SERBIEN Eiserne Mahnmale
Nervös folgt Srecko Nikolic von der Kapitänsverwaltung Prahovo dem Donaulauf: Die »Csepel« ist angekündigt. Langsam nähert sich der träge Kahn, ein 250 Meter langer und 30 Meter breiter 6000-Tonner aus Ungarn, genau in der Mitte des Flusses. Plötzlich reißt der Kapitän das Steuer des Frachters hart nach links und tuckert die letzten Kilometer bis zum Staudamm Djerdap direkt unter dem serbischen Ufer entlang. Den Befehl zum Kurswechsel hat Srecko Nikolic per Sprechfunk erteilt.
Nicht nur der niedrige Wasserstand von derzeit 2,20 Meter oder die in der Tiefe schlummernden Nato-Minen aus der Zeit des Kosovo-Krieges zwingen die Schiffe hier zu waghalsigen Manövern. Es ist etwas anderes, das diese acht Kilometer zur gefährlichsten Strecke der gesamten Donau macht und den fluchenden Schiffseigentümern hohe Versicherungsaufschläge abfordert: die Überreste eines deutschen Marineverbands aus dem Zweiten Weltkrieg.
Seit nahezu 60 Jahren liegen die Wracks auf dem Donaugrund. Die Rümpfe der Schiffe haben sich in den Sand gebohrt, die Spitzen dagegen ragen bei niedrigem Pegel wie eiserne Mahnmale aus dem Fluss heraus. 120 bis 150 Kriegs- und Handelsschiffe wurden hier im September 1944 unter dem Oberkommando von Hitlers Konteradmiral Paul-Willy Zieb versenkt, um die Donau für die vorrückende Rote Armee zu blockieren - 80 davon allein auf diesen acht Kilometern.
Seither müssen Frachtschiffe wie Luxusdampfer zentimetergenau an dem Kriegserbe vorbeibugsieren. Bis zu Kilometer 860 liegen die Wracks direkt neben dem serbischen oder dem gegenüberliegenden rumänischen Ufer, danach in der Flussmitte - eine rasierklingenscharfe Hinterlassenschaft.
Was im Sommer des Jahres 1944 passierte, ist nur in wenigen Geschichtsbüchern nachzulesen. »Bei Prahovo versenkt«, heißt es lakonisch in einer Liste der Ersten Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft über das Schicksal solcher Schiffe wie »Braunkohle VIII«, »Salzach«, »Kainach« oder »Krieau«.
Der Serbe Vojislav Lapadatovic, 79, erinnert sich noch genau, was damals geschah. Am 28. August 1944, einem serbischen Feiertag, amüsierte er sich mit Freunden beim Kolo, einem Volkstanz, als gegen 22 Uhr unter lautem Kanonenfeuer die Donau plötzlich »schwarz von Schiffen« wurde.
Von den insgesamt 242 Einheiten, die Konteradmiral Zieb bei der Räumung der rumänischen Schwarzmeerhäfen versammelt hatte, waren 172 unversehrt bis an die jugoslawische Grenze im Dreiländereck zu Rumänien und Bulgarien gelangt. Nach einigen Tagen, so Lapadatovic, sei der Konvoi verschwunden, um 24 Stunden später erneut vor serbischem Ufer anzulegen. Ziebs Plan, mit der gesamten Flotte nach Belgrad zu den restlichen Wehrmachtstruppen durchzubrechen, war nur wenigen Schiffen geglückt.
Kein Wunder: Stalins Armee hatte sich bereits am Engpass des Eisernen Tores festgesetzt und kontrollierte von dort aus den Strom - gemeinsam mit den Rumänen, die kurz zuvor die Seiten gewechselt und sich den Sowjets angeschlossen hatten. Jugoslawien dagegen, auf der anderen Donauseite gelegen, stand im Nordosten noch immer unter deutscher Besatzung. »Auf selbst gebauten Rampen mussten wir für die Deutschen die Schiffskanonen an Land ziehen«, erinnert sich Lapadatovic. »Belohnt wurden wir dafür mit einem Teil der Fracht: mehreren Tonnen Feigen.«
Gepanzerte Waggons sollten später deutsche Zivilisten, Verletzte und militärische Ausrüstung nach Belgrad bringen. Doch der Plan endete in einer Katastrophe. Lapadatovic: »Wir sabotierten mit den Partisanen das Vorhaben. Der Zug entgleiste und stürzte in einen Kanal. Die Mehrzahl der Passagiere starb.«
In der Nacht vom 6. auf den 7. September schlief der Serbe im Heuschober, als gegen Mitternacht eine Serie von Explosionen das Dorf erschütterte: »Ich rannte die 150 Meter zum Donauufer. Die Deutschen versenkten ihre Flotte, darunter das riesige dreistöckige Krankenhausschiff für die Verletzten der Front.«
Der jugoslawische KP-Chef Josip Broz Tito stellte es nach dem Sieg den Russen frei, die Überreste ans Tageslicht zu holen. Doch Moskau hob gerade mal sieben der versenkten Kähne. Seither streiten sich Jugoslawien und Rumänien, deren Grenze in der Donaumitte verläuft, um die Finanzierung der Großaktion. Bukarests Versuch, einen Teil der Flotte zu bergen, endete vor rund 30 Jahren tragisch: Mehrere Menschen starben, als in den Wracks zurückgelassene Minen explodierten.
»Wir haben der Donaukommission einen Plan zur Beseitigung des Kriegsmülls vorgelegt«, sagt der Experte für Schiffsbergung und jugoslawische Ex-Oberst Mileta Marinkovic: »Doch die reagiert nicht.« Die Zurückhaltung hat ihren Grund: Niemand will die möglicherweise nötigen 400 Millionen Dollar lockermachen. Zuständig sei allein der jeweilige Anrainerstaat.
Srecko Nikolic aus Prahovo träumt indessen von einer Touristenattraktion: Ein Museum mit den Resten von Hitlers Schiffsverband wäre ein Clou für die verarmte Region. Nur das Schweigen Deutschlands versteht er nicht: »Als lägen dort unten, auf dem Grund der Donau, chinesische Dschunken herum.« RENATE FLOTTAU