GRÜNE/FINANZEN Einmalig schweinisch
Im Restaurant Long-Kuan im Frankfurter Szene-Stadtteil Bornheim trafen sich zwischen Ostern und Pfingsten die sechs ehemaligen Abgeordneten der grünen Rathausfraktion, gerade so, als wären sie noch im Amt.
Im verschwiegenen Hinterzimmer der chinesischen Garküche tauschten die sechs Fundamentalisten, die im Stadtparlament 1985 von einer Realo-Mehrheit abgelöst worden waren, »unterschiedliche Meinungen« aus, wie das Protokoll später vornehm berichtete. In Wahrheit befehdeten sich die Ex-Parlamentarier bitter wegen der »Verteilung« von 20 000 Mark, die der grüne Bundesvorstand vor Jahren für eine Kampagne gegen die chemische Industrie nach Frankfurt überwiesen hatte. Von dem Parteigeld waren knapp zwei Drittel verbraucht worden, obwohl die Aktion gar nicht angelaufen war.
Den Vorwurf der einen Seite, »unberechtigte Entnahme von öffentlichem Geld« aus der auch mit staatlicher Wahlkampfkostenerstattung gespeisten Kasse, konterte die andere mit »Lüge« und »unverschämte Gerüchte«. Am Ende formulierte die Mehrheit der Ex-Fraktion einen »Beschluß": Per Abstimmung und im nachhinein legte sie fest, daß dem Geldschwund »zugestimmt wird«.
Als »Provinzstreit um Knete«, so ein Mitglied des Frankfurter Kreisvorstands, wäre der Vorgang nicht beachtet worden. Denn »unkapitalistische Buchführung« und »ein gnadenlos freies Belegwesen«, gepaart mit »riesiger Schlampigkeit«, seien bei den Grünen vielfach üblich. Doch anders als sonst befassen sich jetzt gleich mehrere Kontrollgremien der Alternativen mit dem Frankfurter Finanzgebaren.
Der Grund: Die Vorstandssprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth aus Frankfurt, steckt mit drin. Ihr Lebensgefährte Manfred Zieran, Fundi wie seine Partnerin, hatte den Löwenanteil des entschwundenen Kampagnengeldes als »Aufwandsentschädigung« vereinnahmt.
Es ist nicht der einzige Mißgriff, den die Grünen zu registrieren haben. Die »Selbstbedienung aus den Parteikassen«, die Grünen-Mitgründerin Petra Kelly den Altparteien vorgehalten hatte, greift auch bei den Alternativen um sich.
In einer Serie von Briefen an den grünen Bundesvorstand, stets als »vertraulich« gekennzeichnet, beschweren sich Funktionsträger darüber, daß häufiger »Barschecks«, manchmal mit Beträgen von mehr als 10 000 Mark, »ohne Belege« an einzelne Mitglieder gegangen seien. Auch hätten die grünen Anführer ständig Sozial- und Steuergesetze umgangen, etwa bei der teuren Renovierung der Partei-Villa »Haus Wittgenstein« bei Bonn. Aus der Baukasse seien zum Beispiel Spitzenfunktionäre für »Überstunden« entlohnt worden.
Die Kritik an den Finanzjongleuren wuchs seit Jahren. Doch Konsequenzen schienen nicht in Sicht. Die »verschiedenen Vorgänge«, so erklärt ein privat geführtes Protokoll von einer Bundesvorstandssitzung die Untätigkeit, hätten »ein Netz von gegenseitigen Loyalitäten« geschaffen.
Erst der Frankfurter Fall führte zu handfesten Diskussionen in der Öffentlichkeit. Schon 1986, so stellte sich heraus, hatte der damalige Vorstandssprecher Lukas Beckmann schriftlich vor »Agreement-Praktiken« bei der Vergabe von Geld aus der Bundeskasse gewarnt. Das führe in Einzelfällen »zu stark interessengeprägten und weniger sachlichen Entscheidungen«. Als Beispiel nannte er ausdrücklich die 20 000 Mark für die Frankfurter Chemie-Kampagne, unter besonderer Hervorhebung der Interessenten: »(J.Ditfurth, Manfred Zieran)«.
Tatsächlich hatte sich Frau Ditfurth in grünen Finanzgremien und im Bundesvorstand
ausweislich der Protokolle ("Finanzantrag Jutta") beharrlich für die Zahlung eingesetzt. Im Sommer 1986 wurde eine erste Rate von 20 000 Mark überwiesen, auf ein Sonderkonto »per Adresse Jutta Ditfurth«.
Der Kontostand verminderte sich rasch. Schon sechs Tage nach der Überweisung hob Zieran gleich 8800 Mark für sich selber ab, der Betrag wurde später als »Entgelt/Aufwandsentschädigung« für »Zuarbeit« zur Kampagne definiert. Das Zubrot konnte Zieran gut gebrauchen: Damals war er erst Angestellter der grünen Rathausfraktion, dann Bezieher von Arbeitslosengeld.
Mit der Geldentnahme, rückwirkend für 16 Monate getätigt, verstieß Zieran gegen einen Beschluß des Bundesvorstands. Der hatte das Geld ausschließlich »für die kommende intensive Hauptphase der Kampagne« gegen die chemische Industrie bewilligt, weil die Kosten »in der Vorphase« laut Antrag »von anderen Grünen (Gremien, Fraktionen usw.) finanziert« würden. Jutta Ditfurth: »Da haben wir wohl den Antrag ein bißchen dusselig formuliert.«
Zum Eklat kam es erst, als der Journalist Walter Oswalt, neben Jutta Ditfurth und Zieran ebenfalls zeichnungsberechtigt für das Sonderkonto, über ein Jahr später erfuhr, daß sein Parteifreund »Honorar für sich selbst entnommen« hat. Im Gegensatz zu anderen Fundis will Oswalt beschwören, daß es dafür »nie einen mündlichen Beschluß gab«.
Bei der Krisensitzung im Separee des China-Restaurants glaubte einer der Ex-Abgeordneten noch, eine parteioffizielle Untersuchung abbiegen zu können. Sein Angebot an Oswalt: »Ist dein Problem denn zu lösen, wenn du auch ein Honorar bekommst?«
Doch Oswalt wollte kein Honorar. Er machte den Vorgang öffentlich. Nun muß das hessische Parteigericht beraten: Der Frankfurter Kreisvorstand der Grünen, mehrheitlich von Realpolitikern besetzt, hat beantragt, Zieran aus der Partei auszuschließen.
Die »Hardliner-Realos« betrieben eine »systematische Ausgrenzungskampagne«, ließ sich prompt der Radikalökologische Arbeitskreis Frankfurt vernehmen. Jutta Ditfurth und Zieran sahen, im Vorfeld der Frankfurter Kommunalwahl 1989, ein »Lügenkomplott« und eine »Schmutzkampagne«; Ziel sei es, »den gefürchteten radikalökologischen Kandidaten« Zieran »durch den Dreck zu ziehen«.
Daß Kritik am Finanzgebaren als Auswuchs von Flügelkämpfen hingestellt wird, hat bei den Grünen längst Methode. Ebenfalls als »Strömungsstreit« bezeichneten nordrhein-westfälische Realos im Frühjahr eine Attacke, die von den Fundis ausging. Der Landesvorstand, so der Vorwurf damals, befleißige sich einiger Finanzpraktiken, die »Filz und Schiebereien möglich machen«.
»Griffe in die Bar-Kasse«, so der schriftliche Vorwurf dreier Beschwerdeführer, »gehören zum Alltag in der Landesgeschäftsstelle.« Deren Cash-Bestände würden »als zinsgünstige Ersatzbank mißbraucht«, »Vorschüsse« stünden bei einigen »in einem aberwitzigen Mißverhältnis zu den Ansprüchen«.
Christina Morgenschweis, erste Sprecherin der nordrhein-westfälischen Grünen, räumt inzwischen ein, daß es »vor gar nicht langer Zeit noch genauso gewesen ist«. Inzwischen hat die Landespartei beim Finanzamt Selbstanzeige wegen nicht gezahlter Lohnsteuern und Sozialabgaben erstattet; die Buchhalter hatten den Überblick über die zahlreichen Aushilfs- und Honorarverträge verloren.
Die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Flügeln, so scheint es, entscheidet bei den Grünen mitunter auch darüber, wer Geld zurückzahlen muß und wer nicht. Zwei grüne Politiker, Ulrich Tost aus Karlsruhe und Michael Merkel aus Bochum, hatten gemeinsam für ein Darlehen über 20 000 Mark gebürgt, das der Bundesvorstand einem alternativen Drucker für die Herstellung eines »Basis-Kalenders« gewährt hatte.
Das Projekt lief nicht, nur 10 000 Mark flossen zurück. Den Fehlbetrag aber muß nur einer der beiden Bürgen tragen, der Realo Merkel. Fundi Tost wurde vom mehrheitlich fundamentalistischen Bundesvorstand »aus der Bürgschaft durch Bu Vo-Beschluß entlassen« (Tost). Merkel: »So ist das eben, wenn man zum Minderheitsflügel gehört.«
Tosts Finanzgebaren hat im Bundesvorstand schon öfter zu heftigen Krächen geführt. Der Fundi gehörte dem Spitzengremium selber bis Anfang 1986 an, danach wurde er mit der Koordination des Bundestagswahlkampfs beauftragt.
Ende 1986 rügte der damalige Vorstandssprecher Beckmann zum wiederholten Mal, wie er später schriftlich festhielt, »daß Uli während seiner Amtszeit als Mitglied des Bundesvorstands insgesamt ca. 46 000 Mark jeweils für einen längeren Zeitraum rückwirkend ausbezahlt bekam, ohne für eine Summe von ca. 10 000 Mark bis heute Belege vorgelegt zu haben«.
Im Bundesvorstand sei es daraufhin, hielt Beckmann »vertraulich« für die grünen Spitzenfunktionäre fest, wie im Tollhaus zugegangen. »Nun gib dich hier man nicht so moralisch«, notierte er als Aussage von Vorstandsmitglied Regina Michalik. Es fielen Sätze über die »Widerlichkeit« von Beckmanns Argumenten und über »Stasi-Methoden gegen Bu Vo-Kollegen«. Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde wandte sich scharf gegen »Aufzählerei« und wollte notfalls »eine Auflistung vornehmen« über vermeintliche »Unregelmäßigkeiten« in Beckmanns eigener Amtszeit.
Ähnlich erging es dem Realo-Star Otto Schily, der im November 1986 den Bundesvorstand »persönlich/vertraulich« über andere finanzielle Verwicklungen Tosts unterrichtete. Der hatte Anfang der achtziger Jahre in Karlsruhe einen studentischen Reisedienst betrieben. Einem Fahrkartenlieferanten war der Jungunternehmer 54 000 Mark schuldig geblieben, die sich mit Zinsen bereits auf 70 000 Mark hochgeschaukelt hatten.
Zwei Details machten den grünen Juristen Schily, der von einem Vertreter
des Lieferanten informiert worden war, hellhörig: Reisekaufmann Tost war seit 1984 säumig, obwohl er in jenem Jahr hohe Nachzahlungen von den Grünen erhalten hatte. Zugleich aber tauchte Tost als Spender von »Reisekosten« im Rechenschaftsbericht des grünen Kreisverbands Karlsruhe auf.
Doch Tost, der inzwischen einen Offenbarungseid geleistet hatte, durfte weiter in der Wahlkampfkoordination der Grünen arbeiten. Eine Ablösung Tosts, von Schily gefordert, lehnte der Bundesvorstand ab. Das Spitzengremium befaßte sich dafür laut Protokoll mit »Ottos einmalig schweinischem Vorgehen«. Der Fall Tost blieb unter der Decke.
Nun ist die grüne Solidarität des Schweigens erneut gefordert. Denn seit geraumer Zeit gibt es Hinweise darauf, daß es auch bei Kauf und Renovierung der Partei-Villa »Haus Wittgenstein« in Bornheim nahe Bonn nicht mit rechten Dingen zugegangen sei: Von schwarzen Zahlungen aus der Baukasse und Gesetzesverstößen bei den Bauarbeiten ist die Rede.
Das Gebäude hatten die Grünen 1984 für 1,4 Millionen Mark gekauft, derzeit wird es für drei Millionen Mark instand gesetzt. Erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten hatte Beckmann auch hier gegeben. Vor eineinhalb Jahren legte er sein Mandat im »Vermögensverwaltungsverein der Grünen e.V.« nieder, dem offiziellen Eigner der Partei-Villa.
Er wolle, so Beckmann, die »politische und finanzielle Mitverantwortung nicht mehr tragen«. Beckmann heute: »Das ist ein tiefer Sumpf.«
Die »für grüne Verhältnisse großen Summen« (Beckmann) für das Projekt flossen nicht ausschließlich in Bauarbeiten, sondern auch in die Taschen grüner Funktionäre - in Form von Überstundenvergütungen für Parteiarbeit, wie Bundesschatzmeister Hermann Schulz bestätigt.
Einer der Nutznießer war Bundesgeschäftsführer Walde, der zwar in den Wittgenstein-Gremien saß, laut Schulz aber »längst nicht an jeder Sitzung teilgenommen hat«. Weil die Partei, so der Schatzmeister, Waldes Mehrarbeit in der Bundesgeschäftsstelle »nicht bezahlen konnte, hat das der Verein gemacht«. Die Namen weiterer Empfänger will Schulz nicht nennen.
Bei der Bezahlung der Bauarbeiter drückten sich die Grünen zudem um Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung herum. In der Villa wurden kaum Handwerker, wohl aber serienweise Aushilfskräfte beschäftigt, deren offizieller Monatsverdienst von 440 Mark unter den Bemessungsgrenzen lag. »Vor allem im letzten Sommer«, räumt der Schatzmeister ein, »hat es eine Reihe solcher Verträge gegeben.«
Dahinter stand das Konzept, das Partei-Haus im Rahmen eines »alternativen Lebens- und Lernmodells« (Bauleiter Lothar Kemper) zu renovieren. Betriebsratsmitglied Kemper holte sich die Arbeitswilligen überwiegend »aus den Drogentherapien im Ort«, wie der Schatzmeister weiß. Einige von ihnen, »zeitweilig bis zu zehn Leute«, hätten auch »ordentliche Arbeitsverträge« bekommen, die übrigen blieben »Aushilfen« für zehn Mark die Stunde.
Daß die zahlreichen Aushilfen in Wirklichkeit mehr als 440 Mark im Monat verdienten, bestreiten die grünen Arbeitgeber nicht. Sie ließen sich einen Dreh einfallen, die Steuer- und Sozialversicherungspflicht dennoch zu umgehen: Wer im Sommer mit der Arbeit anfing, wurde nachträglich schon seit dem vorangegangenen Winter in den Büchern geführt. »Wir haben«, gesteht Bauleiter Kemper, »die Arbeitsverhältnisse zurückdatiert.«