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»Eintrittskarte für den Überwachungsstaat«

Wie im Frühjahr gegen die Volkszählung formiert sich Protest gegen eine neue Bedrohung von Bürgerrechten: Ein EDV-gerechter Personalausweis, den Innenminister Zimmermann von 1984 an ausgeben lassen will, könnte den Rechtsstaat Bundesrepublik in einen Polizeirechtsstaat verwandeln. Die angeblich fälschungssichere Plastikkarte würde ein weltweit einzigartiges Kontrollsystem ermöglichen. Datenschützer halten den neuen Personalausweis für eine »wahre Büchse der Pandora«. In Karlsruhe liegt bereits eine Verfassungsbeschwerde. *
aus DER SPIEGEL 32/1983

Ein Wagen nähert sich dem Grenzübergang. Der Fahrer reicht einen gut scheckkartengroßen Plastik-Ausweis heraus. Ein Grenzbeamter führt den Paß in ein Kontrollgerät ein, das mit den geheimen Datenbanken von Polizei und Nachrichtendiensten verbunden ist.

Was daraufhin eines Tages »technisch durchaus möglich« sein könnte, malte sich vor vier Jahren, in einem Gespräch mit dem SPIEGEL, Bonns damaliger Innenminister Gerhart Baum aus: »Eine Schranke geht runter, eine Sirene heult, und über das Auto senkt sich ein Käfig.« Der Freidemokrat damals: »Dann könnte man wirklich sagen, das Stahlnetz stülpt sich über uns.«

Baums Szenario, halb im Scherz entworfen, ähnelt einer Vision, die seit Monaten eine wachsende Zahl von Bundesbürgern plagt: Unheil droht, so scheint ihnen, von jener Plastik-Ausweiskarte, die Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) vom November nächsten Jahres an allen Bundesbürgern ausstellen lassen will.

Dabei mutet die glänzende Karte, 10,5 mal 7,4 Zentimeter, kratz- und waschfest, auf den ersten Blick eher harmlos an, ein schickes Ding, praktischer als das herkömmliche graue Buch. Nicht einmal besondere Kennzeichen sollen künftig vermerkt sein, und anders als etwa auf den neuen Euro-Scheckkarten ist auch keine Magnetspur für kodierte Angaben vorgesehen - Beweise für Bürgerfreundlichkeit und Datenschutzbewußtsein, wie die Regierung glauben machen will?

Eingeweihte sehen, ganz im Gegenteil, in dem Ausweis das entscheidende letzte Teilstück eines umfassenden Kontrollsystems, das gesellschaftsverändernde

Kräfte entfalten könnte: ein Instrument, das Bürgerrechte zu bedrohen und den Rechtsstaat in einen Polizeirechtsstaat zu verwandeln vermag - wenn nicht gar in eine ganz andere Republik.

Mit dem geplanten Bonner Ausweis ist nahezu über Nacht das neue Personalausweisgesetz in die Schlagzeilen geraten, ein Paragraphenwerk, das im vergangenen Dezember »im Blitzverfahren« ("Süddeutsche Zeitung") und ohne Debatte vom Bundestag verabschiedet worden war - einstimmig wie das mittlerweile vom Verfassungsgericht gestoppte Volkszählungsgesetz.

Plötzlich, fünf Monate vor Anbruch des Orwell-Jahres 1984, bewegt der neue Personalausweis so viele Bürger, daß der millionenfach von den Medien reproduzierte Entwurf der Plastikkarte dessen Photo-Modell, eine Dame aus der Berliner Bundesdruckerei mit dem fiktiven Namen Erika Mustermann, zur Frau des Jahres machen könnte.

Daß das Bonner Ausweisgesetz unversehens zum Politikum gedieh, haben vor allem die Warnungen zweier Juristen bewirkt: *___Der im Mai von Zimmermann entlassene langjährige ____Bundesdatenschutzbeauftragte Hans Peter Bull, ein ____sozialdemokratischer Rechtsprofessor, tat Ende letzten ____Monats die Auffassung kund, der neue Ausweis sei »für ____die Bürgerrechte wesentlich gefährlicher als die ____Volkszählung«; *___der christdemokratische Präsident des Hamburger ____Landesamtes für Verfassungsschutz, Christian Lochte, ____warf vergangene Woche öffentlich der Bundesregierung ____vor, der Staat verletze den Grundsatz der ____Verhältnismäßigkeit der Mittel, wenn er »30 Millionen ____Bürger mit einem neuen Ausweissystem überzieht, nur ____weil er maximal 30 Terroristen sucht« (siehe ____SPIEGEL-Gespräch Seite 22).

Die spektakulären Voten des renommierten Rechtswissenschaftlers und des linker Neigungen unverdächtigen Nachrichtendienst-Profis durchkreuzen das Vorhaben der Bundesregierung, die seit der Volkszählungsdiskussion zunehmende Kritik am neuen Ausweis als Werk von Verfassungsfeinden und Chaoten hinzustellen, die »Massenhysterie« (Regierungssprecher Peter Boenisch) verbreiten wollten.

Schon scheint sich erneut jene breite Front zu formieren, die im Frühjahr in Sachen Volkszählung der Bundesregierung ihre erste politische Niederlage bereitet hatte. Wie im Kampf gegen die »Volksaushorchung« (Protest-Parole) richten nun viele Ausweisgegner ihre Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht; die FDP-Absplitterung »Liberale Demokraten« hat bereits Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht (siehe Kasten Seite 24).

Irritiert reagieren die Sozialdemokraten, deren Düsseldorfer Innenminister Herbert Schnoor nun für eine Verschiebung der Ausweisausgabe plädiert. Hamburg lehnt, wie SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk erklärte, die Kennkarte überhaupt ab: »Ich bin ein Gegner der totalen Kontrolle, in die man bei Einführung des neuen Ausweissystems mehr und mehr hineinrutschen würde.«

Die Grünen rufen wieder zum Boykott auf; sie kündigen an, aufs neue all die vielen hundert Initiativgruppen zu aktivieren, die im Frühjahr monatelang mit Flugblättern, Farbsprühdosen und Fassaden-Transparenten die Bürger gegen die Volkszählung mobilisiert hatten.

Die neue Kampagne gilt einem Instrument, das nach Regierungsdarstellung »der inneren Sicherheit der Bundesrepublik« dient, nach Ansicht von Kritikern aber, so des liberalen Bürgerrechtsvereins »Humanistische Union« (HU), eine »wahre Büchse der Pandora« ist.

Schon vor drei Jahren, nachdem Freidemokrat Baum einen ersten Ausweisgesetz-Entwurf vorgelegt hatte, sprach Professor Ulrich Klug, der damalige HU-Vorsitzende und frühere Hamburger Justizsenator, die Befürchtung aus, durch eine EDV-gerechte Kennkarte, kombiniert mit den Geheim-Computern von Polizei und Nachrichtendiensten sowie »einem heute noch unvorstellbar häufigen Einsatz von stationären und mobilen Ausweislesegeräten«, werde eine fatale Entwicklung eingeleitet. Klug: »Die Tür zum Überwachungsstaat würde aufgestoßen.«

Derlei Bedenken äußerte FDP-Mitglied Klug, obgleich damals sein Parteifreund Baum in Bonn als Polizeiminister amtierte - Jurist Klug fürchtete, weniger liberale Baum-Nachfolger könnten sich eines Tages der Staatscomputer bedienen: »Niemand weiß«, so Klug 1980, »wie der nächste Innenminister heißt.«

Baum, immerhin, hatte sich bemüht, die Elektronisierung des Sicherheitswesens mit dem Einbau von Sicherungen zum Schutz der Bürger vor Datenmißbrauch zu kombinieren: »Wenn man ein Auto mit stärkerem Motor konstruiert, braucht man auch bessere Bremsen.«

Nachfolger Zimmermann indes hat seit seinem Amtsantritt, wie Datenschützer Bull urteilt, vielfach zu erkennen gegeben, »daß man die Richtung ändern will oder schon geändert hat« - ein Umstand, der erklärt, warum in der Ära Zimmermann die Ausweispläne ungleich mehr Widerstand provozieren als zu Zeiten Baums.

Einig scheinen Gegner und Befürworter des neuen Ausweises nur in einem einzigen Punkt: daß der geplante Verbund von Computer-Ausweis und staatlichen Datenbanken Kernstück eines von Polizeistrategen und Verwaltungsexperten seit Jahren konzipierten Melde-, Fahndungs- und Überwachungssystems ist, das ohne Beispiel sei in der Geschichte der Menschheit:

Das System »sucht in seiner Philosophie und Perfektion sicher seinesgleichen auf der Welt«, schwärmt der Frankfurter Polizeipräsident Karl-Heinz Gemmer. Bonn plane, urteilt der Bremer Informatik-Professor Wilhelm Steinmüller, »nicht weniger als die Einführung der ersten Massenkontrolltechnologie _(Mit einem Kripo-Beamten im Wiesbadener ) _(BKA. )

eines neuzeitlichen Staates in Ost und West«.

Der Öffentlichkeit gegenüber freilich betonen die regierungsamtlichen Ausweispropagandisten weniger die Computer-Lesbarkeit der Plastikkarte als ihre angebliche Fälschungssicherheit - eine Eigenschaft, gegen die auch Kritiker wie Klug »natürlich nichts einzuwenden« hätten.

Allerdings: Das in den Vordergrund gerückte Argument der absoluten Unverfälschbarkeit der in Kunststoff gepreßten Ausweisdaten ist, so argwöhnen Zimmermanns Widersacher, unzutreffend. Denn zum einen, vermuten sie, würden die unbedruckten Rohlinge, abholbereit für Einbrecher, in den Rathäusern herumliegen; das notwendige Gerät, um die Spezialfolie in Plastik einzuschweißen, könnten findige Ganoven wohl auch auftreiben.

Zum anderen würden Terroristen wie eh und je mit ausländischen Pässen reisen. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Claus Henning Schapper hegt daher den Verdacht, daß »ein ganz anderer Zweck verfolgt oder zumindest erreicht wird - nämlich Personen-Kontrollen zu erleichtern und zu beschleunigen«.

An Deutschlands Grenzen etwa läßt sich mit Hilfe der Plastikkarte die Kontrolle der Reisenden perfektionieren. Bisher wurden dort in der Regel nur Stichproben gemacht: Jeder 25. Ausweis wird auf ein Sichtgerät gelegt, das die Daten meist in einen Nebenraum überträgt, wo sie von Hand in ein Terminal eingetippt werden, das wiederum mit Polizei-Datenbanken verbunden ist.

Künftig könnte ausnahmslos jede EDV-Karte gleich in den Schlitz eines Lesegeräts gesteckt werden, das innerhalb von drei Sekunden signalisiert, ob der Ausweisinhaber beispielsweise zur Festnahme ausgeschrieben ist. Das neue Personalausweisgesetz gestattet, die Lesegeräte mit Dateien zu verknüpfen, »die für Zwecke der Grenzkontrolle und der Fahndung aus Gründen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr durch die hierfür zuständigen Behörden betrieben werden«.

Diese Klausel allerdings erlaubt nicht nur, mit EDV-Hilfe den Reisestrom nach Personen zu durchsieben, die zur Festnahme ausgeschrieben sind. Ermöglicht wird damit auch die Ausweitung eines seit Jahren praktizierten und von etlichen Juristen als rechtswidrig eingeschätzten Verfahrens: der sogenannten Polizeilichen Beobachtung (Amtskürzel: »PB"), gemeinhin eher bekannt als »Befa«, »Beobachtende Fahndung«.

Das Grundprinzip ist simpel: Wer immer Sicherheitsbehörden aus politischen oder polizeilichen Gründen als verdächtig oder auch nur »verdachtsnah« gilt, dessen Name wird in Computern gespeichert, die mit den elektronischen Ausweislesegeräten gekoppelt sind. Wird die Plastikkarte einer »Zielperson« in den Schlitz gesteckt, *___signalisiert das Gerät blitzschnell (und für den ____Betroffenen unsichtbar) dem Beamten, ob der Überprüfte ____beispielsweise unter einem Vorwand durchsucht, nach ____seinem Reiseziel befragt oder unauffällig verfolgt ____werden soll, *___meldet das Gerät zugleich automatisch dem ____Zentralcomputer, wer wann den betreffenden ____Kontrollpunkt passiert hat.

Entworfen haben dieses System westdeutsche Geheimdienstler und Kriminalisten. Der einstige BKA-Chef Horst Herold glaubte, nicht zuletzt mit Hilfe von elektronisch produzierten »Bewegungsbildern« der »historischen Aufgabe« gerecht werden zu können, die jahrtausendelang nur Weltverbesserer für lösbar hielten: der Ausmerzung des Verbrechens. Bei »Totalanwendung« eines elektronischen »Vollverbunds« lasse sich, wenn erst dessen »Perfektionsgüte perfektioniert« worden sei, dem mobilen Verbrechen ein »tödlicher Schlag« versetzen.

Seit der Bonner Wende hoffen Polizeistrategen in Bund und Ländern mehr denn je, daß der Traum ihres Vordenkers bald Wirklichkeit wird. Die Einführung des EDV-Ausweises würde die technische Möglichkeit schaffen, ohne viel Aufhebens und mit vertretbarem Personalaufwand die Zahl der Kontrollpersonen ebenso zu vervielfachen wie die Zahl der Kontrollstellen und der Kontrollgründe.

Kontrollpersonen: Die Zahl derer, die von Kripo oder Zoll zur elektronischen Beschattung ausgeschrieben worden sind, hat sich binnen anderthalb Jahren um 50 Prozent erhöht; der Reiseüberwachung unterliegen nach einem Innenminister-Beschluß vom April letzten Jahres nicht nur Terrorismus- und Drogenhandelsverdächtige, sondern auch mutmaßliche Gewaltdemonstranten.

Datenschützer stießen immer wieder auf Fälle, in denen selbst Personen, die einmal im selben Zugabteil mit einem Verdächtigen gereist waren, polizeilicher Observation und geheimdienstlicher Überprüfung ausgesetzt worden ware.

Kontrollstellen: Die Ausweislese-Elektronik wird aller Voraussicht nach jenen

Trend zur Vollkontrolle noch verstärken, der während der letzten zehn Jahre bewirkt hat, daß die Zahl der Computer-Terminals an den Grenzen von 25 auf 2300 gestiegen ist.

Seit im Februar dieses Jahres ein flächendeckendes »Gleichwellen-Datenfunksystem«, laut BKA »ein Meilenstein«, in Betrieb genommen worden ist, können Polizeibeamte mit tragbaren Datenfunkgeräten von jedem Punkt der Bundesrepublik - auch aus Streifenwagen und Zügen - Ausweisdaten per Knopfdruck an die Zentralcomputer übermitteln. Der in Sekundenschnelle zu kontrollierende neue EDV-Ausweis werde, fürchtet Datenschützer Steinmüller, letztlich zu »zehntausend innerdeutschen Grenzen« führen.

Kontrollgründe: Schon während der letzten Jahre haben die meisten Länder durch Novellierung ihrer Polizeigesetze den Beamten eine Fülle zusätzlicher Kompetenzen zur Ausweiskontrolle eingeräumt, etwa in Lokalen, auf Bahnhöfen oder an Demonstrationsorten. Diese Praxis auszuweiten wäre ganz im Sinne von Kriminalisten wie Herold, der bereits vor vier Jahren angekündigt hatte: »Wenn wir einen solchen Ausweis schaffen, ist es konsequent und logisch, seine Benutzung häufig vorzusehen.«

Die Bundesländer folgten denn auch teilweise einem Musterentwurf, in dem es heißt: »Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen«, wenn diese sich »an einem Ort aufhält, von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, daß dort Personen Straftaten ... verüben«. Die gleiche Ermächtigung sieht das neue Polizeirecht für Stätten vor, an denen sich »Personen ohne erforderliche Aufenthaltsgenehmigung treffen«.

Massenhafte Ausweisüberprüfungen kann die Polizei nach dem 1978 geschaffenen Anti-Terror-Paragraphen 111 der Strafprozeßordnung unter gewissen Umständen sogar »an allen öffentlich zugänglichen Orten« vornehmen. Mit dieser Regelung seien die Strafverfolger, kommentierte der Wiesbadener Kriminaldirektor Wolfgang Steinke, endlich in der Lage, »ohne irgendeinen besonderen Anhaltspunkt für einen Verdacht« selbst »Öffnen der Kofferräume« anzuordnen und eine »Durchsuchung der Insassen von Fahrzeugen« vorzunehmen.

Wird jemand bei einer Kontrolle ohne Ausweis angetroffen und als Verkehrsrowdy, Terrorist oder Gewaltdemonstrant verdächtigt, darf er zwecks Identifizierung bis zu zwölf Stunden festgehalten werden. »Zur Aufklärung« einer beliebigen Straftat, so Paragraph 163 b der Strafprozeßordnung, kann die Identität einer Person sogar festgestellt werden, wenn sie »nicht verdächtig ist«.

»Aus polizeilicher Sicht«, räumt Bürgerrechtler Klug ein, würde eine Vervielfachung der Ausweiskontrollen, zu denen der EDV-Ausweis verführt, womöglich »eine enorme Verbesserung darstellen. Die freiheitliche Struktur dieses Staates jedoch geriete in Gefahr«.

So könnte zum Beispiel vermehrte Ausweisüberprüfung dazu führen, daß jeder Bürger, um sich Scherereien zu ersparen, jederzeit und allerorten den Ausweis bei sich führen müßte, was, so Klug, der »Standardregel autoritärer Regime« entsprechen würde - von der DDR bis Südafrika. Herold 1979 zum SPIEGEL: »Als Belohnung für das Mitführen des Ausweises gibt es eine reibungslose Abfertigung. Der neue Ausweis wird sich als ''Sesam-öffne-dich'' erweisen.«

Bislang schon hat die Polizei - trotz des vergleichsweise mühsamen Eintippens der Daten aus dem grauen Personalausweisheft in die EDV-Terminals - vielerorts kaum eine Gelegenheit zur Kontrolle ausgelassen.

Nach einem geheimen Beschluß der Innenministerkonferenz vom 2. September 1977 beispielsweise sind die Ausweisdaten aller Bundesbürger, die mit der Polizei in Kontakt kommen, seien es Zeugen, Geschädigte oder Verdächtigte, per EDV zu überprüfen - so, daß es »nach Möglichkeit nicht bemerkt wird«.

Abgefragt wurden oder werden Polizei-Computer auch nach den Namen von Bürgern, die bei Anarchisten-Prozessen zuhören, Transitstrecken nach Berlin benutzen, sich im Bonner Bundeshaus mit Abgeordneten treffen, Leihautos mieten, in Hotels nächtigen, ihren Wohnsitz ummelden, mit Drogen-Verdächtigen korrespondieren, sich bei Demonstrationen vermummen oder Häftlinge aus der Terrorszene besuchen.

Derlei Anlässe, argumentieren Datenschützer, ließen sich nach Einführung des neuen Ausweises verstärkt nutzen, um Aktivitäten suspekter Bürger flächendeckend zu erfassen. Zimmermanns EDV-Ausweis könnte sich mithin als eine Art Eintrittskarte in den Überwachungsstaat erweisen - zumindest dann, wenn sich die Befürchtung bewahrheitet, daß unter dem Bonner Unionsregiment die Sicherheitsbehörden dazu übergehen, *___mehr und mehr auch aus politischen Gründen verdächtige ____Bürger der Beobachtenden Fahndung auszusetzen, so daß ____beispielsweise deren Auslandsreisen oder ____Demonstrationsteilnahmen protokolliert werden, und *___auf dem Wege der Amtshilfe verstärkt Datenbestände von ____Geheimdiensten und Polizeistellen auszutauschen.

An Anlässen für derlei Befürchtungen mangelt es nicht. Seit langem liebäugeln Polizei-Obere mit der Möglichkeit, bei Großdemonstrationen, Terroristenfahndungen oder Spezialrazzien mittels Ausweiskontrolle nicht nur die üblichen Fahndungs- und Befa-Daten heranzuziehen. Sie möchten vielmehr auch andere staatliche Computer anzapfen - in denen mittlerweile ein kaum mehr überschaubarer Wust von Personalangaben gespeichert ist.

In regionalen Polizei-Dateien erfaßt wurden in den letzten Jahren beispielsweise

Personalien von Hausbesetzern und Rockern (Berlin), Prostituierten und Psychiatriepatienten (Baden-Württemberg), Punkern und Pazifisten (Niedersachsen).

Würden die Bestände oder Teilbestände auch solcher Dateien den Ausweiskontrollstellen zugänglich gemacht, ließen sich künftig etwa im Umfeld von Anti-Atom-Demonstrationen per Datenfunk die EDV-Ausweise aller anreisenden Kernkraftgegner automatisch lesen. Und binnen Sekunden könnten jene herausgefunden und sodann durchsucht oder beschattet werden, die bereits einschlägig in Erscheinung getreten sind.

In seinem jüngsten Tätigkeitsbericht äußert der hessische Datenschutzbeauftragte Professor Spiros Simitis »erhebliche Bedenken« gegen die Kombination von Ausweiskontrolle und Demo-Datei: »Ich sehe die Gefahr, daß hier eine umfassende Datensammlung über politisch aktive Bürger entstehen könnte.« In der Hamburger »Zeit« kritisierte Datenschutzer Bull, daß das Ausweisgesetz die »heikle Frage« offenlasse, ob eine Speicherung der bei Ausweiskontrollen anfallenden Daten gestattet sei. Bull: _____« Sie ist zwar nach meiner Überzeugung mangels » _____« Rechtsgrundlage unzulässig, wird aber praktiziert, und » _____« die Bundesministerien der Justiz und des Inneren haben » _____« sie mit einer juristischen Hilfskonstruktion für erlaubt » _____« erklärt. Eine Protokollierung der Daten könnte auch für » _____« andere Behörden interessant sein; sie ist gesetzlich » _____« nicht verboten, sondern geschieht in einigen » _____« Bundesländern und könnte auch auf Bundesebene durch » _____« Verwaltungsverordnung eingeführt werden. »

Zum möglichen Instrument »perfekter Kontrolle« (Bull) wird der Plastik-Ausweis durch die sogenannte Lesezone auf der Vorderseite: zwei Zeilen in der maschinenlesbaren Schriftart »Optical Character Recognition B«.

Die Lesezone, die Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Gültigkeitsdauer und eine Seriennummer aufnehmen soll, ermöglicht nicht nur Massenkontrollen in Sekundenschnelle, sondern birgt darüber hinaus verfassungsrechtliche Brisanz.

Denn die Buchstaben und Zahlen in der Lesezone sind als »Ordnungsmerkmal« verwendbar: Sie haben, kombiniert mit Computer und Lesegerät, nach Ansicht von Informatikwissenschaftlern weitgehend dieselbe Funktion wie ein 1976 vom Bundestag als verfassungswidrig verworfenes zwölfstelliges »Personenkennzeichen«, das jeden Bürger unverwechselbar markieren sollte.

Als die Abgeordneten vor sieben Jahren die zwölfstellige Bürgernummer für »unzulässig« erklärten, trugen sie einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts Rechnung: In der sogenannten Mikrozensus-Entscheidung hatten es die Karlsruher Richter 1969 als grundgesetzwidrig bezeichnet, »den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren ... und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist«.

In der ursprünglich geplanten zwölfstelligen Nummer hatten die Parlamentarier einen informationstechnischen Superschlüssel erkannt, der es ermöglicht, die noch verstreuten Personeninformationen aus Zehntausenden von Datensammlungen zu umfassenden Bürgerdossiers zusammenzufügen. »Die Vision Orwells«, warnte damals sogar der CDU-Pressedienst, »wird aktuell.«

Mittlerweile ist die datentechnische Entwicklung so weit gediehen, daß nicht länger vielstellige Kennzahlen als unabdingbare »Voraussetzung für den Datenverbund« gelten, wie noch Anfang der siebziger Jahre das Innenministerium verlautbart hatte. Heute genügt zur zweifelsfreien Identifizierung eines Individuums jene vermeintlich unverfängliche Kombination von Namen und Ziffern, die für die Ausweis-Lesezone vorgesehen ist. Dieses »maschinell lesbare alphanumerische Ordnungsmerkmal« (EDV-Jargon) ließe sich als eine Art elektronischer Generalschlüssel zu einer Fülle staatlicher und privater Dateien verwenden - unter der Voraussetzung, daß deren Datenbestände zuvor mit Hilfe der Angaben aus der Ausweis-Lesezone geordnet worden sind.

Wie sehr gleichgeschaltete Datenbestände dazu verführen können, den Bürger zum gläsernen Menschen zu machen, demonstrieren derzeit schwedische Datenbürokraten: Das Statistische Zentralbüro in Stockholm, das bereits vor Jahren eine Bürgernummer eingeführt hat, plant, alle Datenbanken des Landes zu einem Zentralregister zusammenzukoppeln - aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung.

Rationalisierungsargumente, fürchten westdeutsche Datenschützer, könnten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in der Bundesrepublik dazu führen, daß sich nicht nur Polizei und andere für »Strafverfolgung« und »Gefahrenabwehr« (so das Ausweisgesetz) zuständige Stellen der neuen Kontroll-Technologie bedienen werden.

In der Privatwirtschaft könnte die Forderung laut werden, die Zimmermannsche Plastikscheibe auch anstelle von Scheckkarten, Kunden-, Firmen- und Hausausweisen einzusetzen - was dazu führen würde, daß die Speicherinhalte sämtlicher einschlägiger Computer nach ein und demselben Ordnungsprinzip sortiert werden, der alphanumerischen Zeichenfolge in der Ausweis-Lesezone, dem Quasi-Personenkennzeichen.

Eine solche Uniformierung Tausender von privaten Dateien wird vom Ausweisgesetz zwar untersagt; der Bundestag könnte freilich die Schutzklausel jederzeit mit einfacher Mehrheit streichen.

Sollten sich die Lesezonen-Daten der Ausweise tatsächlich zu einem universellen Ordnungsmerkmal entwickeln, das in den Datenbanken von Staat und Wirtschaft verwendet wird, wäre ein alter Traum von Polizeiplanern erfüllt: die Möglichkeit, nach gleichem Prinzip sortierte Personendaten von Versicherungen und Behörden, Handelsfirmen und Auskunfteien, Wasserwerken und Autovermietern Zwecken kriminalistischer oder geheimdienstlicher »Rasterfahndung«

nutzbar zu machen (SPIEGEL-Serie 18-26/1979).

Nach Ansicht von Fachwissenschaftlern - Bull: »Das Schlimme ist, daß diese Entwicklungen immer so leise daherkommen« - zeichnet sich mithin schemenhaft die technische Möglichkeit ab, einen Überwachungsstaat zu schaffen, der selbst das schwedische Modell noch in den Schatten stellt. In anderen westlichen Demokratien sind Bürgerkontrollsysteme a la Zimmermann ohnehin undenkbar. In den USA, wo es, wie auch in Großbritannien, keine staatliche Meldepflicht gibt, genügt der Führerschein als Identifizierungsmittel. Die in Frankreich ausgegebene Carte d''Identite ist keineswegs obligatorisch; ein Versuch, einen EDV-gerechten Ausweis einzuführen, scheiterte dort vor vier Jahren an Massenprotesten.

Zwar hat der Europarat 1977 seinen Mitgliedsländern empfohlen, Kennkarten möglichst fälschungssicher zu gestalten. Aber, weiß Hamburgs Innensenator Pawelczyk, »in Westeuropa gibt es augenblicklich kein einziges Land, das das Projekt noch weiterverfolgt«. In Osteuropa hingegen werden Bonns Überwachungspläne mit Spannung beobachtet.

»Nachahmer im Osten, die wegen ihrer Rückständigkeit in billiger Mikroelektronik heute nicht folgen können«, hieß es bereits vor vier Jahren in einer vom SPIEGEL veröffentlichten Datenschützer-Denkschrift, »werden es als moralische und technische Hilfe zu schätzen wissen, daß wir diesen Aspekt der Bevölkerungsüberwachungstechnik salonfähig machen und zur Reife entwickeln.«

»Man wird dort später«, prognostizierten die EDV-Experten, »die dann ausgereiften und billig gewordenen Geräte und Methoden übernehmen.«

Mit einem Kripo-Beamten im Wiesbadener BKA.

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