EXIL-KROATEN Einig durch Dynamit
Der Umgang mit Dynamit war ihnen vertrauter als der Text des deutschen Sprengstoffgesetzes. Seit ihnen aber auf der Anklagebank die Paragraphen geläufiger geworden sind, haben
26 Exil-Kroaten vor dem Bonner Schwurgericht die Taktik gewechselt: Nach ihrem früheren, mannhaften Geständnis, die jugoslawische Handelsmission in Mehlem am 29. November 1962 gemeinschaftlich überfallen zu haben, ist ihnen nun jede Ausflucht recht, die Schuldfrage unklar zu halten.
Geändert hat sich auch die Absicht der Staatsanwaltschaft, anhand des Prozesses die Querverbindungen, Hintermänner und Geheimbünde der Exil-Kroaten zu entlarven und der Öffentlichkeit darzustellen. Die Emigranten waren im Tarnen erfolgreicher als die Strafverfolger im Recherchieren.
Staatsanwalt Horn konnte die Hintermänner nicht anklagen, er mußte sich mit den Tätern begnügen. Er bezichtigt sie des vorsätzlichen Sprengstoff-Verbrechens, der Geheimbündelei, der vorsätzlichen Brandstiftung, der Verabredung zu einem Sprengstoffanschlag und der Sachbeschädigung. Dem Hauptangeklagten Franjo Percic wird darüber hinaus noch ein vollendeter Mord und ein Mordversuch vorgeworfen.
Die 26 Angeklagten, unter ihnen der Priester Rafael Medic, gehören zu einer der extremsten Gruppen in der fast durchweg radikalen kroatischen Vereins-Vielfalt. Die Zahl der Klubs und Verbände, die von den rund 30 000 in Westdeutschland lebenden Exil-Kroaten in den Jahren nach dem Krieg gegründet wurden, ist auch für Kenner kaum überschaubar.
Die Emigranten-Zirkel sind die Hinterlassenschaft Dr. Ante Pavelics, der 1941 nach dem Überfall der Achsenmächte auf Jugoslawien mit Hitlers und Mussolinis Hilfe einen »unabhängigen Staat Kroatien« aus dem Königreich Jugoslawien heraustrennte. Knapp vier Jahre lang führte Pavelic als Chef der faschistischen Ustascha-Bewegung ein Schreckensregiment, dem nach jugoslawischer Schätzung etwa 800 000 Menschen zum Opfer fielen.
Unterschiedslos ließ der katholische Poglavnik ("Führer") Pavelic Serben, Juden, Zigeuner und mißliebige Kroaten so barbarisch abschlachten, daß selbst die deutsche Militärverwaltung in Kroatien Bedenken beim Auswärtigen Amt anmeldete.
Mit Hitlers Truppen verschwanden auch Ante Pavelic und sein faschistischer Ustaschen-Staat. Der Poglavnik setzte sich nach Argentinien ab; seine Anhänger flohen - hauptsächlich nach Spanien, Österreich und Westdeutschland.
Der Bruch zwischen Ost und West brachte die Ustaschi jedoch wieder auf die Beine. Mühelos deuteten Pavelic und seine Leute ihr kroatofaschistisches Kredo in einen populären Antikommunismus um. Aus dem nationalistischen
Streit um ein unabhängiges Kroatien, in dessen Verlauf Pavelic bereits 1934 den jugoslawischen König Alexander I. in Marseille hatte ermorden lassen, wurde ein »abendländischer Kreuzzug« gegen Tito und den jugoslawischen Nationalkommunismus.
Seit den fünfziger Jahren übte dann Westdeutschland eine besondere Anziehungskraft auf die kroatischen Emigranten aus. Insbesondere der diplomatische Bruch zwischen Belgrad und Bonn ließ die Zuwandererquote hochschnellen. Die Europa-Zentralen zahlreicher Ustascha-Nachfolgeorganisationen siedelten sich vornehmlich in München und im Ruhrgebiet an.
Pavelic starb 1959 in Madrid. Er hinterließ seinem Nachfolger Dr. Stjepan Hefer die »Kroatische Befreiungsbewegung«, ein Sammelbecken für orthodoxe Pavelic-Anhänger aller Schattierungen in den verschiedenen Ländern. Ihre bedeutendste Gruppe in Westdeutschland sammelte sich bei den »Vereinten Kroaten«, deren Präsident Mile Rukavina, ein ehemaliger Ustascha-Offizier, in München sein Hauptquartier hat.
Da dieser offiziell eingetragene Verein sich als Stützpunkt für terroristische Aktionen nur wenig eignete, gründete Rukavina Ende des Jahres 1961 zusammen mit einigen Freunden die »Geheime Revolutionäre Ustaschi-Bewegung« (Trup), deren Angehörige sich ausschließlich aus Mitgliedern der »Vereinten Kroaten« rekrutierten.
Die Trup-Leute wurden militärisch geschult, doch fielen die Aktionen der geheimen Ustaschi - abgesehen von Prügeleien mit jugoslawischen Gastarbeitern und dem Zerreißen von Titos Flagge bei internationalen Messen -
bislang wenig auf. Der einzige Trup -Kämpe, der bisher von den deutschen Sicherheitsbehörden gefaßt wurde, ist Nahid Kulenovic, Sohn eines ehemaligen Ustascha-Ministers. Wegen Geheimbündelei und unerlaubten Waffenbesitzes verurteilte ihn eine Sbnderstrafkammer des Landgerichts Dortmund kürzlich zu sieben Monaten Gefängnis.
Wesentlich aggressiver als die Rukavina-Gruppe agiert der »Kroatische Demokratische Ausschuß«, der in Deutschland von Branko Orlovic gesteuert wird. Die Chefs leben in Rom: Miroslav Varos und der geistliche Professor Krunoslav Draganovic.
Draganovic, der zu Lebzeiten des
Papstes Johannes XXIII. aus dem Vatikan strafversetzt wurde, hat sich mit seinen Anhängern seit langem von den Pavelic-Mannen getrennt, weil ihm die alten Ustaschi nicht mehr revolutionär genug erschienen.
Die Unternehmungen dieser Extremisten-Gruppe verliefen bisher glücklos. Neun Mann schickte der geistliche Professor im vergangenen Sommer nach Jugoslawien. Hauptziel des mit Handfeuerwaffen und Sprengstoff ausgerüsteten Sabotage-Trupps war die Zerstörung der Bahnlinie Rijeka-Zagreb. Das Unternehmen mißlang, weil die Bevölkerung entgegen den Hoffnungen der heimgekehrten Exil-Krieger nur wenig Hilfsbereitschaft zeigte. Halbverhungert ergaben sich die neun Saboteure Titos Miliz.
Daß die jugoslawische Regierung den
»Demokratischen Ausschuß« trotzdem mit Sorge betrachtet, liegt an der Verbindung dieser Extremisten zu dem ehemaligen Ustascha-General Vjekoslav Luburic, der einst für Pavelic Liquidationen ausführte und selbst in kroatischen Emigrantenkreisen als »Blutgeier«
bezeichnet wird.
Luburic, der sich heute Drinjanin nennt, scharte in Spanien einen eigenen Trupp um sich, den er in einem geheimen Militärlager an Infanterie,Waffen des Zweiten Weltkrieges drillt. Ober einen ehemaligen Obristen in München hat er sich einen direkten Draht zu der deutschen Gruppe des »Demokratischen
Ausschusses« unter Orlovic geschaffen.
Noch extremistischer als die Gruppen, um Luburic und Draganovic entwickelte
sich der »Kroatische-Arbeiter-Verband«
in Deutschland, der sich 1959 endgültig von den Pavelic-treuen »Vereinten Kroaten« löste. Dieter ursprünglich zur Betretung kroatischer Arbeiter gegründete Verband diente 1960 als Gründungsbasis der terroristischen »Geheimen Ustascha-Bewegung« - (Tup), eines Konkurrenzunternehmens - zur Trup, und, im Mai 1961, der Bensberger »Kreuzbruderschaft«, Auf das Konto dieses Vereinsfächers geht das Mehlemer Attentat vom 29. November 1962.
Initiatoren dieser geheimen Kampfbünde sind Dr. Miroslav Peran und der vor dem Bonner Schwurgericht stehende
Geistliche Rafael Medic einstmals Pavelic-Beichtvater mit dem Rang eines Ustascha-Majors. Aus Pavelics Vereinsfront wurden sie ausgeschlossen, weil ihre Terror-Methoden selbst den abgeibrühten Ustaschi zu gewagt vorkamen
Peran und Medtec bauten ihre illegale Kampftruppe so gut getarnt auf, daß Staatsanwalt Horn bei Prozeßbeginn noch nicht einmal der Name Tup geläufig war. Horn vermutete hinter dem Mehlemer Attentat zunächst lediglich die Kreuzbrüder. Bis auf wenige Mitglieder ist jedoch die Anhängerschaft von Tup und Kreuzbruderschaft miteinander identisch.
In Mehlem erschienen Medics Kreuzbrüder zum erstenmal am 10. April 1962. Sie warfen den - jugoslawischen Diplomaten zwei Signalraketen in den Keller, um die Heizölkessel explodieren zu lassen. Der Anschlag mißlang.
Sieben Monate später kamen sie wieder, diesmal besser ausgerüstet. Hausmeister Momcilo Popovic, der sich den Kreuzbrüdern entgegenstellte, wurde erschossen, das Gebäude samt Mobiliar mit Sprengstoff demoliert und angezündet.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach den Hintermännern des Attentats endeten stets bei Medic. Staatsanwalt Horn: »Wer eigentlich dahintersteckt, ist nicht herauszubekommen. Medic sagt nichts.« Querverbindungen und Absprachen zu Luburics militanter Gruppe und sogar zur geheimen Trup-Organisation des Rivalen Rukavina scheinen zu existieren, sind bislang aber nicht einwandfrei nachweisbar.
Horn muß sich deshalb an den geistlichen Ex-Major und seine 25 Helfer halten. Während die deutsche Justiz den Vorfall - allen patriotischen Beteuerungen der Angeklagten zum Trotz - nüchtern als Verbrechen gegen Strafgesetze abhandelt, sieht Belgrad den Prozeß und die angeklagten Extremisten in anderen Zusammenhängen:
- Wie alle übrigen Emigranten-Organisationen betreiben auch die Kreuzbrüder eine handfeste Propaganda unter den jugoslawischen Gastarbeitern, die in der Bundesrepublik zum erstenmal von den vollen Schaufenstern eines kapitalistischen Wirtschaftssystems beeindruckt werden und unter diesem doppelten Einfluß
offenbar mehr Wirkung zeigen, als
der jugoslawischen Regierung lieb ist;
- der Überfall des Terroristen-Priesters Medic hat unter den traditionell verfeindeten Exil-Vereinigungen zu einer bisher nie gekannten Einheit geführt.
Vergessen sind die Machtkämpfe um den Präsidentenposten zwischen Peran und Rukavina, vergessen die Beschuldigungen, Professor Varos sei in Wirklichkeit ein Tito-Agent - das Mehlemer Attentat hat einen für kroatischen Individualismus ungewöhnlichen Gemeinschaftssinn erzeugt. Gemäßigte wie Radikale haben sich in einem Komitee zusammengefunden, das die 26 Angeklagten vor dem Bonner Schwurgericht materiell und propagandistisch unterstützen soll.
Da sämtliche kroatischen Exil-Organisationen - wenn auch mit verschiedenen Methoden - das gleiche Ziel eines unabhängigen Kroatiens verfolgen, warnte ein jugoslawischer Diplomat: »Dieser Prozeß könnte der Kristallisationspunkt werden für eine neue Gruppierung der Ustascha, in der die Extremisten den Ton angeben.«
Das Stahlgitter am Tor der jugoslawischen Mission, das am Tage des Überfalls in Mehlem zwar vorhanden, aber nicht abgeschlossen war, ist seitdem fest verriegelt.
Kroatische Attentäter noch der Verhaftung: Beichtvater führte
Führer Pavelic (vorn links), Hitler*: Aus Tradition und Trotz ...
... Terror gegen Tito: Jugoslawische Handelsmission in Mehlem noch dem Attentat
* Im Führer-Hauptquartier 1942.