Zur Ausgabe
Artikel 5 / 80

»Eine Zumutung für das Parlament«

*
aus DER SPIEGEL 34/1983

Helmut Kohl will versuchen, Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff auch dann im Amt zu halten, wenn die Staatsanwaltschaft gegen den FDP-Mann Anklage wegen Vorteilsannahme erhebt und der Richter nach Prüfung der Akten das Verfahren eröffnet.

Zwar gibt es keine förmliche Absprache zwischen den Koalitionsparteien CDU/ CSU und FDP, da die Regierung an der Version festhält, sie rechne nicht mit einem Gerichtsverfahren gegen den Grafen. Aber der Kanzler hat sich längst auf den Fall eingestellt, daß sich Informationen, wonach die Bonner Staatsanwaltschaft in großen Beweisschwierigkeiten stecke, als trügerisch erweisen.

Kohl will dann argumentieren, nach vielen Indiskretionen und Vorabveröffentlichungen müsse Lambsdorff die Chance haben, in einem fairen Prozeß seine Unschuld bestätigt zu erhalten - und das würde Jahre dauern.

Lambsdorff selbst hat vor Parteifreunden ebenfalls zu erkennen gegeben, er wolle - entgegen früheren Äußerungen - trotz Anklage und Gerichtsverfahren im Amt bleiben. Seine endgültige Entscheidung macht er davon abhängig, wie substantiiert die Anklageschrift sei und wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Um seinen Rücktritt möchte er erst dann nachsuchen, wenn er wegen der Gerichtstermine seinen Amtspflichten nicht mehr genügen könne.

Dem Kanzler ist daran gelegen, den Wirtschaftsminister in seiner Regierung zu halten, weil er fürchtet, einen Sturz des Liberalen würde die FDP nicht ohne ernsthafte Blessuren überstehen; das Fundament der Bonner Koalition wäre dann gefährdet.

Lambsdorff gilt dem CDU-Kanzler als zentrale Figur für jene liberal-konservativen Wählerschichten, die sich die FDP nach ihrem Wechsel erschließen müsse. Bisher hat es die FDP unter der

Führung von Hans-Dietrich Genscher nach Kohls Ansicht nicht geschafft, einen solchen Wählerstamm zu bilden.

So zweifelt auch Kohl, ob die FDP bei den kommenden Wahlen in Hessen und Bremen die Rückkehr in den Landtag schafft. Kohl würde sich nicht sperren, wenn dann in beiden Ländern die CDU mit der SPD koalieren wollte.

Um den liberalen Partner zu schonen, weigert sich die Koalition, dem Flick-Untersuchungsausschuß des Bundestages sämtliche Akten über die Bewilligung von Steuerbefreiungen für den Flick-Konzern zu überlassen. Statt dessen erhielt der Ausschuß ausgewählte Akten und einen Bericht über das Bewilligungsverfahren. Otto Schily, der für die Grünen im Ausschuß sitzt, hält dies für eine »Zumutung«. Denn »eine Regierung, in der einer der Beschuldigten der Affäre sitzt«, kritisiert Schily, dürfe das Parlament »nicht mit ihrer Version abspeisen«.

Sollte Lambsdorff trotz aller Bemühungen nicht als Minister zu halten sein, will der Kanzler eine größere Kabinettsumbildung vermeiden und möglichst schnell einen anderen Liberalen zum Wirtschaftsminister ernennen. Kohl möchte verhindern, daß Franz Josef Strauß sich erneut für einen Bonner Regierungsposten ins Gespräch bringt.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 5 / 80
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren