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KANZLERAMT Einfall der Tataren

Ministerialrat Klaus Seemann, Personalratsvorsitzender im Kanzleramt, beschimpft in einem Buch seine sozialdemokratischen Oberen.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Die Ankündigung verheißt Großes: Der Landshuter »Verlag Politisches Archiv GmbH«, spezialisiert auf Anti-SPD-Pamphlete, kündigt seine jüngste Edition als »einmaliges Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland« an.

Und etwas Einmaliges ist schon daran, an dem gerade erschienenen Buch »Entzaubertes Bundeskanzleramt« von Klaus Seemann -- nicht so sehr wegen seiner ruppigen Polemiken gegen die Spitzen der Bonner Regierungszentrale. die in ähnlichen Wendungen auch allwöchentlich in der »Deutschen National-Zeitung« oder im »Bayernkurier« zu haben sind, sondern wegen der Stellung des Schreibers: Autor Seemann. 50, ist Ministerialrat im Bundeskanzleramt und dort seit zehn Jahren Vorsitzender des Personalrats.

Das CDU-Mitglied Seemann schlägt Alarm. Das Volk soll erfahren, wie es um die oberste Schaltzentrale der Bonner Republik bestellt ist, seit dort die Sozialdemokraten hausen. Die nämlich betreiben, so verrät der Ministerialrat' eine »Personalpolitik der rücksichtslosen Politisierung«; ihr Wirken erinnert ihn »freundlich gesprochen eher an Tatareneinfälle als an eine geordnete Verwaltung«; und selbstverständlich erlebte »das Bundeskanzleramt einen Funktionswandel zum Befehlsempfänger der SPD-Parteizentrale«.

Schon gleich nach dem Regierungswechsel 1969 fing es schlimm an. Weil der neue Kanzler Brandt und sein Amtschef Horst Ehmke CDU-Beamte im Kanzleramt reihenweise abhalfterten, kommt Autor Seemann zu dem Schluß: »Die Ära Brandt/Ehmke beginnt mit einem Rechtsbruch« und hält von da an geraden Kurs. Als Ehmke das Kanzleramt 1972 verläßt, findet Seemann die Regierungszentrale »in einem Zustand, der lebhaft an die Ställe des Augias erinnert«.

An diesem Ort gab es laut Seemann einen Kanzler Brandt, der »nach einer weit im Bundeskanzleramt verbreiteten Meinung. ... als durch seine Umgebung manipulierbar« galt. Und da hatte Ehmke mit dem neuen Leiter der Wirtschaftsabteilung, Dr. Herbert Ehrenberg, einen Mann in das Amt eingeschleust, der »wie ein Berserker wütet«.

Ehrenberg sorgte nach Ansicht des Ministerialrats auch dafür, daß der Spion Günter Guillaume in Brandts Vorzimmer aufrückte. Das Motiv liegt für Seemann auf der Hand: »um in Günter Guillaume nicht nur einen zuverlässigen Informanten in der Umgebung Willy Brandts zu besitzen, sondern auch mittels Günter Guillaume Brandt in seinem Sinne beeinflussen zu können«.

Zweifelsfrei ist es für den schriftstellernden Spitzenbeamten des Kanzleramtes, der neben seinem Hauptberuf Zeit für bereits 60 Publikationen fand, daß die Einstellung des DDR-Agenten kein Zufall war, sondern »die logische Konsequenz eines Systems der Personalpolitik gewesen ist, wie es sich seit dem Regierungswechsel 1969 ... etabliert hat«.

Die alteingesessenen soliden Beamten des Kanzleramts hatten freilich laut Seemann schon bald erkannt, wohin das führen müsse, und zu dem Genossen Distanz gehalten. Der Autor berichtet freimütig über ein Gespräch mit Guillaume, in dem sich der Neuling über Kontaktschwierigkeiten gegenüber den Alteingesessenen beklagte: »Ich habe ihm damals wahrheitsgemäß

* Mit Kanzleramts-Bediensteten 1969 bei der Begrüßung von Bundeskanzler Willy Brandt.

geantwortet«, so Seemann, »daß er bei der Ansprache unserer Amtsangehörigen wie viele SPD-Funktionäre die Art und Weise wähle, wie man manuelle Arbeiter anspricht, jedoch nicht Angehörige des öffentlichen Dienstes, die nun einmal der Masse nach keine manuellen Arbeiter seien.«

Der Mann, der solcherlei zu Papier bringt, erfreut sich seit vielen Jahren großer Popularität unter den Bediensteten der Regierungszentrale: Seit 1965 immerhin ist Klaus Seemann, von Amts wegen in der Innenabteilung zuständig für Jugend. Familie und Gesundheit, ununterbrochen Vorsitzender des Personalrats im Kanzleramt.

Einem Streit ging Seemann auch unter christdemokratischen Kanzlern nie aus dem Wege. »Wegen Behinderung der Tätigkeit des Personalrats« legte er sich in Prozessen mit Ludwig Erhard wie mit Kurt Georg Kiesinger an. Dem letzten CDU-Kanzler attestiert er in seinem Werk, er habe sich wie eine »gottgewollte Obrigkeit« aufgeführt und einen »neofeudalistischen Führungsstil« gepflogen. Ein CDU-Mitglied urteilte: »Der Mann hat doch querulatorische Neigungen.«

Seit dem Amtsantritt der Sozialliberalen lief Seemann dann zu immer besserer Form auf. Unablässig beschimpfte er, als Personalrat und Beamter zwiefach gegen Sanktionen des Arbeitgebers geschützt, auf Personalversammlungen seine Amtschefs. Vor dem Guillaume-Ausschuß des Bundestages wütete er so maßlos gegen Ehmke und Ehrenberg' daß sogar der Ausschußvorsitzende Walter Wallmann (CDU) ihn rügen mußte.

Bisher ließen die Sozialdemokraten im Kanzleramt den bockigen Staatsdiener ungestört um sich schlagen (ein Insider: »Der hatte seit Ehmke bei uns Narrenfreiheit"), aber nun wird es vielleicht ein Exempel geben. Schmidt-Staatssekretär Manfred Schüler gab letzte Woche Anweisung zu prüfen, »ob der Beamte durch die Veröffentlichung gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat«.

Wird gegen Seemann ein Disziplinarverfahren eingeleitet, könnte neuer Pamphlet-Stoff anfallen: Der Strafkatalog des Disziplinarrechts reicht vom einfachen Verweis bis zur »Entfernung aus dem Dienst«.

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