Zur Ausgabe
Artikel 11 / 100

STEUERN Einigt euch

Verkehrte Welt: Eine Mehrheit in der CDU lehnt die Forderung von FDP und CSU ab, den Spitzensteuersatz zu senken. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Zwei Tage nach der Bundestagswahl verlangte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler im Präsidium seiner Partei Auskunft über eine wichtige Zukunftsfrage.

Im Wahlkampf habe er von Bürgern erfahren, so Geißler, daß die Leute die letzte Steuersenkung im Einzelfall kaum bemerkt hätten. »Ich bin kein Steuerfachmann«, sagte der CDU-General am letzten Dienstag bescheiden. Deshalb wolle er jetzt von den Experten wissen, ob die im Wahlkampf mit viel Tamtam versprochene große Steuerreform ähnlich wirkungslos versickern könnte. Geißler: »Haut das, was wir machen, die Leute vom Stuhl?«

Das Mißtrauen des Oberwahlkämpfers der Union war im Verlauf der Präsidiumssitzung stetig gewachsen. CDU-Finanzminister Gerhard Stoltenberg, Arbeitsminister Norbert Blüm, die Länderfürsten Ernst Albrecht, Uwe Barschel und Lothar Späth hatten sich über Einzelheiten und Grundsätze der Reform heftig zerstritten.

Es wurde offenbar: Die Steuerreform die Finanzminister Stoltenberg mit seinem Namen verknüpft sehen möchte, muß nicht nur mit den Koalitionspartnern FDP und CSU ausgehandelt werden; auch in der CDU gibt es fast unüberbrückbare Gegensätze.

Ein fundierter und detaillierter Kompromiß in den Koalitionsvereinbarungen innerhalb weniger Wochen erscheint nach den Präsidiumssitzungen vom Dienstag und Donnerstag allein wegen der Differenzen innerhalb der CDU kaum möglich. Und wenn die Reform doch zustande kommt, wird sie kleiner ausfallen als erwartet.

Die schwierigste Hürde errichteten die CDU-Ministerpräsidenten, denn die Bundesländer und Gemeinden sind an jeder Senkung der Einkommensteuer mit 57,5 Prozent Einnahmeverlust beteiligt. Bevor überhaupt ein Wort über die Höhe von Steuergeschenken und ihre Finanzierung gesagt werden könne, beharrten Albrecht aus Niedersachsen und Barschel aus Schleswig-Holstein, müsse ein schwieriges Problem geklärt werden: Beim Finanzausgleich zwischen Arm und Reich sei die unterschiedliche Finanzkraft der Gemeinden als zusätzlicher Maßstab einzubeziehen.

Die Konsequenz wären dicke Überweisungen von den fetten Stuttgarter und Münchner Landeskonten in den armen Norden. Lothar Späth fuhr sofort auf: »Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

Dem Kanzler fiel nicht mehr ein als die sanfte Bitte: »Einigt euch.« Dabei geht der Streit an die Substanz. Bislang unterstützen von den Länderchefs nur Späth und Strauß die Pläne für eine große Steuerreform vorbehaltlos, weil sie ihren Anteil am Verzicht auf Einkommen- und Körperschaftsteuer-Milliarden verkraften können.

Sollte er gezwungen werden, dem Norden zu helfen, so Späth, fehle ihm das Geld für die Reform. Käme kein Geld aus dem Süden, hielten Barschel und Albrecht dagegen, könnten sie das von Bonn angepeilte Jahrhundertwerk nicht mitbezahlen. Keiner der Landesfürsten sprach davon, aber jeder Teilnehmer im Präsidium spürte die Drohung: Ehe wir uns finanziell ruinieren, blockieren wir die ganze Steuerreform zusammen mit den SPD-Ländern im Bundesrat.

Die Wahlverluste der Union stimmten besonders die Provinzherren, die demnächst Landtagswahlen zu bestehen haben und ihre Mittel für eigene Wahlgeschenke brauchen, nicht gerade nachgiebig. Die Abkehr der Wähler von der Christenpartei bewog die Präsidiumsmitglieder auch, einen Lieblingsplan von Gerhard Stoltenberg abzuwehren: Anders als CSU und FDP wird die CDU, das zeichnet sich nach der zweiten Zusammenkunft des Präsidiums am letzten Donnerstag ab, eine Senkung des Spitzensteuersatzes von 56 auf 52 oder gar 49 Prozent ablehnen. Die Unionsherren wollen das gemeine Publikum, das sie bei vier Landtagswahlen in diesem Jahr umwerben müssen, nicht durch eine zehn Milliarden Mark teure Wohltat für die oberen Hunderttausend brüskieren.

Vorkämpfer gegen Stoltenberg war in der vergangenen Woche Arbeitsminister Norbert Blüm, der seine Reputation als linker Flügelmann der Union wiedergewinnen will. Er habe in der vergangenen Legislaturperiode mitgetragen, daß Arbeitnehmer mit einem Einkommen bis zu etwa 5000 Mark die Last der Sanierung fast allein getragen hätten. Nun aber, verlangte Blüm, dürfe nicht wieder so begonnen werden, daß der Vorwurf der Verteilung von unten nach oben geradezu provoziert werde.

Der Arbeitsminister fand Hilfe bei allen Länderchefs von Albrecht bis Späth, auch als er warnte, die Mindereinnahmen

der Steuerreform zu hoch anzusetzen. Er könne es nicht schlucken, wenn der ganze finanzielle Spielraum der nächsten Jahre für Steuerwohltaten genutzt werde. Stoltenberg müsse sich auf milliardenschwere Mehrausgaben beim Bundeszuschuß an die Rentenversicherung einstellen: »Es ist keine Rentenreform denkbar ohne Erhöhung des Bundeszuschusses.«

Der Finanzminister sieht sich in der Klemme. Von allen Seiten wird er mit zum Teil unabweisbaren Forderungen bedrängt. Gleichzeitig aber muß er sich auf eine abflauende Konjunktur und niedrigere Steuereinnahmen einstellen. Anders als im vor der Wahl veröffentlichten Jahreswirtschaftsbericht, der ein Wachstum von 2,5 Prozent vorsieht rechnet der Finanzminister nun, nach der Wahl, nur noch mit 1,5 Prozent.

Uneinig sind die Unionsherren auch über die Finanzierung der Steuerreform. Nach wie vor gilt zwar: Durch höhere Freibeträge und eine flachere Steuerprogression sollen die Bürger etwa 40 Milliarden Mark weniger an den Fiskus überweisen. Da die Kosten für die Staatskasse aber 20 Milliarden Mark nicht überschreiten dürfen, muß der Rest an anderer Stelle eingebracht werden: durch das Streichen von Steuerrabatten - worüber kein CDU-Spitzenpolitiker reden wollte - oder das Anheben von Verbrauchsteuern.

Arbeitsminister Blüm wehrte sich auch gleich gegen eine »Tabuisierung von Steuererhöhungen«. Er sieht darin eine unnötige »Selbstfesselung der Regierung«. Späth sprang ihm bei. Es sei besser, »den Konsum zu besteuern als die Arbeit«. Auch Stoltenberg, der um seinen Ruf als Sanierer fürchtet, schloß einen Zugriff auf die Mehrwertsteuer nicht mehr aus. Wenn sie angehoben werde, dann allerdings nur der obere Satz von derzeit 14 Prozent. Der niedrige von sieben Prozent für landwirtschaftliche Produkte und andere besondere Güter solle erhalten bleiben, verkündete der CDU-Mann aus dem Agrarland Schleswig-Holstein.

Über höhere Steuern soll freilich so laut nicht geredet werden. Nach dem Wahlschock verspürt Bundeskanzler Helmut Kohl keine Neigung, den Negativ-Trend bei den Landtagswahlen im Mai und im Herbst durch unangebrachte Wahrheitsliebe zu verfestigen. Absichtserklärungen über Steuererhöhungen oder eine Beteiligung der Kranken an den Gesundheitskosten sollen möglichst auch in den Koalitionsverträgen nicht auftauchen.

Der FDP will Kohl diese Taktik mit dem Argument schmackhaft machen, auch sie könne kein Interesse am Verlust der Mehrheit in der Länderkammer haben. Bis dahin sollten Lieblingsthemen der Liberalen, wie etwa der Subventionsabbau, in gemeinsamen Arbeitsstäben verschwinden.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 11 / 100
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten