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PERSONALAUSWEIS Eingeschweißte Scheine

Gegner der neuen Computerkennkarte lassen sich noch einmal Papier-Ausweise ausstellen. Nun kommen Zweifel auf, ob die Plastikkarte überhaupt fälschungssicher ist. *
aus DER SPIEGEL 14/1987

Im Wasch-Center an Hamburgs Neuem Pferdemarkt herrschte Hochbetrieb: An die zwanzig Kunden nahmen gleichzeitig die Selbstbedienungsautomaten in Anspruch. Trotz Schongang bei 60 Grad blieb von den Wäschestücken nicht viel übrig - genau so, wie es die Besucher des Salons beabsichtigt hatten.

Denn bei der großen Wäsche sollten amtliche Dokumente zerfleddert werden; wie vorletzten Sonntag in Hamburg gab es in den Vergangenen Wochen vielerorts »Waschtage": In Münz-Maschinen und Zubern wurden Personalausweise unbrauchbar gemacht.

Mit der Aktion wollten die Wäscher erreichen, daß ihnen nochmals ein papierenes graues Ausweisbüchlein ausgestellt wird, ehe am Mittwoch dieser Woche das Plastikzeitalter anbricht: Dann stellen die Einwohnermeldeämter nur noch die neuen scheckkartenähnlichen, aber mit dem Format 7,4 mal 10,5 Zentimeter deutlich größeren Computerausweise aus. Das maschinenlesbare Dokument ermöglicht, daß an der Grenze oder bei Polizeikontrollen blitzschnell Fahndungsdateien abgefragt werden. Mit seiner Hilfe wollen die Behörden auch neue Datensammlungen über die kontrollierten Bürger anlegen.

Um sich der elektronischen Überwachung wenigstens vorläufig zu entziehen, versuchten Ausweisgegner noch rasch vor dem Stichtag, ein Papier des alten Typs mit Gültigkeit bis 1992 zu ergattern. Manche Ämter registrierten in den letzten Tagen viermal so viele Anträge auf neue Personalausweise wie üblich.

Nicht überall jedoch spielten die Behörden mit, wenn jemand behauptete, sein Pappausweis sei ins Waschwasser oder in Verlust geraten. Das Berliner Landeseinwohneramt beispielsweise fand den Ansturm auf das Auslaufmodell verdächtig. In bestimmten Bezirken häuften sich nach Auskunft von Hans Birkenbeul, dem Sprecher des Innensenators, erkennbar die Anträge »junger Leute mit dem entsprechenden Habitus«, die das Waschmaschinen-Märchen erzählten. Gegen 27 Berliner wurde Strafanzeige wegen »gemeinschädlicher Sachbeschädigung« erstattet.

CDU-Innensenator Wilhelm Kewenig wies die Meldeämter schließlich an, Papierausweise nur noch befristet auf höchstens vier Wochen auszustellen - die erklärten Gegner werden deshalb unter den ersten sein, die neue Computerkennkarten beantragen müssen.

»Nur Kriminelle«, meint CSU-Innenminister Friedrich Zimmermann, hätten den maschinenlesbaren Ausweis zu fürchten. Kritiker sehen in der Karte dagegen das Instrument einer rechtsstaatswidrigen Technologie zur Massenkontrolle, wie es sie bisher in keinem anderen Land der Welt gibt.

SPD, Grüne und Experten erheben deshalb, so Hamburgs Datenschützer Claus Henning Schapper, »verfassungsrechtliche Bedenken«. Es sei »ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen die Polizei mit Hilfe des neuen Ausweissystems Personen kontrollieren, Personalien feststellen und die so gewonnenen Informationen verwerten darf«.

Gesetzlich geregelt ist bisher nur die »Schleppnetz-Fahndung": Gleichzeitig mit dem Beschluß der Bonner Koalition, EDV-Ausweise und, von Anfang 1988 an, auch maschinenlesbare Pässe einzuführen, wurde in die Strafprozeßordnung ein Paragraph 163d eingefügt. Danach dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen, an Kontrollstellen personenbezogene Daten erfaßt sowie bis zu neun Monaten gespeichert und verarbeitet werden.

SPD-regierte Länder wollen ihre Polizei nicht mit Lesegeräten ausrüsten, die den Draht zu den Polizeicomputern herstellen. Selbst das Bonner Innenministerium schafft vorerst nur 400 solcher Automaten für Bundesgrenzschutz und Zoll an, obwohl es 722 Übergangsstellen gibt. An den Grenzerhäuschen ohne Lesegeräte und bei vielen Ausweiskontrollen im Binnenland wird es daher zunächst beim Augenschein bleiben - Blick aufs Photo. Blick ins Gesicht des Überprüften. Ohnehin trauen Experten dem Hauptargument für die Neuerung nicht so recht, die Computerkarte sei absolut fälschungssicher.

Nur Verfälschungen, wie sie bisher häufig vorkamen, etwa durch Auswechseln der Bilder in echten Ausweisen oder durch fingierte Personalangaben in gestohlenen Blanko-Ausweisvordrucken, werden mit dem neuen Herstellungsverfahren vereitelt. Der Ausweis wird künftig, zentral in der Berliner Bundesdruckerei, zusammen mit dem Paßphoto auf Spezialpapier gedruckt und in Plastikfolie eingeschweißt - nachträgliche Änderungen sind nicht möglich.

Doch Kniffe, die Kontrolleure zu täuschen, bleiben genug. Vor allem wird mit der Plastikkarte bisher fast unmöglichen Totalfälschungen der Weg bereitet.

Nur die Lesegeräte können anhand eines »Sicherheitsmerkmals, das aus chemischen und physikalischen Eigenschaften besteht« (Bundesdruckerei-Präsident Klaus Spreen) echte Dokumente von Imitaten unterscheiden. Fälschungen, die einer visuellen Überprüfung standhalten, sind aber leicht herzustellen: Maschinen, die Kunststoffausweise für Betriebe und Behörden drucken, sind weit verbreitet.

Deshalb fürchten Fachleute sogar Sicherheitseinbußen: Weil sich die Beschaffenheit des Papiers unter der Kunststoffhaut nicht durch Anfassen prüfen läßt, falle einem kontrollierenden Polizisten nicht auf, wenn die Folie nur eine Photokopie oder Zeichnung umhülle.

Ein Druck-Experte hält den neuen Ausweis schlicht für einen Witz: »Keine Notenbank käme auf die Idee, eingeschweißte Geldscheine herauszugeben.« _(In Originalgröße )

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