » . . . dies deutet darauf hin, daß die noch unbekannten Täter mit ihrer Straftat zur Wiedererrichtung einer nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland beitragen wollten«, teilte der Generalbundesanwalt am Tag nach der Mordnacht mit.

Worin liegt die »Einmaligkeit« (Ströbele), die »besondere Bedeutung« (Generalbundesanwalt) des Möllner Anschlags? Warum hat sich Karlsruhe nicht auch des totgeschlagenen Kosovo-Albaners in Kemnat angenommen? Der Fall hätte in der Festung Stammheim verhandelt werden können. Er hätte sich zu einer betörenden Demonstration der Wachsamkeit nach links und rechts gleichermaßen angeboten. Vielleicht, die Bundesanwaltschaft setzt doch gern auf Abschreckung, hätte ihr Eingreifen im Juli 1992 die Täter von Mölln im November 1992 sogar abgehalten.

Vor dem Gericht in Schleswig wird die Bundesanwaltschaft von dem Rechtsanwalt Ströbele, der so engagiert zu verteidigen weiß, daß er wegen seines Engagements für Angeklagte sogar einmal verurteilt wurde, unterstützt, ja übertroffen. Er zeigt dabei eine Fähigkeit, die ihm bisher wohl niemand zugetraut hatte.

Er ist nicht nur Vertreter der Nebenklage, er ist Ankläger vom Scheitel bis zur Sohle. Die Lust, einmal anklagen zu dürfen, hat ihn im Griff. Er schlürft die Bewunderung des jungen, jungmachenden Publikums im Saal. Noch einmal darf er kämpfen gegen den rechten Feind, noch einmal bekennen. »Einen Mann auf der Seite aller Revolutionen dieser Welt« hat ihn die FAZ einmal genannt.

Er genießt es, die Angeklagten in böse Fallen zu treiben, er führt sie vor, er macht sie lächerlich. Angesichts des grausamsten aller Verbrechen und durchdrungen von der Überzeugung, immer auf der richtigen Seite zu stehen, gibt er jede Position auf, die einem Strafverteidiger sonst heilig ist.

Ströbele hat angekündigt, in diesem Strafprozeß nicht nur die deutsche Geschichte der Jahre 1990 bis 1992 zu »bewältigen«. Er will mehr Dimension. Mölln, das hat für ihn Tradition, das ist seiner Auffassung nach das Kaiserreich, das sind die zwanziger Jahre, der Nationalsozialismus bis heute in Gestalt der Bundesrepublik.

Ob es nicht schon reicht, sich zum Beispiel der Sätze Herbert Wehners zu erinnern, die am 15. Februar 1982 in einer Sitzung des SPD-Parteivorstandes fielen? Wehner sagte damals: »Wenn wir uns weiterhin einer Steuerung des Asylproblems versagen, dann werden wir eines Tages von den Wählern, auch unseren eigenen, weggefegt. Dann werden wir zu Prügelknaben gemacht werden. Ich sage euch - wir sind am Ende mitschuldig, wenn faschistische Organisationen aktiv werden. Es ist nicht genug, vor Ausländerfeindlichkeit zu warnen - wir müssen die Ursachen angehen, weil uns sonst die Bevölkerung die Absicht, den Willen und die Kraft abspricht, das Problem in den Griff zu bekommen.«

Christiansen und Peters sind vorverurteilt, wie es schlimmer nicht geht. Es gibt Geständnisse und Widerrufe. Von einem gewöhnlichen Straftäter hieße es, er habe bestritten. Die Mölln-Attentäter, die grausamsten aller Verbrecher, »leugnen« natürlich.

Christiansen wird von dem Münchner Rechtsanwalt Rolf Bossi und dem Lübecker Wolfgang Ohnesorge verteidigt. Sie bringen vor, ihr Mandant sei gar nicht am Tatort gewesen. Sie zweifeln an seinem Geständnis, das er widerrufen hat und widerruft. Das ist das Recht einer Verteidigung, ja es ist sogar ihre Pflicht, wenn der Mandant derart widersprüchliche Angaben gemacht hat wie im betreffenden Fall.

Neben Michael Peters sitzt der Kieler Anwalt Manfred Goerke. Ob er ihn zu verteidigen gedenkt, ist noch unklar. Als Peters - wie Christiansen - sagt, er habe mit der Tat in Mölln nichts zu tun, versichert Goerke dem überraschten Gericht: »Dieser Widerruf überrascht auch mich.«

Und er berichtet - in öffentlicher Verhandlung - über ein Gespräch mit seinem Mandanten: daß er den am ersten Verhandlungstag gefragt habe, ob er es war oder nicht. Zweimal, sagt Peters, habe ihn sein Anwalt während der sechs Monate U-Haft besucht. Zweimal - angesichts dreifacher Mordanklage.

In einer Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 3. Dezember 1992 heißt es: »Nach eigener Auskunft im Ermittlungsverfahren prüfen gegenwärtig sowohl Michael Peters als auch Lars C., ob sie ihre Geständnisse widerrufen wollen.« Der Widerruf vor Gericht war also keineswegs überraschend. Zudem gibt es einschlägige Vermerke in den Akten, etwa, daß Peters von einem Vernehmungsbeamten »eindringlich« erinnert worden sei, die Wahrheit zu sagen und nicht aus Gefälligkeit ein Geständnis abzulegen.

Peters hatte, als er von der Polizei und später vom Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vernommen wurde, mehrfach nach einem Rechtsanwalt verlangt. Es fand sich keiner.

Peters hätte dringend einen Rechtsbeistand, einen Berater gebraucht. Vor Gericht sagt er, und es ist wirklich nicht zu befürchten, daß ihm dies von seinem mutmaßlichen Verteidiger eingeredet wurde, er habe zugegeben, was man von ihm hören wollte. Niemand habe ihm geglaubt. Es seien ihm Versprechungen gemacht worden.

Beide Angeklagte ernten für ihre Angaben Hohn und Spott. Sie »wollen freigesprochen werden«, entrüsten sich die Zuschauer. Rechtsanwalt Bossi, was hat man an ihm schon gelitten, tut hier nichts anderes als verteidigen.

Er versucht zu verhindern, daß Vernehmungsprotokolle verwertet werden. Er stellt Anträge. Er zweifelt an Zeugen. Er prüft, ob es nicht auch Tatverdächtige aus ganz anderem Milieu gibt. Er hat die Stirn zu behaupten, die Schuld seines Mandanten sei nicht bewiesen. Vor dem Gerichtssaal fragt eine französische Journalistin, ob dieser Herr aus München vorwiegend Rechtsradikale vertrete.

Dem Vorsitzenden des Strafsenats, Hermann Ehrich, 59, wird vorgeworfen, er bemühe sich zu sehr um eine entspannte Atmosphäre. Das stört die Nebenklage. Beim grausamsten aller Verbrechen - was soll da eine demolierte Kindheit, eine Mutter, die sich umgebracht hat, als der Junge Lars neun Jahre alt war? Was sollen da Schulversagen, Saufen, Arbeitslosigkeit? Für Peters zum Beispiel war die Zugehörigkeit zu einem Haufen ähnlich hoffnungsloser Jugendlicher bereits eine Verbesserung seines Lebensgefühls.

Man kannte ihn, weil er schreckenerregend aussah, den Arm zum Hitler-Gruß hob und die Reichskriegsflagge aus dem Fenster hängte. Wenn er das nicht gemacht hätte, wer hätte ihn dann gekannt?

Wie ein Anführer durfte er sich fühlen, wenn er mit ein paar anderen durch die Gegend zog, in der er sich auskannte. Als sie einmal nach Rostock fuhren, um zu sehen, was da los ist, kehrten sie schon am Stadtrand um. Irgendwie kamen sie nicht weiter. Er aber wußte, in welchen Dörfern im Lauenburgischen Asylbewerber-Unterkünfte waren. Damit waren allerdings seine Führungstalente auch schon erschöpft.

Das grausamste Verbrechen wird immer im anderen Lager begangen, dort, wo der Feind steht. Der Tod der drei Türkinnen ist so schrecklich, wie jeder gewaltsame Tod es ist. Doch die Inkarnation der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland ist er nicht.

Stefan Geiger, der Kommentator des Urteils gegen die Männer, die den Kosovo-Albaner erschlagen haben, schrieb in der Stuttgarter Zeitung: »Das, was die Justiz zur Aufarbeitung der Gewalt gegen Ausländer leisten konnte, hat sie in diesem Fall geleistet. Für den Rest sind andere zuständig.« Der Prozeß in Schleswig sollte auch zu der Erkenntnis führen, daß für den Rest andere zuständig sind.

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