KOALITION Einfach ein Witz
Der erste Familien-Zwist im Hause Erhard entlarvte seine zweite Regierungsehe als strapaziöses Dreiecksverhältnis. Ursache des Koalitions-Ärgers war in der letzten Woche nämlich nicht - wie in Bonn sonst üblich - der freidemokratische Partner, sondern die schlimme Schwester der Christdemokraten - die bayrische CSU.
Kurz vor Feierabend am Dienstag blätterte Kanzler-Adjutant Karl Hohmann seinem Chef, der noch an seiner Regierungserklärung feilte, die er anderntags dem Bundestag vortragen sollte, Hiobspost aus München auf den Arbeitstisch im Palais Schaumburg: Im »Bayern-Kurier« (Herausgeber: CSU -Vorsitzender Franz-Josef Strauß) werde am nächsten Tag ein Leitartikel erscheinen, der den Volkskanzler als politischen Versager hinstelle.
Es sei »einfach ein Witz«, so war es dem mutwilligen Chefredakteur Carl Schmöller, 30, harsch aus der Feder geflossen, »daß ausgerechnet die Regierung eines 'Honorarprofessors für Gegenwartsfragen der Wirtschaftspolitik die ihr gegebenen vier Jahre mit einem nie dagewesenen Sparprogramm beginnen muß«.
Schmöller über die zurückgeforderten Wahlgeschenke: »Soll man einen Arzt loben, der einen Patienten mit schmerzvollen Schnitten von der Krankheit befreite, mit der er ihn vorher durch eigenes Verschulden infiziert hatte?«
Und weiter: Erhard stehe »manchen Fragen der Außenpolitik mit einiger Naivität gegenüber«.
Der Kanzler entschied: »Es muß sofort etwas unternommen werden.«
Schon mehrmals sah sich Schmöller in seiner »Kurier«-Karriere - Franz -Josef Strauß hatte ihn 1963 vom »Freisinger Tagblatt« für das Parteiorgan angeheuert - Kritik von Christenführern ausgesetzt: Nacheinander distanzierten sich Hundhammer, Huber und Dollinger öffentlich von Schmöller -Artikeln.
Ein amtierender CSU-Bundesminister letzte Woche zum SPIEGEL: »Das Mittel, die Geschlossenheit unserer Partei wieder herzustellen, ist, Herrn Schmöller rauszuschmeißen.«
Von des Kanzlers Zorn aufgescheuchte CSU-Minister erreichten ihren Parteichef Strauß beim Umtrunk im Bonner Presseklub. Strauß ließ telephonisch wissen, er habe selbst eben erst vom Inhalt des Schmöller-Pamphlets Kenntnis bekommen und werde dafür sorgen, daß der Artikel so nicht erscheine. Der Fernsprechdraht mit München spielte bis morgens um halb zwei.
Als sich Ludwig Erhard gegen elf Uhr am Mittwochvormittag bereitmachte, seine 50seitige Regierungserklärung zu verkünden, mußte er entdecken, daß er abermals betrogen war.
Neue Depeschen aus München, wo inzwischen der »Bayern-Kurier« erschienen war, vermeldeten dem Kanzler, daß dem inkriminierten Leitartikel übel Nacht lediglich einige »stilistische Spitzen« (Schmöller) abgebrochen worden waren. Aus dem »Honorarprofessor für Gegenwartsfragen der Wirtschaftspolitik« war der »Schöpfer des deutschen Wirtschaftswunders« geworden
aus, Erhards »Naivität« gegenüber der Außenpolitik ein »Unbehagen«. So tief fühlte sich Erhard verletzt, daß er sein Vier-Jahres-Programm nur mühsam vorzutragen vermochte. Dabei hatte er gerade für diesen Tag gekämpft, gearbeitet und gelitten: »Seit dem 8. August habe ich keine freie Stunde mehr gehabt.«
Bevor er letzten Mittwoch das Rednerpult erklomm, um seine Regierungserklärung zu verlesen, machte er den Eindruck eines physisch und psychisch überbeanspruchten Mannes. Ruhelos wanderte er vor der Regierungsbank im Plenarsaal auf und ab. Die Situation und eine Grippe-Infektion trieben ihm Schweißperlen auf die Stirn.
Kanzler-Betreuer Rainer Barzel, der voll Sorge den Gesundheits- und den Seelenzustand Ludwig Erhards beobachtet hatte, erkundigte sich unruhig: »Wie steht es, können Sie heute sprechen?« »Ja, ja, es geht schon«, beruhigte ihn Erhard wie ein Bühnenstar, der die Premiere nicht wegen einer Unpäßlichkeit schmeißen will.
Am Nachmittag mußte er von seinen Getreuen förmlich dazu überredet werden, um 15 Uhr die Fraktionssitzung der CDU/CSU aufzusuchen, wo Widersacher Strauß seinen Platz zur Rechten des Kanzlers hatte.
Im Hereinkommen warf der Volkskanzler dem bayrischen Volksführer ein paar wütende Worte hin, setzte sich und nahm schweigend übel. Wenig später riefen dringende Dienstgeschäfte den Kanzler hinaus auf den Korridor. Drinnen nutzte Fraktionschef Rainer Barzel den Augenblick, um den vom »Bayern -Kurier« aufgewirbelten Staub mit elegantem Schwung unter den Teppich zu kehren: »Wir haben die Verpflichtung, uns um diesen Kanzler zu scharen und mit ihm die Politik durchzuführen, die er heute angekündigt hat. Das ist wichtiger als dieser oder jener Artikel.«
In den Fraktionssaal zurückgekehrt, ließ der Kanzler seinem Zorn dennoch freien Lauf. Er bat ums Wort und donnerte:
DEr halte es für »unter meiner Würde«, auf den Artikel im »Bayern -Kurier« im einzelnen einzugehen.
- Er verlange von der Landesgruppe
der CSU eine Erklärung.
- Derartige Streitereien dürften nicht am Beginn der Zusammenarbeit stehen.
- Unter solchen Voraussetzungen jedenfalls sei er zur Zusammenarbeit mit der CSU nicht bereit.
Mittelstarker Beifall des Fraktionsvolkes war das einzige Echo auf diesen Ausbruch. Franz-Josef Strauß schwieg. Barzel ließ den nächsten Punkt der Tagesordnung diskutieren.
Beim abendlichen Nachkarten des CSU - Landesgruppenvorstands kam Strauß so billig nicht davon. Die fünf bayrischen Bundesminister - Jaeger, Höcherl, Dollinger, Niederalt und Stücklen - machten gemeinsam Front gegen Strauß und nahmen Partei für Ludwig Erhard.
Post-Stücklen schimpfte: »Wir können uns nicht aufführen wie eine zweite FDP.« Justiz-Jaeger verlangte sogar, den Schmöller sofort in die Wüste zu schicken. Andere pflichteten ihm bei.
Chef Strauß riegelte ab. In der Sache sei Schmöllers Artikel schließlich nicht so falsch. Tatsächlich sei die Regierung mitschuldig an der Haushaltsmisere.
In diesem Sinne habe er am Sonntag mit Schmöller einen Artikel vereinbart, aber ausdrücklich zur Bedingung gemacht, daß er keinen persönlichen Angriff auf den Kanzler enthalte und den Koalitionsfrieden nicht störe. Strauß: »Aber beim Schreiben ist dem Schmöller offenbar der Gaul durchgegangen.«
Der Ministerflügel war nicht befriedigt: Auch die entschärfte Fassung des Artikels sei ein offener Angriff auf die Regierung, der sie selbst angehörten.
Solcher Widerstand des Regierungsflügels der CSU gegen die Oppositionsrolle, die Strauß außerhalb der Regierung spielt, ließ den CSU-Chef aufhorchen. Zwar komme eine Entlassung Schmöllers schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser einen sehr langfristigen Vertrag habe und »wir, wenn wir ihn jetzt rauswerfen, nie wieder einen begabten Journalisten für unsere Parteizeitung bekommen«.
Aber einem Entschuldigungsschreiben an den Kanzler, das einer Maßregelung Schmöllers gleichkommt, mußte Strauß zustimmen. Er versäumte nicht, dem Brieftext einzufügen, daß er es war, der die Änderung des Sehmöller-Artikels veranlaßt habe.
Ludwig Erhards robustester Opponent war auf einmal nicht mehr so sicher, ob es seinen Zielen wirklich dienlich sei, Erhard nur Schwierigkeiten zu machen, oder ob nicht sorgfältig kalkuliertes Wohlverhalten ihn schneller wieder in die Höhe bringen würde.
Solche Zweifel hatten auch die sich häufenden Konflikte geweckt, die strittigen Personalfragen, wie im Falle Graf Huyn und Zimmermann (Seiten 43, 44), die Franz-Josef Strauß in Gegensatz zur CDU gebracht haben. Fraktionschef Barzel urteilte: »Das Verhältnis der CDU zur CSU ist gespannter denn je.«
Auch den gekränkten Volkskanzler vermochten die Unschuldsbeteuerungen des Bayern noch nicht umzustimmen. Erhard: »Schmöller muß als der Bleistift des Herrn Strauß betrachtet werden.«
Kanzler-Kritiker Schmöller
»Der Gaul durchgegangen«