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AGRARPOLITIK Einer hat gequatscht

aus DER SPIEGEL 50/1960

Den Beamten der Bonner Ministerien für Wirtschaft; Finanzen und Ernährung legten ihre Personalreferenten reihum Reverse zur Unterschrift vor, auf denen sie bescheinigen sollten, dem Frankfurter Journalisten Dr. Hans Herbert Götz keinerlei Hinweise auf den neuesten Sündenfall der Bundes-Agrarpolitik gegeben zu haben: Zugunsten der westdeutschen Bauernschaft hat die Bundesregierung auf eine Zollsenkung verzichtet, die nach einem EWG-Beschluß am 1. Januar 1961 für Agrarimporte hätte in Kraft treten sollen.

»Wieder einmal haben die Bauern allen Grund«, so meldete der Bonner Wirtschaftsredakteur der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, Dr. Hans Herbert Götz, »mit dem Bundeskanzler und seinem Landwirtschaftsminister zufrieden zu sein.«

Zusammen mit dem bauernfreundlichen Staatssekretär im Ernährungsministerium Dr. Theodor Sonnemann und gegen den fachmännischen Rat der Kabinettsmitglieder aus den Ressorts Wirtschaft, Auswärtiges, Finanzen und Justiz brachte der Kanzler eine Vorschrift zu Fall, die nach einem Beschluß des EWG-Ministerrats vom 12. Mai eine Zollsenkung herbeiführen sollte.

Sonnemann war in Brüssel dabeigewesen, als ein Teil der Hallsteinsehen Vorschläge zur beschleunigten Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zum offiziellen Beschluß erhoben worden war. Dazu gehörte, daß die im Handelsverkehr der EWG-Länder untereinander erhobenen Zölle für alle Agrarprodukte, deren Einfuhr mengenmäßig noch beschränkt ist, vom 1. Januar 1961 an um fünf Prozent. gesenkt werden müssen.

Zurück aus Brüssel und Aug' in Aug' mit den Exponenten der westdeutschen Bauernschaft in Bonn wollte sich Sonnemann nicht mehr so recht an sein Brüsseler Votum entsinnen. Vielmehr bezeichnete das Bundesernährungsministerium in eigenwilliger Auslegung des eindeutigen Brüsseler Beschlusses diese Verpflichtung zum fünfprozentigen Abbau der bäuerlichen Zollschutzmauer fortan als »schwebend unwirksam«. Zu dieser Interpretation gelangten die Agrarjuristen mit Hilfe eines Manövers, das Götz unter der Überschrift »Torpedo gegen die Wirtschaftsgemeinschaft« anprangerte.

Um nämlich Sonderfällen gerecht zu werden, hatten die Brüsseler EWG-Berater einen Aufschub der Zollsenkung für solche Waren erlaubt, bei denen die Wettbewerbsverhältnisse im Rahmen des EWG-Überprüfungsverfahrens als verfälscht anerkannt werden. Anders als alle anderen Vertragsjuristen der Bundesregierung und anders als die übrigen EWG-Regierungen schlossen Sonnemann & Co. daraus, der Zollsenkungsbeschluß bleibe , unwirksam, bis der Ministerrat nach Überprüfung der Wettbewerbsverhältnisse die

Fünf-Prozent-Senkung noch einmal beschließe. Als das entsprechende Zollgesetz am 12. Oktober vom Kabinett verabschiedet werden sollte, empfahl Sonnemann deshalb, die Agrarpositionen mit den bisherigen höheren Zöllen einzusetzen.

Die anderen Ressortminister verlangten vergebens, den EWG-Beschluß zu respektieren. Konrad Adenauer folgte dem Agrarstaatssekretär auf den verworrenen Auslegungswegen, und der Regierungsentwurf wurde ohne die gesenkten Agrarzölle verabschiedet.

Redakteur Götz, dem die Meinungsverschiedenheit im Kabinett zu Ohren gekommen war, schrieb: »Unsere Verhandlungspartner ... können mit guten Gründen darauf hinweisen; daß ... nicht ein Partner nachträglich den Versuch machen darf, die Vorschriften, die ihm

wegen Interessentendrucks oder aus wahltaktischen Überlegungen nicht in den Kram passen, zu ignorieren... Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Bundesregierung in zunehmendem Maße unglaubwürdig wird.«

Da die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« den Vorzug genießt, vom Bundeskanzler beim Frühstück gelesen zu werden, gab Adenauer seinem Staatssekretär Globke den Auftrag, nach dem Beamten zu fahnden, der »gequatscht hat«. Bis jetzt indes haben Globke und die Personalreferenten ihn noch nicht gefunden.

Sonnemann

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