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Einzeln befragen!

aus DER SPIEGEL 50/1971

Bösartig lacht der Arbeiter auf, gibt der hilflosen deutschen Wirtschaft einen Fußtritt und stößt sie so in den Abgrund. Diese Karikatur haben hoch im Norden die »Kieler Nachrichten« den streikenden Metallarbeitern von Baden-Württemberg gewidmet. Tief im Süden beobachtete TV-Moderator Kurt Wessel im »Münchner Merkur« die Arbeitervertreter beim Abschlachten der Wirtschaft: »Die Arbeitgeber werden nicht den Ast absägen wollen, auf dem sie sitzen. Will die Gewerkschaft das, soll die Wirtschaft, als Endziel, ausgeblutet, der sogenannten Vergesellschaftung anheimfallen?«

Das kommt: die Metallarbeiter haben sich, als ihre Sozialpartner, die Unternehmer, viele ihrer Warenpreise erhöht hatten, partnerschaftlich dazu entschlossen, auch die Preise für ihre Ware Arbeitskraft zu erhöhen.

Und als ihre Partner die neuen Preise nicht zahlen wollten, taten die Arbeiter das, was auch Unternehmer tun, wenn Konsumenten nicht zum neuen höheren Preis kaufen wollen -- sie gaben ihre Ware Arbeitskraft nicht mehr her, sie streikten.

Doch wenn Arbeiter nach dem Gesetz unserer Gesellschaftsordnung vorgehen, dann gehört sich das nicht. Den »Blick aufs Ganze« gerichtet, sieht Kurt Wessel im »Münchner Merkur« die Wirtschaft nur durch die achtzig bestreikten Betriebe und nicht durch die 544 Betriebe ausbluten, über die der Arbeitspenderverband Aussperrung verhängte. Und in der »Zeit« fällt Diether Stolze angesichts des Streiks ein: »Im Grunde sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer heute im gleichen Boot.« Wahr! Die Maschinisten, die im düsteren Unterdeck der Luxusjacht Bundesrepublik schwitzen. sollten endlich begreifen, daß ihre Arbeitspender in der Hitze des Sonnendecks auch kein leichtes Leben haben.

Stolze, der den Tarifstreit »durch Vernunft und nicht durch Macht« entschieden sehen möchte und der weiß, daß die Kaufkraft der Arbeiter seit dem letzten Jahr um 6 Prozent gesunken ist, sagt, was gegen die Vernunft ist: »So ist es töricht von den Gewerkschaften, das Angebot der Arbeitgeber (4,5 Prozent Lohnerhöhung) als »Provokation' zu denunzieren. Wenn nur die Ertragslage Maßstab wäre, dürften die Unternehmer überhaupt keine Lohnerhöhungen anbieten.«

Was spricht sonst noch gegen die Arbeiter? Die Nachrichtenagentur AP weiß es: Sie sind nicht einmal in der Lage, ihre Forderungen in makellose Verse zu kleiden. AP über die Parolen auf den Streikplakaten: »,1945 harte Arbeit, Schutt und Asche, heute Aussperrung -- eine miese Masche', ist alles, was angeboten wird -- und dazu noch in schlechten Reimen.«

Wozu überhaupt Streik? Den »General-Anzeiger für Bonn und Umgegend« hat nämlich ein Hörensagen erreicht: »Nach allem, was man aus dem baden-württembergischen Tarifbezirk hört, sehen die Arbeitnehmer -- einzeln befragt -- den Sinn dieses Ausstandes nicht recht ein, womit sich die gezielt propagandistische Kollektivbefragung bei einer Urabstimmung als rechte Farce erweist.«

Das ist eine Lösung. Schluß mit der unsinnigen Farce von Urabstimmungen über Streik oder Nicht-Streik. Der Bürger am Arbeitsplatz soll nicht im Kollektiv untergehen. Nein -- einzeln muß man ihn befragen, ob er mit seiner Begehrlichkeit wirklich die deutsche Wirtschaft ruinieren will. Am besten: der Personal-Chef persönlich bittet jeden Arbeiter einzeln in sein Büro und fragt ihn ganz persönlich, ob er etwa streiken will. Und wenn er vor seinen Besucher die »Zeit« hingelegt hat -- mit dem rot unterstrichenen Satz: »Die allzu hohe Beschäftigung und damit die Übermacht der Arbeitnehmer klingt ab« -- ja dann kann der Sozialpartner im Direktionssessel sicher sein, daß der einzeln befragte Sozialpartner von der Werkbank allenfalls noch für Lohnsenkung streiken wird.

Otto Köhler
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