TÜRKEI Eiserne Hand
In den Redaktionszimmern der Zeitung »Milliyet« in Istanbul verraten Aufkleber auf den Telephonen den Wunsch der Türken: »Wir wollen wählen«.
Am 6. November, nach gut drei Jahren Militärherrschaft, soll es soweit sein. 19,6 Millionen Wahlberechtigte dürfen, müssen sogar unter Androhung von Geldstrafen an die Urnen. Und nach den Wahlen dann, so befiehlt Ex-General und Staatspräsident Kenan Evren seinen Landsleuten, »dürft ihr euch nicht streiten. Ihr müßt euch lieben.«
Die Liebe der Türken muß sich, soll kein Streit ausbrechen, nach dem 6. November ganz auf die Militärs und deren Marionetten konzentrieren. Denn zwei der drei Parteien, die zur Wahl stehen, sind Kunstgebilde, ihre Führer treue Satrapen der Militärmacht.
Staatschef Evren, der sich im vergangenen Jahr per Referendum für sieben Jahre wählen ließ und sich gleichzeitig mit einer starken Präsidialverfassung ausstattete, weiß auch schon, wie die Wahl ausgeht: »Einer wird gewonnen haben, einer weniger gewonnen haben und einer gar nicht gewonnen haben.«
Gewinnen soll nach dem Szenario der Generale die von ihnen selbst geschaffene Nationalistische Demokratische Partei (MDP). Mit Blick auf die Wähler wurde ihrem farblosen Führer, dem Ex-General Turgut Sunalp, der jetzige Premier und Ex-Admiral Bülent Ulusu als unabhängiger Kandidat beigegeben.
Verlieren soll die angeblich sozialdemokratische Volkspartei. Ihr ebenfalls farbloser Chef, Necdet Calp, ehemals Staatssekretär bei Ulusu, wird sich alle Mühe machen, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Calp: »Wir werden eine loyale Opposition abgeben.«
Als möglicher Koalitionspartner der Rechten schließlich figuriert die - trotz 30 abgespeckter Kilos - einzig pralle Politiker-Persönlichkeit auf der türkischen Szene, Turgut Özal. Der erzliberale Ökonomieprofessor, bis zu einem spektakulären Bankenkrach im vergangenen Jahr Wirtschaftsminister im Kabinett der Militärs, durfte die rechts stehende »Mutterland-Partei« gründen.
Damit die Zusammensetzung eines künftigen Parlaments plangemäß ausfällt, hat sich die Junta vorbehalten, auch noch über die Veröffentlichung der Kandidatenlisten hinaus Bewerber zu streichen. Das gilt, bis das Wahlergebnis verkündet ist. Gewählte Abgeordnete können also noch gefeuert werden.
Wie sehr die Machthaber entschlossen sind, sich ihr scheindemokratisches Spiel nicht verpfuschen zu lassen, hatten sie schon bei der Zulassung der Parteien bewiesen.
Eine der Bedingungen, an den Wahlen teilzunehmen, war die Aufstellung von 30 Gründungsmitgliedern, die vor den Augen des Regimes Gnade finden mußten. Ehemalige Präsidenten, Premiers, Parlamentarier und hohe Parteifunktionäre waren von vornherein ausgeschlossen, Hunderte von ihnen sind für fünf bis zehn Jahre aus der Politik verbannt.
Die Junta machte reichlich Gebrauch von ihrem Vetorecht. 58 Prozent aller Gründungsmitglieder wurden abgelehnt,
15 Parteien, darunter solche mit so hochgemuten Namen wie »Partei der erhabenen Aufgabe« oder »Partei der Wiedergeburt«, von den Militärs vom Platz geschickt. In der vorvergangenen Woche räumten sie auch noch unter den Kandidaten auf: 672 von 1683 Bewerbern wurden zurückgewiesen.
Einer der erheblichen Geburtsfehler der angestrebten »starken und gesunden Demokratie« (Evren) aber dürfte sein, daß die zwei stärksten, über Jahrzehnte gewachsenen demokratischen Parteien ebenfalls außen vor bleiben: die Nachfolgeorganisation der linken Republikanischen Volkspartei des Ex-Premiers Bülent Ecevit sowie jene der konservativen Gerechtigkeitspartei, früher geführt vom mehrmaligen Ministerpräsidenten Süleyman Demirel.
Sozialdemokrat Ecevit, der wegen seiner Kritik an den Militars bereits viermal im Gefängnis saß, hatte bei seinen Genossen zwar die Parole ausgegeben, erst einmal stillschweigend abzuwarten, die Zeit sei noch nicht reif, eine Partei zu gründen.
Doch eine Gruppe seiner zerstrittenen Anhänger scharte sich um einen Polit-Amateur mit berühmtem Namen: den ehemaligen Physikprofessor Erdal Inönü, Sohn des langjährigen Ministerpräsidenten Ismet Inönü, eines Weggefährten noch des Staatsgründers Kemal Atatürk.
Die neue Sozialdemokratische Partei (Sodep) des Inönü-Juniors wurde dreimal abgeschmettert, Inönü selbst fand sich mit einem Veto belegt ebenso wie ein ehrwürdiger, bald hundertjähriger Ex-Adjutant Atatürks.
Anders als der resignierte Ecevit war der listenreiche Demirel von Anbeginn zu einem getarnten politischen Comeback entschlossen. Die Militärs hatten ihn, zusammen mit 15 weiteren Ex-Politikern der beiden großen Parteien, am 2. Juni in eine ausgediente, schwerbewachte Radaranlage in Canakkale an den Dardanellen verbannt.
Trotz aller Abschirmung wies Demirel seine Getreuen an, eine »Partei der Großen Türkei« anzumelden und ihr als Emblem eine eiserne Faust zu geben. Das war zu plump, denn Demirel bedeutet »Eisenhand«. Demirels nächster Versuch mit einer »Partei des rechten Weges« schlug ebenso fehl. Die Militärs beließen nur vier Gründungsmitglieder ohne Veto.
Nach Demirel und den Sozialdemokraten muckte Inönü gegen die Militärs auf. Er wird in Kürze vor Gericht gestellt, Kritik am Regime ist verboten.
Gefängnis riskierte auch der in Canackale internierte langjährige Außenminister Ihsan Sabri Caglayangil, als er einen Brief an Außenminister Hans-Dietrich Genscher schrieb (siehe Kasten). Caglayangil wartet bis heute auf eine Antwort. Ein Bonner FDP-Sprecher bestätigte zwar den Eingang, beantwortet werde das Schreiben auch wohl, man wisse nur noch nicht, »wann und wie«.