»Einfach nur Verbrecher«
Mubarak, 69, ist seit 1981 als Nachfolger des ermordeten Anwar el-Sadat Staatspräsident Ägyptens und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er gilt als Freund des Westens und bezeichnete den Frieden für Nahost einmal als seine »Mission«. Innenpolitisch gerät der mit starker Hand agierende Mubarak durch die Militanz religiöser Fanatiker unter Druck.
SPIEGEL: Herr Präsident, mit dem Mord an 58 Touristen in Luxor haben islamistische Terroristen auch Ihre Regierung schwer getroffen. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Mubarak: Der Terrorismus schlägt überall in der Welt zu und macht auch vor Ägypten nicht halt. Denken Sie doch an die schreckliche Explosion von Oklahoma City, die 168 Menschen das Leben kostete. Zahlreiche Touristen, darunter Deutsche, wurden auch in Florida umgebracht. Warum schreiben die Medien über Ägyptens Radikale mehr als über all die anderen?
SPIEGEL: Natürlich interessiert bei einem Massaker wie dem von Luxor mehr als andernorts die Frage: Wer sind die Täter? Warum suchten sie sich den Hatschepsut-Tempel als Tatort aus, und weshalb zu diesem Zeitpunkt?
Mubarak: Ob es den Verbrechern auf ein bestimmtes Datum ankam, weiß ich nicht. Ich schließe nicht aus, daß sie dachten, kurz nach der aufsehenerregenden Aufführung der Oper »Aida« in Luxor eine möglichst große Menschenansammlung zu treffen, in der Annahme, daß solch eine Aktion das Augenmerk der Welt auf sich ziehen werde. Ihr Ziel war es, den Staat in seinen Grundfesten zu erschüttern. Aber dazu sind sie nun doch nicht in der Lage.
SPIEGEL: Den Tourismus haben sie jedenfalls nachhaltig getroffen, die wichtigste Einnahmequelle Ihres Landes.
Mubarak: Sicher haben sie uns schweren Schaden zugefügt. Zu allem entschlossene Terroristen - selbst wenn es nur wenige sind - können viel Unheil anrichten, das haben Sie in Deutschland doch auch schon durchgemacht. Die Bundesrepublik ist am Terror einiger weniger gewalttätiger Hasardeure, die den Staat provozieren wollten, genausowenig zerbrochen, wie Ägypten jetzt zerbrechen wird.
SPIEGEL: Die Täter wollten inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen, so den blinden Scheich Umar Abd el-Rahman, der sich brüstete, die Ermordung Ihres Vorgängers Anwar el-Sadat als »islamische Notwendigkeit« angeordnet zu haben.
Mubarak: Dieser Extremist sitzt in den USA im Gefängnis, seit den Amerikanern nach dem Sprengstoffanschlag im World Trade Center die Augen aufgegangen sind und sie seinem Treiben ein Ende gesetzt haben.
SPIEGEL: Die terroristische Untergrundorganisation Gamaa islamija, welche die Verantwortung für das Luxor-Massaker auf sich genommen hat, will nicht nur die Freilassung von Rädelsführern erwirken, sondern ein islamisches Staatswesen nach ihren Vorstellungen errichten. Sind Sie zu einem Dialog mit islamistischen Gruppen bereit?
Mubarak: Wir haben mit diesen Leuten seit Sadats Regierungszeit, bis zum Jahre 1993, in einem Dialog gestanden, auch dann noch, als ich schon im Amt war. Ich dachte mir, daß ein Dialog zu einem Ergebnis führen müsse. Aber heraus kam dabei nichts. Sie fühlten sich aufgewertet, weiteten ihre Aktivitäten aus und bauten ihre Infrastruktur aus. Unsere Dialogbereitschaft legten sie als Schwäche aus. Als sie zu den Waffen griffen, war mir endgültig klar, daß ein Dialog nichts bringt.
SPIEGEL: Manche Islamisten, etwa die Muslimbruderschaft, wollen sich politisch betätigen, aber in Ägypten sind religiöse Parteien verboten.
Mubarak: Wer Frauen und Kinder zusammenschießt, Sprengsätze in öffentlichen Gebäuden hochgehen läßt und überführte Mörder freipressen will, hat ein gestörtes Verhältnis zu Staat und Gesellschaft. Solchen Elementen sollte nicht die Möglichkeit gegeben werden, Parteien zu dirigieren.
SPIEGEL: Wären andere, nicht derart auf Gewalt eingeschworene Islamisten durch eine Parteigründung womöglich in das ägyptische Staatswesen einzubinden?
Mubarak: Ich bin Muslim. Ich bete, faste und halte die Gebote unserer Religion besser ein als die Leute, über die wir uns hier unterhalten. Dennoch steht für mich fest, daß die Religion aus Angelegenheiten des Staates herausgehalten werden sollte. Reicht es denn nicht, wenn unsere Bürger nach ihrer Religion selig werden können und ihren islamischen, christlichen oder jüdischen Riten nachgehen dürfen?
SPIEGEL: Vertragen sich denn Islam und Laizismus? Oder verlangt der Koran nach einer religiös geprägten Regierung?
Mubarak: Die Islamisten wollen über ein absichtlich gefälschtes Religionsbild mit allen Mitteln an die Schalthebel der Macht, um uns 500 Jahre in die Vergangenheit zurückzubefördern. Wenn wir die Dämme brechen ließen, hätten wir über Nacht 20, 30 islamistische Parteien, die einander an die Kehle gehen würden, weil jede Allahs Weisheit gepachtet haben will. Außerdem hätten wir dann noch verschiedene christliche und gar jüdische Parteien, die wir mit gleichem Recht zulassen müßten.
SPIEGEL: Das würden die Islamisten nie akzeptieren ...
Mubarak: ... und genau das ist der Punkt: Die Islamisten sind mit einer Gesellschaft, in der Muslime und Christen friedlich zusammenleben, unzufrieden. Sie rufen zu Intoleranz auf, und dann fließen Ströme von Blut. Noch einmal: Die religiösen Fanatiker haben kein glaubwürdiges islamisches Anliegen zu verteidigen. Sie sind schlicht und einfach nur Verbrecher.
SPIEGEL: Dennoch gibt es auch in Ägypten religiöse Hardliner, die in aller Offenheit Andersdenkende verketzern konnten.
Mubarak: Niemand darf sich das Recht dazu nehmen. Journalisten und Schriftsteller, denen solche Ungeheuerlichkeiten unterstellt werden, können sich dagegen wehren. Als sich kürzlich der Autor Hassan Hanafi solchen Beschuldigungen ausgesetzt sah, wandte er sich an das Gericht. Und das sprach ihn frei, der ganze Spuk verflüchtigte sich wieder.
SPIEGEL: Wie wollen Sie das Problem des Islamismus in den Griff bekommen?
Mubarak: Sicher nicht, indem ich den mordbereiten Verfechtern der Intoleranz Spielwiesen einräume. Beim Pervertieren des Begriffs der freien Meinungsäußerung mache ich nicht mit.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Mubarak: Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann nicht bedeuten, daß jeder sich anmaßen darf, die physische Liquidierung Andersdenkender anzuordnen.
SPIEGEL: Sie spielen auf ägyptische Islamistenführer an, die im Ausland sitzen?
Mubarak: Ich verstehe nicht, wieso Leuten in England Asyl gewährt wird, an deren Händen Blut klebt, wieso denen die Freiheit eingeräumt wird, in Interviews und Zeitungsartikeln zum Mord an Andersdenkenden aufzurufen.
SPIEGEL: Verlangen Sie die Auslieferung der im Westen agitierenden Ägypter?
Mubarak: Wir haben damit begonnen. Nur ein Beispiel: Wieso wird dem überführten Mädchenmörder Jassir Sirri erlaubt, sich frei zu betätigen? London verlangte von uns Dokumente über seine Taten. Gut, wir schickten die Unterlagen, aber bis jetzt hat sich nichts bewegt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß England den Terrorismus unterstützen will.
SPIEGEL: Stehen Sie in dieser Frage mit den Behörden anderer Länder in Kontakt?
Mubarak: Wir haben bereits positive Reaktionen erhalten, so aus Deutschland. Doch das allein reicht natürlich nicht, auch unsere Sicherheitsmaßnahmen im eigenen Land sind wesentlich verschärft worden.
SPIEGEL: In Luxor gab es offenbar nur unzureichenden Schutz ...
Mubarak: ... weil alle gedacht hatten, dort werde nie etwas passieren.
SPIEGEL: Haben Sie die Situation in Oberägypten jetzt wirklich im Griff?
Mubarak: Der neue Sicherheitschef kommt aus der Armee, der weiß, was er zu tun hat. Glauben Sie mir, wir haben einen umfassenden Sicherheitsplan ausgearbeitet und schon begonnen, ihn in die Tat umzusetzen. Darum kümmere ich mich persönlich.
SPIEGEL: Die sozialen Probleme helfen den Radikalen, ihre Rekruten zu finden. Was tun Sie dagegen?
Mubarak: Die Urbarmachung der Wüste muß mit allergrößter Dringlichkeit vorangetrieben werden. Das in Südägypten begonnene Toschka-Projekt ist der erste Schritt eines auf Jahrzehnte angelegten Vorhabens, das später Millionen von Ägyptern neuen Lebensraum gibt. Wir erleben einen Einschnitt in der Geschichte Ägyptens, dem widme ich nicht weniger Energie als der Terrorismusbekämpfung und der Lösung des Nahost-Problems.
SPIEGEL: Ist das Nahost-Problem denn überhaupt noch zu lösen?
Mubarak: Israel muß einlenken und die eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Palästinensern erfüllen. Premier Netanjahu versprach mir hoch und heilig, daß er die mit den Palästinensern vereinbarten Abmachungen einhalten werde, doch das ist bis jetzt nicht geschehen.
SPIEGEL: Palästinenserführer Jassir Arafat ist oft zu Gast in Kairo. Was können Sie tun, um den Friedensprozeß wieder in Gang zu bringen? Oder haben die Araber gar kein Druckmittel in der Hand?
Mubarak: Lassen wir den Begriff Druckmittel beiseite. Wir machen den Israelis, den Amerikanern und den Europäern immer wieder klar, daß die Alternativen zum jetzigen Friedensprozeß für alle Beteiligten fatal wären. Die ständigen Mahnungen haben einiges bewirkt. Man stelle sich vor: Selbst Israels Hardliner Ariel Scharon erklärte jetzt, daß es ohne einen Staat Palästina keinen Frieden geben kann.
SPIEGEL: Scharon denkt doch bloß an eine Art Bantustan, und Israel baut unbeirrt seine Siedlungen im Westjordanland weiter, im Bestreben, die Bevölkerungsstruktur zu seinen Gunsten zu verändern.
Mubarak: Ich warne jeden jüdischen Siedler, sich in den besetzten Gebieten niederzulassen. Er setzt sich selbst und seine Angehörigen wissentlich großer Gefahr aus. Denn wenn die israelische Siedlungspolitik fortgesetzt wird und die Palästinenser betrogen werden, brechen sich Wut und Verzweiflung Bahn. Der Terror der Enttäuschten wird fürchterlich sein. Die Intifada wäre ein Kinderspiel im Vergleich zu dem, was kommen wird, wenn den Palästinensern ihre Rechte verweigert werden. SPIEGEL: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Redakteur Volkhard Windfuhr in Kairo.* Am Grenzübergang zum Gaza-Streifen, bei einem Telefongesprächmit US-Präsident Clinton.