ENGLAND / KRONE Einer spielte falsch
Der Skandal hatte die Viktorianische
Gesellschaft aufgeschreckt: Bei einem Bakkarat-Spiel, an dem Seine Königliche Hoheit der Prince of Wales, Englands späterer König Edward VII., teilnahm, war gemogelt worden.
Im September 1890 war der damals 48jährige Kronprinz, ein allen Lebensfreuden zugetanes Enfant terrible seiner Zeit, anläßlich eines Pferderennens Gast auf Tranby, Croft, dem bei Leeds gelegenen Besitz eines schwerreichen Reeders namens Arthur Wilson. Abends spielte man Bakkarat, das damals in der Society in Mode kam.
Plötzlich erstarrte die Tafelrunde auf Tranby Croft; Einer der Spieler, Sir William Gordon-Cumming, Oberstleutnant der Königlichen Armee und ein enger Freund des Kronprinzen, mogelte. Je nachdem er eine günstige oder eine schlechte Karte gezogen hatte, erhöhte Oberstleutnant Gordon-Cumming unter vorgeschobener Hand heimlich seinen Einsatz oder zog ihn zurück.
Zur Rede gestellt stritt Sir William jede Mogelei empört ab. Er suchte um eine private Unterredung mit dem Prinzen nach, die ihm gewährt wurde.
Da indes fünf Zeugen gegen ihn auftraten, wurde Gordon-Cumming angehalten, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der er sich verpflichten mußte, nie wieder um Geld Karten zu spielen. Dagegen versprachen die Mitspieler, über den Zwischenfall zu schweigen.
Doch schon wenige Wochen später kursierte die Bakkarat-Geschichte von Tranby Croft in der Londoner Gesellschaft. Sir William strengte daraufhin gegen seine Spielpartner einen Verleumdungsprozeß an, in dem auch der Prinz als Zeuge auftreten mußte.
Mochte auch der Oberstleutnant beteuern, er habe nur unterschrieben, um
den Prinzen vor üblem klatsch zu bewahren, Sir William verlor den Prozeß.
Auswirkungen des, Tranby-Croft -Skandals bekam auch das Königshaus zu spüren. Auf den lebenslustigen Prinzen prasselten Vorwürfe nieder. »Man weiß«, empörte sich die »Times«, »daß der Prince of Wales fragwürdigen Vergnügungen nachgeht.«
Zürnte das Blatt: »Sir William Gordon-Cumming wurde angehalten, niemals wieder Karten zu spielen: Im Interesse der englischen Gesellschaft wünschen wir fast, dieser unselige Fall wäre mit einer ähnlichen Erklärung des Prince of Wales abgeschlossen worden.«
Spiel-Opfer Sir William war durch den Skandal ruiniert und würde für den Rest seines Lebens von der Society geschnitten. Der Oberstleutnant wäre vollends in Vergessenheit geraten, hätte nicht eine königliche Ehrung sieben Jahrzehnte später an die Affäre erinnert.
1957, wurde ein angeheirateter Nachkomme des unglücklichen Bakkarat. Spielers mit der höchsten Ehrung ausgezeichnet, die das britische Königshaus zu vergeben hat Königin Elizabeth II. verlieh dem elften Baron Middleton, Sohn des Schwagers von Sir William, zu seiner eigenen und der britischen Gesellschaft größten Überraschung den Hosenbandorden. Der Baron: »Ich bin einfach sprachlos.«
In der Tat schien die Auszeichnung höchst ungewöhnlich. Der Kreis der Hosenband-Ritter, auf jeweils 26 lebende Mitglieder beschränkt umfaßt in der Regel nur außerordentlich verdiente Staatsmänner, wie Sir Winston Churchill, Heerführer wie Feldmarschall Montgomery, oder Adlige, die durch enge Bande mit dem Königshaus verknüpft sind. Lord Middleton aber, Gutsbesitzer in Yorkshire, war politisch nie hervorgetreten, bekleidete in der Armee nur Majorsrang und war niemals Gast der Königin gewesen.
Erst jetzt glaubt ein findiger britischer
Autor einie Erklärung für die rätselhafte Ehrung des Cumming-Verwandten Middleton gefunden zu haben: Autor J. A. Frere, als Hof-Intimus wohlrenommiert,
behauptet in seinem jüngst veröffentlichten Buch »Die britische Monarchie - privat«, die Auszeichnung Lord Middletons sei eine späte Dankesgeste des Königshauses dafür, daß sich Falschspieler Gordon-Cumming seinerzeit für den Kronprinzen aufgeopfert habe; Sir William, so meint der Autor, habe durch sein plumpes Schwindeln möglicherweise nur von unerlaubten Bakkardt-Kunststücken des Thronerben ablenken wollen*.
»Wenn Sir William den Prinzen verdächtigte zu mogeln, was konnte er tun, um ihn zu retten«;, kombiniert Amateurdetektiv Frere. »Doch nur, was er dann auch getan hat: so ungeschickt und häufig zu mogeln, daß er die Aufmerksamkeit auf sich zog.«
Obwohl Frere für diese Annahme keinen Beweis liefert; sucht er sie überzeugend zu motivieren. Er weist immerhin nach, daß Sir William keineswegs in Geldnöten steckte und daher Kartenmogeleien nicht nötig hatte.
Argumentiert Frere: Dem einzigen, der nach der Affäre noch treu zu Gordon-Cumming hielt, seinem Schwager Lord Middleton, sei kurz nach dein Skandal ohne ersichtlichen Grund der Titel eines Earl angeboten worden. Der Lord habe die Ehrung freilich auf Anraten seiner- Gattin, der Cumming -Schwester Eliza, abgelehnt.
Die königliche Dankbarkeit gegenüber Verwandten des gekränkten Bakkarat-Spielers erreichte, so Frere, daher erst den elften Lord Middleton, der als Siebzigjähriger zum Ritter geschlagen wurde. Frere: »Die Krone hat ein sehr langes Gedächtnis. Noblesse oblige.«
»Natürlich«, so mutmaßte der Londoner »Sunday Express« nach dem Erscheinen des Frere-Buches, »kann der Autor keine genauen Details bringen. Immerhin zählt' er nicht nur zu dem Kreis jener Leute, die Einblick in Privatgeheimnisse des Königshauses haben, sondern ist auch mit den Middletons verwandt. Er würde diese Version der Geschichte sicher nicht publizieren, wenn es für die Middleton-Familie nicht akzeptabel wäre.«
* J. A. Frere: »The British Monarchy at Home«. Verlag Anthony Gibbs, London; 176, Seiten; 30 Shilling.
Hosenband-Ritter Middleton
Als Verwandter geehrt
König Edward VII.
Als Zeuge geladen Schriftsteller Frere
Als Hof-Intimus informiert