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Einer übrig

Zwischen den Bundesländern ist ein Nord-Süd-Konflikt um das bundesweite Privatfernsehen ausgebrochen. *
aus DER SPIEGEL 21/1986

Auf der Sonnenterrasse des stillgelegten Bahnhofs Rolandseck im rheinland-pfälzischen Rheintal saßen die Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, Lothar Späth und Bernhard Vogel beieinander. Einträchtig genossen sie Tafelfreuden nach Art ihrer Länder: Weißwürste, Maultaschen und Hunsrücker Schindelbraten.

Vor dem Schmaus hatten sich die drei Unionschristen, am Montag letzter Woche, im Konferenzzentrum der ausgedienten Bahnstation brüderlich einen politischen Brocken einverleibt: In einem von ihnen unterschriebenen Staatsvertrag sicherten sie sich zur nächsten Jahreswende die gemeinsame Vergabe »eines Kanals für Fernsehzwecke durch private Anbieter auf einem von der Deutschen Bundespost zur Verfügung gestellten Rundfunksatelliten«. Die Unterzeichnung zelebrierten sie vor laufenden Fernsehkameras und großer Reporterkulisse nach Art eines deutsch-deutschen Staatsaktes.

Bundesdeutsches Satellitenfernsehen gibt es seit gut zwei Jahren. Doch der staatsvertraglich eroberte Süd-Kanal bietet etwas Neues: Kommerzfernsehen aus dem All - vom Rundfunksatelliten TV-Sat 1, der am 25. September emporgehoben werden und von Anfang 1987 an senden soll.

Dieser neuartige deutsche Satellit wird im Gegensatz zu den bisher verwendeten europäischen oder amerikanischen Nachrichtensatelliten, deren schwache Sendesignale über Kabel verbreitet werden müssen, mit seiner größeren Sendestärke ohne Kabelanschluß empfangbar sein - nur mit einer 60- oder 90-Zentimeter-Zusatzschüssel für die Haus- oder Gemeinschaftsantennen. Die laufende Monatsgebühr fürs Postkabel entfällt.

Deshalb erwarten Marktkenner und Medienpolitiker, daß nationale Vollprogramme über den TV-Sat schneller ein Massenpublikum erreichen können als _(Ministerpräsidenten Strauß, Vogel, Späth ) _(am 12. Mai in Rolandseck. )

durch die nur langsam vorankommende Verkabelung. Verstärkt wird dieser Weg-vom-Kabel-Trend noch dadurch, daß längst nicht alle Fernsehkanäle in der Bundesrepublik durch die bestehenden Programme besetzt sind. In zahlreichen Städten, so etwa in München, Köln, Hannover und Nürnberg, gibt es noch freie TV-Frequenzen für lokales Fernsehen, auf die im Staatsvertrag der südlichen Bundesländer denn auch Bezug genommen wird.

Gedacht ist daran, diese Lokalfrequenzen stundenweise, etwa früh abends, an die örtliche Presse für ein Lokalfernsehen zu vergeben. In den übrigen Sendezeiten aber soll das Satellitenprogramm vom TV-Sat auch auf diesen Frequenzen gesendet werden, so daß sich eine Arbeitsteilung nach Art des Ersten Programms ergibt: Dort sendet die ARD das überregionale Ganztagsprogramm - bis auf den frühen Abend wenn das Regionalprogramm der einzelnen Rundfunkanstalten läuft. So auch bei den Privaten: ganztags TV-Sat-Programm, früh abends Lokal- oder Regionalfernsehen.

Das vorrangige medienpolitische Ziel der CDU/CSU ist die Stärkung privater TV-Anbieter, von denen sich die Union politisch konforme Programme verspricht. Mehr wirtschaftliche Chancen als dem Kabelfernsehen, das Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling fordert, geben die Ministerpräsidenten der Union mittlerweile dem TV-Sat.

TV-Sat 1, der von der Europa-Rakete »Ariane« ins All befördert werden soll, wird mit vier Fernsehsendern ausgestattet sein, ein fünfter kommt später auf einem Zweitsatelliten hinzu. Mindestens zwei private Interessenten für die TV-Nutzung sind bereits in Sicht, das deutsche Verlegerprogramm »Sat 1« und das luxemburgische »RTL plus« mit Bertelsmann-Beteiligung (40 Prozent). Doch seit Jahren können sich die Bundesländer nicht auf die gemeinsame Vergabe der vier Kanäle einigen.

Als erste taten sich daher Mitte März die CDU-regierten Nordländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Berlin zusammen. Ohne viel Aufhebens vereinbarten sie einen Medienstaatsvertrag der Art, wie ihn nun auch die Südstaatler abschlossen, die allerdings mit ihrem Unterzeichnungszeremoniell in Rolandseck ungleich mehr öffentliches Tamtam darum machten. Und das hatte seinen Grund.

Durch den doppelten Vertragsabschluß in Nord und Süd ist der bisher parteipolitisch bestimmte Medienzwist - die CDU/CSU für Privatfernsehen, die SPD eigentlich dagegen - von einem zusätzlichen geographischen Interessenkonflikt überlagert worden, einem neuen Nord-Süd-Kontrast. Die Unions-Ministerpräsidenten betreiben Standortpolitik, um sich künftige Medienzentren zu sichern.

Das südliche Länder-Terzett, obwohl mit dem Staatsvertrag etwas im Rückstand,

ist den Nordlichtern in der Sache voraus. Das Sat-1-Programm der Großverlage Springer, Bauer, Burda und Holtzbrinck residiert im Süd-Staat Rheinland-Pfalz: mit dem Verwaltungssitz in Mainz, mit der Sendezentrale in Ludwigshafen. Der feierliche Staatsvertragsakt hatte daher den Zweck, das medienpolitische Gewicht des Südens zu demonstrieren und den Stellenwert dortiger Programmanbieter zu signalisieren.

Während Medienbeobachter noch darauf tippen, daß die Nordstaaten nun wohl mit »RTL plus« ins Geschäft kommen würden, dachte der Stuttgarter Lothar Späth schon weiter. »Wer weiß denn«, meinte er in Rolandseck im Hinblick auf die hohen Programmkosten »ob Sat 1 und RTL plus getrennt bleiben, vielleicht tun die sich noch zusammen'' - auf dem Südkanal. Gefragt, was denn dann aus dem Nordkanal werden solle, kniff Späth ein Auge zu: »Dann hätten wir einen übrig«.

Die Begehrlichkeit macht offenbar auch vor Vertragspartnern nicht halt. Der ebenfalls anwesende Edmund Stoiber, Bayerns Staatskanzlei-Chef, dämpfte zwar die immer wieder geäußerte Vermutung, die Bayern wollten Bernhard Vogel doch noch die Sat-1-Zentrale ausspannen: Die Standortwahl, so Stoiber, sei Sache der Programmanbieter selbst. Doch eilig fügte er hinzu: »Natürlich ist München ein attraktiver Medienstandort«

Die Sozialdemokraten sehen dem Satelliten- und Fernsehgerangel der Unionsherren zu, als gehe sie das alles gar nichts an. Nur das SPD-regierte Hamburg, das seine Rolle als Medienplatz (30000 Beschäftigte) behaupten will, scherte aus und kündigte letzte Woche den Beitritt zum Nord-Medien-Staatsvertrag an.

Währenddessen legte Nordrhein-Westfalen, ebenfalls SPD-regiert, den »Diskussionsentwurf« für ein Landesmediengesetz vor, dem die Antipathie gegen privates Fernsehen deutlich anzusehen ist. Wie im öffentlich-rechtlichen TV-Programm sollen laut NRW-Entwurf auch bei den Privaten die gesellschaftlichen Kräfte »angemessen zu Wort kommen«, soll »auch das öffentliche Geschehen in Nordrhein-Westfalen dargestellt werden«. Hessen ist da noch ein Stück konsequenter und läßt Privatprogramme, überhaupt nicht zu.

Er habe nichts dagegen, sagte Späth in Rolandseck, »wenn die SPD-Länder sich auf einen weiteren TV-Sat-Kanal einigen - egal, ob sie ihn privat oder öffentlich-rechtlich nutzen. Dennoch bemüht er sich weiter um einen Gesamtstaatsvertrag aller Bundesländer über die TV-Sat-Nutzung und die medienpolitische Zusammenarbeit. Denn eins macht Späth Sorge: daß die SPD-Länder das Satelliten-Fernsehen durch eine Verfassungsklage gegen die neuen Staatsverträge »rechtlich verzögern« könnten.

Ministerpräsidenten Strauß, Vogel, Späth am 12. Mai in Rolandseck.

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