Greenpeace Einfach anfangen
Der Mann in Brasilien war offensichtlich nicht auf dem laufenden: Mit Datum vom 14. Oktober versandte Jose Augusto Padua, Greenpeace-Vertreter in Südamerika, über das hauseigene Computernetz »Comet« einen umfangreichen Reisevorschlag. Die Meldung ging an Kontaktleute der Umweltorganisation im fernen Europa, auch an den deutschen Öko-Experten Heinrich Seul, 31.
Einzelne Termine waren bereits präzise vorbereitet: Am Sonntag ein Treffen mit einer örtlichen Umweltgruppe im Amazonasgebiet, am Montag wollte die Gruppe per Flugzeug ein Zentrum der Mahagoni-Produktion im Süden des Landes besuchen - die Reise sollte den Auftakt zu einer neuen Greenpeace-Kampagne gegen die Abholzung der Regenwälder bilden. »Ich erwarte Euch hier im November«, schrieb Padua an seine Mitstreiter. Er wird wohl noch länger warten müssen, zumindest auf Seul.
Dem Regenwald-Spezialisten, einem studierten Agrar-Ingenieur, der seit längerem _(* Mit der Bereichsleiterin Chemie Irmi ) _(Mussack. ) für Greenpeace arbeitet, ist von der Geschäftsleitung des Umweltmultis in Amsterdam bedeutet worden, daß er auf der Recherchetour durch das Amazonasgebiet nicht mehr benötigt wird. Hintergrund der plötzlichen Absage: Seul hatte sich im SPIEGEL kritisch über Greenpeace-Leitende geäußert. Der Wissenschaftler vermutet nun, daß »die mich überhaupt nicht mehr beschäftigen wollen«.
Der Fall Seul ist ein Indiz für wachsende Nervosität in dem Öko-Konzern. Er offenbart erneut, daß die Umwelt-Helden Probleme haben, sich offen mit Kritik auseinanderzusetzen.
In diesem Sommer war der Verband verstärkt wegen mangelnder Konzepte und autoritärer Führungsstrukturen ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Medien wie das ZDF-Studio 1 und Esquire, das Zeitgeistblatt Wiener und die Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichten Kritisches. Zentraler Vorwurf eines ehemaligen Mitarbeiters: Greenpeace werde »dem Gegner immer ähnlicher« (SPIEGEL-Titel 38/1991).
Die Reaktionen bekamen die Ökopaxe postwendend zu spüren: In der Hamburger Zentrale der deutschen Sektion gingen körbeweise Protestbriefe ein, zeitweise zogen pro Woche an die tausend Förderer ihre Einzugsermächtigung für Greenpeace zurück. Die Berichterstattung, resümiert der deutsche Geschäftsführer Thilo Bode, 44, »hat uns schwer geschadet«.
Auch im Ausland sahen sich die Umweltschützer einer bislang nicht gekannten Protestfront ausgesetzt. In Tunesien setzte beispielsweise eine derart heftige Presseschelte ein, daß die Regenbogenkämpfer die geplante Eröffnung einer neuen Öko-Filiale verschieben mußten.
Zerknirscht debattieren Greenpeacer jetzt in zahlreichen Diskussionszirkeln Vorschläge für eine inhaltliche und organisatorische Neuorientierung des Verbandes. Die Rede ist von mehr wissenschaftlicher Arbeit und von pfiffigen Umweltlösungen, die mit Hilfe von Pilotprojekten ins Gespräch gebracht werden sollen.
Selbstkritisch wollen einige mittlerweile sogar von der alten Doktrin der »Gewinnbarkeit« Abstand nehmen. Danach hatten sich die Öko-Kämpfer vorzugsweise Konfliktfelder ausgesucht, auf denen die Gegner bereits auf dem Rückzug waren. Die Umwelttruppe heimste so öffentliche Erfolge ein; derweil fühlten sich andere Öko-Organisationen, die wertvolle Vorarbeit geleistet hatten, oftmals um die Früchte ihrer Arbeit betrogen.
Stets auf gute Publicity bedacht, hatten die Greenpeacer auch nicht immer die drängendsten Umweltprobleme angepackt. Nun aber dämmert es etwa dem Kampagnenleiter Energie und Atmosphäre, Wolfgang Lohbeck, 47: »Man muß Dinge, die richtig sind, einfach anfangen.«
Ob die neuen Erkenntnisse an der Greenpeace-Basis sich auch in der Führungsebene der Umweltorganisation durchsetzen werden, bleibt ungewiß. In ihren offiziellen Darstellungen lassen die Greenpeace-Verantwortlichen noch keinerlei Lernfähigkeit erkennen.
Ganz im Stile von Industrie-Managern bügeln sie vielmehr die Kritiker glatt: Da werden in einem an rund eine Million Förderer versandten Schreiben (Portokosten: 600 000 Mark) Querdenker als »Besserwisser« angeprangert, Presseberichte als »Meinungsmache« verunglimpft und konkrete Informationen mit weichen Formulierungen pauschal als »nicht zutreffend« abqualifiziert.
Aufmüpfige Mitarbeiter wollen von einem internen »Maulkorberlaß« wissen, der Öko-Wissenschaftler Seul fühlt sich gar in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht. Der Agrar-Ingenieur war bis Mitte des Jahres in Hamburg Kampagnenleiter für den Bereich Regenwald gewesen, dann schied er auf eigenen Wunsch als Festangestellter aus.
Seul arbeitet seither auf Basis eines Pauschalvertrages für Greenpeace, der erst am 29. August dieses Jahres unterzeichnet wurde. Bis dahin war die Öko-Organisation offenbar mit der Arbeit des Wissenschaftlers, der die neue Regenwald-Kampagne mitkonzipierte, zufrieden.
Formal gilt der Kontrakt noch immer, real ist er jedoch kaum noch etwas wert. Zwar werden Seul für Studien, Recherchen und Beratung feste Tagessätze zugesichert - aber nur für Aufträge, die durch eine »spezielle Vereinbarung« erteilt worden sind. Seul: »Da kann ich mir jetzt wohl nichts mehr für kaufen.«
Eine harmlose Äußerung war für Greenpeace-Direktor Steve Sawyer, 35, in Amsterdam der Anlaß, alle internationalen Aufträge an Seul zu stornieren. Der Wissenschaftler hatte geargwöhnt, daß bei der Umweltorganisation »etwas passiert« sei, »was vielleicht in jeder Firma vorkommt: Der finanzielle Erfolg hat die Geschäftsleitung nicht mutiger gemacht, sondern ängstlicher«.
* Mit der Bereichsleiterin Chemie Irmi Mussack.