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»Einpacken und woanders aufbauen«

Wie die DDR im Westen nach neuen Partnern sucht *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Der Zweispalter auf Seite eins irritierte selbst abgebrühte Leser des »Neuen Deutschland«.

»Der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, Erich Honecker«, teilte das Zentralorgan der ostdeutschen Einheitspartei ohne weiteren Kommentar mit, habe an Ronald Reagan folgendes Telegramm geschickt:

»Zum Beginn Ihrer zweiten Amtsperiode als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika übermittle ich Ihnen beste Wünsche. Ich nutze diese Gelegenheit, um zu bekräftigen, daß die weitere konstruktive Ausgestaltung der Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten auf der Grundlage der Prinzipien der friedlichen Koexistenz einer effektiven gegenseitigen Zusammenarbeit sowie der Stärkung des Weltfriedens dienen würde.«

So unverblümt hat noch nie ein SED-Führer dem imperialistischen Erzfeind die Deutsche Demokratische Republik als Partner angedient.

Die Genossen waren ganz andere Töne gewöhnt. Die »aggressivsten Kreise der USA«, so Honecker noch drei Wochen zuvor in seiner Neujahrsbotschaft ans ostdeutsche Volk, entwickelten »im Streben nach Weltherrschaft« unablässig neue Waffensysteme, verwandelten Westeuropa »in eine nukleare Abschußrampe« und seien auch andernorts »auf das Schüren von Spannungen und Konflikten programmiert«. Honecker: »Dafür erbringen die aggressiven Machenschaften der USA gegen das freie Nicaragua ... gegenwärtig wieder den Beweis.«

Doch die werbende Adresse an Ronald Reagan ist kein Ausrutscher. In Wahrheit laufen in der DDR seit längerem Agitation gegen den Klassenfeind und reale Politik auseinander, ist die SED heftig bemüht, ihr Verhältnis zu den kapitalistischen Staaten zu verbreitern - zwar nicht an Bonn vorbei, aber über Bonn hinaus.

Seit Honecker 1980 der Republik Österreich einen Staatsbesuch abstattete, hat die DDR ihre Beziehungen zum kapitalistischen Westen zielstrebig ausgebaut. Der SED-Chef sprach in Tokio bei Kaiser Hirohito vor und empfing am Ost-Berliner Marx-Engels-Platz außer den neutralen Wiener Kanzlern Bruno Kreisky (1978) und Fred Sinowatz inzwischen auch drei Ministerpräsidenten aus Nato-Ländern: den Kanadier Pierre Trudeau, den Griechen Andreas Papandreou und den Italiener Bettino Craxi.

Der Franzose Laurent Fabius hat sich für dieses Frühjahr angesagt. Voraussichtlich im April fährt Honecker nach Rom: Nicht nur Craxi, auch den Papst will er sehen. Und schließlich dürfen die Ostdeutschen, ebenfalls noch dieses Jahr, erstmals einen leibhaftigen Monarchen in der DDR bejubeln - den spanischen König Juan Carlos.

Die DDR hat sich, sagt der Sozialdemokrat Egon Bahr, »Zeit gelassen mit ihren Beziehungen zu westlichen Staaten« - allerdings weniger aus Berührungsangst als unter dem Zwang ihrer Verhältnisse: Zwar unterhalten seit 1973 fast alle westlichen Länder diplomatische Missionen in der DDR; aber bis Ende der siebziger Jahre stand die Ost-Berliner Außenpolitik ganz im Schatten Moskaus, hatte die SED-Führung kaum eigenen Spielraum. Außer, vielleicht, in ihrer Deutschlandpolitik.

Erst seit dem politischen Verfall der Volksrepublik Polen rückte die DDR im Warschauer Bündnis nach vorn. Seither kann Ost-Berlin seine ökonomische Macht innerhalb des Comecon auch in politische Münze umprägen, muß der militärisch schlagkräftigste Partner der Sowjets seine eigenen Interessen nicht mehr bedingungslos den Ansprüchen der Blockführung in Moskau unterordnen.

Erstmals demonstrierte die DDR ihr neues Selbstbewußtsein vor gut einem Jahr, nach der Aufstellung von »Pershing 2«-Raketen in der Bundesrepublik. Moskau ging auf Konfrontationskurs zum Westen, aber Ost-Berlin folgte nicht blind. Die DDR - im Ernstfall ebenso wie Westdeutschland Hauptkriegsschauplatz in Europa - versuchte vielmehr, vor allem über ihre Kontakte zu Bonn, den Ost-West-Dialog wenigstens auf Sparflamme zu halten. Sie wurde schließlich im Sommer 1984 von den Sowjets zurückgepfiffen: Die »Prawda« kritisierte offen die Deutschlandpolitik _(Mit dem österreichischen Bundeskanzler ) _(Sinowatz am 5. November 1984 auf dem ) _(DDR-Flughafen Schönefeld; mit dem ) _(japanischen Kaiser Hirohito am 7. Mai ) _(1981 in Tokio. )

der SED. Honecker sagte seine Reise in die Bundesrepublik ab.

Doch daß es zu diesem Eklat kam, daß Moskau, erstmals seit es die DDR gibt, den kleinen Partner in Ost-Berlin öffentlich zur Räson bringen mußte, zeigt, wie stark die SED inzwischen im Machtgefüge des Ostblocks ist.

Honecker agiert seit dem Rüffel zwar wieder vorsichtiger, aber das Selbstvertrauen der SED-Spitze scheint ungebrochen. »Die DDR«, verkündete Volkskammerpräsident Horst Sindermann vergangenen Dezember stolz, habe im Westen eine »große Autorität und ein großes Ansehen«. Denn: »Hier ist ein Staat, der nicht schießen, sondern reden will, der verhandeln will und nicht diese wahnsinnige und wahnwitzige militärische Überspanntheit zeigt.«

Als die Außenminister George Shultz und Andrej Gromyko Anfang Januar in Genf neue Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjet-Union verabredeten, triumphierte »Neues Deutschland": Die Genfer Vereinbarung »festigt die Überzeugung, daß jedes auch noch so komplizierte internationale Problem mit friedlichen Mitteln gelöst werden kann und muß«.

Dem Blockführer der Westdeutschen, den Amerikanern, ist nicht entgangen, daß sich der Stellenwert der Deutschen Demokratischen Republik gewandelt hat. Jahrelang behandelten die Amerikaner die kleine DDR mit souveräner Verächtlichkeit. Das änderte sich schlagartig nach dem Scheitern der Genfer Raketenverhandlungen Ende 1983.

Seither ist der Honecker-Staat für Washington kein bedingungsloser Satellit Moskaus mehr, sondern, seiner Differenzen mit den Sowjets wegen, für intensivere politische Beziehungen interessant. Im Oktober 1984 traf US-Außenminister Shultz am Rande der Uno-Vollversammlung seinen Ost-Berliner Kollegen Oskar Fischer. Eine solche Spitzenbegegnung hatte es seit 1978 nicht mehr gegeben - nun wurde vereinbart, »einen erweiterten Rahmen für die Beziehungen« zu schaffen.

Das geschieht vorerst auf Beamtenebene. So traf sich Richard Burt, der Europadirektor im US-Außenministerium, bereits im Februar letzten Jahres mit Politbüro-Mitglied Hermann Axen in Ost-Berlin. Im Januar dieses Jahres schickten die Amerikaner sogar einen Abgesandten der US-Abrüstungsbehörde, R. Lucas Fischer, um die Ostdeutschen über die Genfer Gespräche von Shultz und Gromyko zu informieren. Die Amerikaner sind erstmals bereit, mit den DDR-Deutschen weiter über Raketen zu reden, und haben den Abrüstungsbeauftragten Ernst Krabatsch nach Washington eingeladen, um mit Shultz-Berater Paul Nitze zu konferieren.

Auch die DDR-Wirtschaft rückt in die Zielplanung der amerikanischen Manager, seit ein hoher Beamter des US-Landwirtschaftsministeriums den Honecker-Staat nach einer Inspektionsreise als »gutes Kreditrisiko« lobte. Mit einem Volumen von rund 250 Millionen Dollar ist der Handel zwischen beiden Ländern noch äußerst bescheiden.

»Wir haben eigentlich mehr aneinander vorbeigeredet«, sagt ein US-Diplomat, »das ist heute nicht mehr der Fall.« Vor allem die Hindernisse sind klar: Bislang ohne Erfolg verlangen die Amerikaner von der DDR 79 Millionen Dollar Entschädigung für beschlagnahmtes US-Eigentum - eine Forderung, gegen die sich Ost-Berlin aus Angst vor teuren Weiterungen, insbesondere Wiedergutmachungszahlungen für jüdische NS-Opfer, sperrt. Die DDR hat nur Finnland bescheidene drei Millionen Mark als Ersatz zugestanden.

Andererseits haben auch die Amerikaner einen Wunsch der Ostdeutschen ignoriert: Die DDR möchte sich von den USA eine Meistbegünstigungsklausel zusichern lassen, das heißt eine Garantie, daß die DDR beim Handel mit den Amerikanern nicht schlechtere Konditionen in Kauf nehmen muß als andere Konkurrenten.

Deutlich bemüht sind die SED-Oberen, sich von den beiden anderen westlichen Siegermächten, Frankreich und Großbritannien, außenpolitisches Weltniveau bescheinigen zu lassen. Sie wollen die Beziehungen, die im Februar 1973 aufgenommen wurden, vertiefen.

Als Emissäre schickt Ost-Berlin immer wieder zwei Politbüromitglieder vor, die beide von den Nazis ins KZ gesperrt wurden: den für internationale Verbindungen zuständigen Hermann Axen und den Volkskammerpräsidenten Horst Sindermann.

Der wendige Axen wurde im Juni 1981 von Premierministerin Margaret Thatcher empfangen, als er auf Einladung des damaligen britischen Außenministers Lord Carrington London besuchte. Auch Francois Mitterrand gab dem DDR-Deutschen die Ehre, als Axen im Oktober 1981 in Paris Honeckers Glückwünsche zum 65. Geburtstag des französischen Präsidenten überbrachte.

Der Staatsratsvorsitzende selbst kennt die westlichen Spitzenpolitiker nur flüchtig: 1975 lernte Honecker bei der KSZE in Helsinki den US-Präsidenten Gerald Ford und Frankreichs Valery Giscard d''Estaing kennen. Dafür läßt er es sich nicht nehmen, jeden auch nur halbwegs prestigeträchtigen West-Minister in seinem Amtssitz zu empfangen.

Für bessere Außen-Beziehungen nimmt die SED-Führung sogar innenpolitische Unannehmlichkeiten in Kauf. Mit Italien wurde vereinbart, demnächst Kulturinstitute in Rom und Ost-Berlin einzurichten. Daß diese Zentren nicht nur die Weltoffenheit der DDR dokumentieren, sondern zugleich den Reisefrust der Ostdeutschen steigern, ist zwar störend, aber nicht zu vermeiden. _(Im Juli 1984 in Berlin. )

Ihren Horizont haben die Ostdeutschen schon um ein anderes klassisches Kulturland erweitert: Im Januar 1984 eröffnete der französische Außenminister Claude Cheysson Unter den Linden 37-39 das erste westliche Kulturinstitut. Das »Centre culturel francais« arbeitet erfolgreicher als das DDR-Pendant in der Kulturmetropole Paris, das ein Schattendasein fristet. Kaum war das französische Institut eröffnet, schrieben sich 400 DDR-Bürger für Sprachkurse ein - zu einem für Ostverhältnisse üppigen Preis: 130 DDR-Mark.

Politisch sind die Beziehungen zu Paris dagegen nicht sonderlich ertragreich. »Die Franzosen«, glaubt ein westlicher Diplomat in Ost-Berlin, »müssen der DDR wie ein älterer Liebhaber vorkommen, von dem die Braut immer wieder enttäuscht wurde.« Enttäuscht deshalb, weil die SED in den Franzosen Gleichgesinnte sieht: Paris, so das Argument, müßte eigentlich seine Beziehungen zu Ost-Berlin viel herzlicher gestalten, da Frankreich aus eigennützigen Gründen an zwei deutschen Staaten gelegen sei.

Doch nicht nur die Liaison mit Bonn, sondern auch ihr Selbstbewußtsein als Siegermacht hindert die Franzosen, sich allzusehr mit den Ostdeutschen einzulassen. Die Signatarmacht des Berlin-Abkommens ist, bis in Nuancen, auf strikte Einhaltung und volle Anwendung der Verträge erpicht. Der alliierten Sonderrechte für Berlin wegen unterhalten die Franzosen ihre Botschaft »bei der DDR« und nicht »in der DDR«.

Auch bei einem der Glanzpunkte der ostdeutschen Diplomatie, der geplanten Visite des französischen Premierministers Fabius, soll es den Wünschen der westlichen Siegermacht gemäß korrekt zugehen: Der Besucher wird außerhalb der Ost-Berliner Stadtgrenzen auf dem Flughafen Schönefeld mit Stechschritt empfangen. Auf dem Territorium Berlins haben, so der Komment der Westalliierten, militärische Ehrenbezeigungen der DDR zu unterbleiben.

Solche Probleme lassen die Briten erst gar nicht aufkommen. Wohl ist für 1985 auch der erste DDR-Besuch eines britischen Außenministers angekündigt. Aber seit Staatsminister Malcolm Rifkind aus dem Foreign Office im Oktober 1983 Ost-Berlin besuchte und sagte: »Es gibt keine ernsthaften Probleme«, ist zwischen dem Vereinigten Königreich und dem SED-Staat nicht viel gelaufen.

Zwar ist Großbritannien nach der Bundesrepublik und Frankreich der wichtigste DDR-Handelspartner unter den Nato-Staaten. Zwar vereinbarte DDR-Vizeaußenminister Kurt Nier letztes Jahr in London mit dem britischen Außenminister Sir Geoffrey Howe, den »politischen Dialog« zu vertiefen. Zwar registrieren auch britische Diplomaten in Bonn, daß die DDR ihren »Status im Ostblock verbessert« habe. Doch Großbritannien, ostpolitisch Entwicklungsland,

ist nicht sonderlich geneigt, dem intensiven Werben der DDR entgegenzukommen.

Einfacher wird es der Rom-Reisende Honecker bei Italiens sozialistischem Ministerpräsidenten Craxi haben. Der SED-Chef hat auf Craxi, der im Juli vorigen Jahres Ost-Berlin besuchte, »einen vernünftigen und ernsthaften Eindruck« (ein italienischer Diplomat) gemacht.

Neben den Franzosen und - neuerdings - auch den Amerikanern sind die Italiener am ehesten bereit, die zaghafte Dolmetscher-Rolle der DDR zwischen Ost und West zu honorieren. Die DDR, so heißt es in Rom, sei ein »gut funktionierender Staat«, wo es »keine Hinrichtungen«, wohl aber »fleißige Deutsche« gebe und man »gute Geschäfte« machen könne.

Tatsächlich hat die DDR für ihre Westpolitik auch ökonomische Motive, an erster Stelle aber stehen sie nicht. Denn beim Handel zwischen Kapitalisten und Kommunisten, so mußten die Wirtschaftsplaner inzwischen einsehen, bleiben die Grenzen eng gesteckt.

Die rohstoffarme und technologisch weit ins Hintertreffen geratene DDR hat als Zahlungsmittel für hochwertige Westtechnologie und Konsumgüter fast ausschließlich Devisen zu bieten, und die sind allemal knapp. Die Vorteile des innerdeutschen Tauschhandels bleiben für die DDR auf unabsehbare Zeit unverzichtbar. Selbst im Außenhandel der Österreicher, die nach den Westdeutschen und Jugoslawen noch die besten Geschäfte mit dem Honecker-Staat machen, hält die DDR nur den 13. Rang.

Als hinderlich für florierende Westgeschäfte erweist sich zudem die Ehrpusseligkeit der sozialistischen Preußen. Anfang der 80er Jahre hatte sich die DDR mit netto 10,5 Milliarden Dollar im Ausland weit über ihre Verhältnisse verschuldet, nicht zuletzt deshalb, weil die Ostmanager die Entwicklung der Weltwirtschaft falsch einschätzten. Die Folge: Bei westlichen Banken rutschte die Kreditwürdigkeit der ostdeutschen Staatshändler bis fast auf polnisches Niveau herunter.

Zwar gilt Ost-Berlin bei westlichen Geldgebern inzwischen wieder als honoriger Kunde: Erst im vergangenen November lieh ein internationales Bankenkonsortium der DDR-Außenhandelsbank 400 Millionen Dollar ohne jede staatliche Bürgschaft. Aber der Schock von damals sitzt tief.

Ost-Berlin verwandte die neuen Kredite bisher keineswegs, um die eigene Wirtschaft technologisch aufzurüsten und damit auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger zu machen. Die Ostbankiers horten diese Millionen vielmehr ebenso wie jene knappe Milliarde, die sie im vergangenen Juli mit Bonner Bürgschaft bekamen. SED-Leute erklären dieses Verhalten mit entwaffnender Offenheit: Die DDR, so das schlichte Argument, wolle nie wieder in den Ruf eines bankrotten Schuldners geraten.

Das ökonomische Trauma korrespondiert mit einer politischen Furcht der ostdeutschen Einheitssozialisten: Die europäische Kleinmacht DDR argwöhnt, sie habe auf lange Sicht unter den Ost-West-Schwankungen am meisten zu leiden und könne bei politischen Veränderungen in Europa von ihrer Schutzmacht Sowjet-Union sogar geopfert werden.

Es gebe in der DDR-Führung, so trugen Ostfachleute im November letzten Jahres auf einer Klausurtagung in Schloß Gymnich dem Bonner Außenminister vor, einen »tiefsitzenden neutralistischen Instinkt«. »Am liebsten«, resümiert ein westdeutscher Diplomat seine DDR-Erfahrungen, »würden die ihr Land einpacken und irgendwoanders wieder aufbauen, fernab aller Machtblöcke.«

Diese Sehnsucht teilt die DDR mit anderen Staaten. Zu den Möchtegernneutralisten gehören im Westen Dänemark, Griechenland, Belgien und die Niederlande, im Osten außer der DDR noch Ungarn und Rumänien.

In diesem »Klub der Kleineren«, der komplettiert wird durch die tatsächlich neutralen Staaten Österreich, Schweden und Finnland, fühlt sich die DDR am wohlsten. Hier, im Schatten der Großen, pflegt der SED-Staat seine fruchtbarsten Kontakte.

Im Klub der Kleineren sprechen die DDR-Außenpolitiker denn auch am liebsten jene Themen an, die ihnen wirklich

brisant erscheinen: Abrüstung, Verzicht auf Ersteinsatz von Nuklearwaffen, Vereinbarungen über Gewaltverzicht und atomwaffenfreie Zonen.

Längst hat sich nach Erkenntnis der Bonner Diplomaten zwischen diesen Klein-Europäern ein »gewisses Grundverständnis und ein Respekt herausgebildet, ein Gefühl nicht klar definierbarer gemeinsamer Interessen«. Das umtriebige Duo Axen/Sindermann zählt auch hier zu den rührigsten Wegbereitern der ostdeutschen Außenpolitik: Athen, Brüssel, Den Haag, Madrid, Lissabon und Oslo waren in den letzten Jahren ihre Reisestationen.

Am deutlichsten zeigt sich der Traum von der Neutralität am Beispiel Österreich.

Mit der Alpenrepublik pflegen die DDR-Sozialisten geradezu freundschaftliche Kontakte. Die »ausgezeichneten Beziehungen zwischen Österreich und der DDR«, bilanzierte Wiens Wissenschaftsminister Heinz Fischer im Juni letzten Jahres nach einem Besuch in Ost-Berlin stolz, seien von den Ost-West-Spannungen »absolut unberührt geblieben«.

SED-Chef Honecker bezeichnet das Verhältnis seiner Republik zum neutralen Österreich sogar als Modell ost-westlicher Koexistenz. »Wir geben«, so Honecker im Oktober 1984, »damit ein Beispiel, wie sich die Beziehungen von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung positiv entwickeln.«

Honecker störte denn auch nicht, daß Kanzler Sinowatz bei seiner Staatsvisite im vergangenen November westdeutsche Wünsche ansprach und sich - ebenso wie Schwedens Premier Olof Palme - für bessere Reisemöglichkeiten der Ostdeutschen stark machte.

Die Suche nach Bundesgenossen bei den kleineren Partnern im Westen, die bestehende Grenzen anerkennen und die deutsche Frage nicht mehr für offen halten, ist Hauptmotiv für die aktive DDR-Westpolitik. Nach Ansicht des früheren deutsch-deutschen Unterhändlers Bahr steht längst fest, daß dies der SED-Führung inzwischen wichtiger ist als die Überwindung ihres Minderwertigkeitskomplexes, den sie noch aus der Zeit mit sich herumträgt, als die DDR breiter internationaler Anerkennung entsagen mußte.

Die Westdrift der DDR sehen in Bonn zumindest der Außenminister und jene Unionspolitiker positiv, die an einer kontinuierlichen Deutschlandpolitik festhalten. Genschers Argument: Was Bonn recht sei, gute Beziehungen zu den anderen Staaten des Warschauer Pakts, könne die Bundesregierung umgekehrt Ost-Berlin nicht verübeln. Die Zeiten der Hallstein-Doktrin, als Bonn all jene Staaten mit Abbruch der Beziehungen bedrohte, die den deutschen Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik ignorierten und die DDR anerkannten, seien schließlich längst vorbei.

Wer dafür sorgen wolle, daß von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehe, der könne es nur begrüßen, wenn alle Staaten in Europa ein gutes Verhältnis zueinander anstrebten. Genscher: »Das gilt für die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland genauso wie für die Beziehungen der DDR.«

Deutsch-deutsche Belange, so die Analyse im Auswärtigen Amt, müßten unter den anderen diplomatischen West-Aktivitäten Ost-Berlins nicht leiden. Denn der SED-Führung sei sehr wohl klar, daß sie bei den übrigen westlichen Ländern nur in dem Maß Anerkennung finde, in dem sie von der Bundesrepublik akzeptiert werde. Westpolitik an Bonn vorbei, das habe Ost-Berlin am Beispiel der Franzosen gelernt, bringe nichts ein.

Soviel Gelassenheit freilich stößt im Bonn der CDU-Politiker Herbert Hupka und Herbert Czaja längst wieder auf Kritik. »Mancherorts«, klagt ein Mitarbeiter Genschers, »werden da alte Instinkte aus der Hallstein-Zeit wieder wach, nach dem Motto: Je mehr der SED-Staat isoliert ist, desto besser.«

Und sein Chef Genscher warnt: »Wir müssen vermeiden, eine kleine Hallstein-Doktrin der zweiten Linie zu praktizieren.« _(Im Oktober 1984 bei der Elchjagd in ) _(Finnland )

Mit dem österreichischen Bundeskanzler Sinowatz am 5. November 1984auf dem DDR-Flughafen Schönefeld; mit dem japanischen KaiserHirohito am 7. Mai 1981 in Tokio.Im Juli 1984 in Berlin.Im Oktober 1984 bei der Elchjagd in Finnland

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