BADEN- WÜRTTEMBERG Einig im Nichtstun
Dem leidigen Handel um Ministersessel, so beschlossen am 11. November 1953 Baden-Württembergs Parteien im Stuttgarter Landtag, solle in Zukunft ein Ende gesetzt werden. In die Landesverfassung des Südwest-Staates schrieben sie die Selbstverpflichtung: »Die Zahl der Minister und die Geschäftsbereiche der Ministerien werden durch Gesetz bestimmt.«
Doch nun, im siebzehnten Jahr danach, möchten sieh dieselben Parteien in anderer Verfassung wissen: Weil sie das Gesetz noch immer nicht zustande gebracht haben, soll der ganze Verfassungsauftrag fallen.
Baden-Württembergs FDP-Fraktionsvorsitzender Johann Peter Brandenburg findet es auf einmal »unrealistisch«, ohne Rücksicht auf wechselnde Koalitions-Erfordernisse die Ministerzahl kraft Gesetzes allein nach sachlichen Gesichtspunkten festzusetzen. Und auch die schwarz-roten Regierenden im Ländle sehen für dieses FDP-Petitum plötzlich »beachtliche Gründe« (SPD-Innenminister Walter Krause).
Beachtlichere Gründe freilich hatten damals die Baden-Württemberger für ihre Idee angeführt, das Minister-Machen nicht dem freien Spiel der Koalitions-Arithmetiker zu überlassen.
Ein solches Gesetz, das Minister-Bedarf und Ministerien-Bereiche festlege, erläuterte der damalige Stuttgarter CDU-Ministerpräsident (und heutige Chef des Bundesverfassungsgerichts) Gebhard Müller 1956 seinen Landsleuten, solle »dazu dienen, eine dauerhafte Ordnung herzustellen, die den Akt der Regierungsbildung von einer sonst jeweils erforderlichen Auseinandersetzung über die zweckmäßige Zahl der Minister und Ministerien befreit«.
Diese Ordnung hatten Württemberger und Badener ehedem sogar in den 1919 gefertigten Verfassungen ihrer seinerzeit noch getrennten Länder verankert. Und »um die Peinlichkeiten, die sonst immer wieder bei Regierungsbildungen entstehen können, endgültig zu vermeiden« (so der damalige SPD-Landtagsabgeordnete Willi Lausen), sollte in dem 1952 vereinigten Doppelstaat Baden-Württemberg das Minister-Maß abermals in Paragraphen zementiert werden.
Stuttgarts SPD-Fraktionsvorsitzender Alex Möller, heute Bundesfinanzminister, klagte schon 1956, drei .Jahre nach dem Verfassungsauftrag: »Wir haben ein solches Gesetz bei den letzten Verhandlungen zur Regierungsbildung schmerzlich vermißt.« Und Freidemokrat Reinhold Maier, Ex-Ministerpräsident in Deutsch-Südwest, fand zu jener Zeit gleichfalls den Verfassungsauftrag »zwingend«, das Ministergesetz »notwendig«.
Nur: Keiner der bisherigen fünf Südwest-Landtage wollte das Zwingende und Notwendige tun, keiner »diese Nußknacken« (so der ehemalige CDU-Parlamentarier Hermann Person). Es blieb bei lust- und fruchtlosen Diskussionen, ob in Stuttgart fünf oder sechs oder sieben Minister amtieren sollten; heute sind es einschließlich des Ministerpräsidenten neun.
Immer wieder fanden sich genügend Abgeordnete, jenes Mustergesetz zu verhindern, das ihnen selbst und ihrer Partei die Eroberung von Ministersesseln erschwert haben würde:
* Ende 1954 wurde ein erster CDU-Ministergesetzentwurf zurückgezogen mit der Begründung, das Thema sei »der Regierung im Moment nicht angenehm«,
* Ende 1957 scheiterte die Erfüllung des Inzwischen vier Jahre alten Verfassungsauftrags daran, daß die Stuttgarter Landtagsparteien laut gemeinsamer Erklärung »die Stunde für die Verabschiedung dieses Gesetzes noch nicht gekommen« hielten.
* Im Sommer 1960 unterbreiteten zwar die CDU/FDP/BHE-Regierung Kiesinger und die damalige SPD-Opposition neue Ministergesetzentwürfe, doch nach dreijährigem ergebnislosem Gerangel kam die Landtagsmehrheit zu der Ansicht, es sei »nicht sinnvoll«, bei den Entscheidungen über die Regierungsbildung »starre Grenzen ... zu setzen«.
Weiterhin »einig im Nichtstun« ("Stuttgarter Nachrichten"), leisteten sich Stuttgarts Polit-Strategen dann nochmals nahezu sieben Jahre ein »blamables Versagen« ("Stuttgarter Zeitung"). Und als ihnen nach nahezu siebzehn Jahren gesetzgeberischer Untätigkeit die schwäbisch-alemannische Devise »no net hudle« (nur nichts überstürzen) zur Genüge erfüllt schien, wollten die Landtagsparteien nicht etwa endlich dem Verfassungsauftrag gerecht werden -- sie möchten ihn lieber streichen.
So soll wie bislang und wie anderswo auch im Musterländle verfassungsrechtlich der Brauch sanktioniert werden, daß Parteien ohne gesetzliche Beschränkungen Ministerposten aushandeln können. Wie die peinliche Paragraphen-Passivität des baden-württembergischen Landtags zu werten sei, hatte Stuttgarts Parlaments-Senior Hermann Veit, Chefjurist der SPD-Fraktion und selbst 15 Nachkriegsjahre lang Minister, seinen Kollegen schon im November 1963 so erläutert: »Die Geschichte dieses Gesetzes ist ein Trauerspiel und kein Zeichen des Respekts vor der Verfassung.«