Einschleichen in Ausnahmefällen erlaubt
Der Tatbestand des Einschleichens sowie der durch Einschleichen beschafften und alsdann veröffentlichten Information (muß) nicht stets und uneingeschränkt zur Rechtswidrigkeit führen. Vielmehr sind Fälle denkbar, in denen die Beschaffung von Informationen ausschließlich im Wege des Einschleichens bzw. des unerkannten Eindringens in an sich geschützte Bereiche erlaubt sein kann.
Es wird sich bei diesen Fällen jedoch nur um Ausnahmen handeln können, die ihre Rechtfertigung ausschließlich daraus herleiten, daß anders die »Aufklärung« schwerwiegendster, elementarer, das Allgemeininteresse berührender Gefahren nicht möglich ist. Hierbei wird es sich nicht nur um Fälle gravierenden strafrechtlichen Bezuges (Informationen beispielsweise über die Vorbereitung eines Staatsstreiches, Planung eines Mordes, von Geiselnahmen) handeln, sondern auch um sonstige Tatbestände, an deren Kenntnis ein wirklich überragendes öffentliches Interesse besteht.
Welchen Tatbeständen ein im vorstehenden Sinne überragender Öffentlichkeitswert zukommt, kann nicht nach subjektiven Kriterien, insbesondere nicht nach der subjektiven Einstellung desjenigen beurteilt werden, der sieh »einsehleicht«; wollte man nämlich die Entscheidung von subjektiven Kriterien abhängig machen, so würde im Ergebnis der Begriff des überragenden öffentlichen Interesses der Bestimmung durch den einzelnen unterliegen, mithin der Nachrichtenbeschaffer zum Richter in eigener Sache werden. Von ausschlaggebender Bedeutung ist die Beurteilung nach objektiven Gesichtspunkten.
Die Beurteilung nach objektiven Kriterien kann es mit sich bringen, daß die Entscheidung darüber, ob die Informationsbeschaffung im Wege des »Einschleichens« ausnahmsweise gerechtfertigt ist, erst aufgrund einer Betrachtung ex post getroffen werden kann. So mag es sogar Fälle geben, in denen nach den gesamten vorstehenden Ausführungen ein »Einschleichen« zum Zwecke der Informationserlangung ausnahmsweise zunächst berechtigt erscheinen kann, in denen aber die Abwägung aller Tatumstände im nachhinein zum Ergebnis hat, daß eine Veröffentlichung der beschafften Informationen verboten bleibt. (was) nur dann durchbrochen werden kann, wenn auch im Zeitpunkt der Verwertung/ Veröffentlichung objektiv noch ein überragender Öffentlichkeitswert besteht.
Nicht zu verwechseln hiermit sind alle jene Fälle, in denen sich jemand »unerkannt« zum Beispiel in Hotels, Restaurants, Ferienorte pp. begibt, um deren Leistungen zu testen und das Testergebnis zu veröffentlichen. Das getestete Unternehmen nämlich stellt sich mit seinen Leistungen und Äußerungen geradezu der Öffentlichkeit. Ein dem vorliegenden Fall vergleichbarer Fall läge allenfalls dann vor, wenn sich der »Tester« beispielsweise als Portier ins Hotel, Koch ins Restaurant oder Angestellter der Kurverwaltung einschliche, um später über Interna zu berichten.
Am Gegenstand der Behauptung (Wallraffs) -- der Dienstanweisung eines Redaktionsleiters, es sei wichtig, sich Geschichten auszudenken -- besteht ein überragendes öffentliches Informationsinteresse. Denn die Öffentlichkeit muß darauf vertrauen können, daß das, was die Medien berichten, mit der der Presse gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfalt recherchiert worden ist. Wenn nun aber der die Gepflogenheiten einer Redaktion (mit-)bestimmende Redaktionsleiter Anregungen gibt oder gar Weisungen ausgibt, die diesem Grundsatz diametral entgegenstehen, so muß ein solches Verhalten öffentlich angeprangert werden.
(Das Gericht hielt diese Behauptung Wallraffs für hinreichend belegt und gestattete deren weitere Verbreitung.)