USA Eiserner Herzog
Sie sind ein unbeugsamer Ideologe, der jeden Sinn für rationale Proportionen verloren hat«, zürnte der Senator. Erstmals, so fuhr Demokrat Donald Riegle fort, »haben wir einen Verteidigungsminister, dessen Urteil in Grundsatzfragen für unser Land gefährlich ist«.
Wie stets im dunklen Anzug, die Haare straff zurückgekämmt, den Mund zu einer schmalen Linie zusammengekniffen, ließ Caspar Willard Weinberger, 65, den Angriff über sich ergehen. Dann konterte der Pentagon-Chef: »Sie haben mit Ihrer demagogischen Attacke auf mich Ihr Ziel erreicht - rechtzeitig für die Ausgaben der Nachmittags- und Abendzeitungen.«
In der Tat - kein Reagan-Minister provoziert so viele Schlagzeilen wie Caspar Weinberger. Er ist, schrieb der Historiker Theodore White, ein Studienkollege Weinbergers von der Harvard-Universität, »Washingtons umstrittenste Figur« und »die größte Zielscheibe« ("The Washington Post") allemal.
Einflußreiche Kolumnisten wie Joseph Kraft sagten bereits voraus, der Minister werde alsbald mit einem anderen Ressort betraut. Der Stabschef des Weißen Hauses, James Baker, und Budget-Direktor David Stockman, so brachte White in Erfahrung, betrachten den Verteidigungs-Chef inzwischen als »schwere Belastung«.
Der »eiserne Herzog« ("Time") will von seinem Kreuzzug für die Aufrüstung der USA nicht ablassen und in einem Zeitraum von fünf Jahren nach wie vor 1600 Milliarden Dollar für die US-Streitkräfte ausgeben - trotz eines für 1983 erwarteten Haushaltsdefizits in Höhe von 189 Milliarden Dollar und trotz 11,4 Millionen Arbeitsloser.
Senatoren und Abgeordnete, republikanische wie demokratische, fordern in den Kongreßausschüssen, vor denen Weinberger dieser Tage sein 239 Milliarden Dollar hohes Verteidigungsbudget für 1984 zu rechtfertigen sucht, Kürzungen bis zu 30 Milliarden Dollar. Scheinbar unbewegt wiederholte dagegen der Verteidigungsminister: »Jeder weitere Einschnitt in das Budget gefährdet die Sicherheit unserer Nation.«
Sogar dem Führer der Republikaner im Senat, Howard Baker, verweigerte Weinberger eine Antwort auf die Frage, welche Einsparungen er sich vorstellen könne. »Einmalig«, resignierte Baker, »so etwas habe ich noch nie erlebt.«
»The amazing Caspar« ("Denver Post"), der erstaunliche Caspar, urteilt Theodore White, »ist ein von seiner Mission besessener Mann«, für den Admiral im Ruhestand und engagierten Abrüster Gene Larocque ist er »einer der wenigen wirklichen antikommunistischen Kalten Krieger Washingtons«.
Reagans Verteidigungsminister wähnt die Welt heute durch die Sowjet-Union bedroht wie vor 45 Jahren Europa durch die Armeen Hitlers. Er beruft sich auf Churchill, einen seiner Helden, der immer wieder vor deutschem Expansionismus gewarnt und »letztlich recht behalten« habe.
Der Pentagon-Minister sieht da »tödliche Parallelen« - wenn die Sowjet-Union für ihn das Hitler-Reich der Gegenwart ist, hält er sich selbst für den Churchill Amerikas. »Ich mache vielleicht einen etwas paranoiden Eindruck«, vertraute er seinem Freund White an, »aber niemand begreift das Ausmaß der Bedrohung.«
»Der absolute Hardliner in einer ohnehin reichlich harten Regierung« ("The Wall Street Journal") muß um sein Amt - vorerst - nicht fürchten. Er weiß sich einig mit Ronald Reagan, mit dem ihn »tiefes Vertrauen und Zuneigung« verbindet, bestätigt Michael Deaver, selbst ein Reagan-Intimus. Doch unbestritten sind Weinbergers Maximen im politischen Establishment Washingtons nicht mehr.
Seine Strategen hatten Pläne ausgearbeitet, wie Amerika einen begrenzten oder sogar totalen Atomkrieg überleben und auch noch gewinnen könne. Zwar versuchte der Pentagon-Minister zu beschwichtigen, indem er sagte: »Wir haben oft erklärt, daß wir nicht glauben, ein Atomkrieg sei zu gewinnen.« Zugleich aber schränkte er ein: »Wir planen mit Sicherheit nicht, einen zu verlieren.«
Abschreckung ist für Weinberger nach wie vor oberstes Gebot, und glaubhaft muß sie sein - der Gegner muß Gewißheit haben, daß ein nuklearer Erstschlag tatsächlich mit einem ihn immer noch vernichtend treffenden Zweitschlag beantwortet werde.
»Diese Politik ist nicht neu«, beschwört der Minister seine Strategie. Neu freilich sind die intensiven Planungen für einen atomaren Konflikt, die Härtung der Raketensilos - die Sicherung der Funkverbindungen, die auch nach einem Atomangriff funktionsbereit bleiben sollen. Neu sind umfassende Studien darüber, wie viele US-Bürger bei einem nuklearen Holocaust unmittelbar sterben oder unter Strahlenschäden dahinsiechen würden (80 bis 150 Millionen).
Neu waren schließlich Weinbergers erklärte Ziele, »die Schwächen des veralteten Sowjet-Empires« gezielt auszubeuten, und die Vorstellung, Moskau könne durch einen gigantischen Rüstungswettkampf gezwungen werden, den letzten Rubel in Waffen zu investieren. Ausgeblutet würde sich das russische Volk S.125 gegen seine Tyrannen erheben und das Sowjet-Reich »mit einem Winseln« zusammenbrechen.
In Reden, wie vor dem »Council on Foreign Affairs«, verketzerte Weinberger »die Ideologen der Detente«, die davon träumten, »durch freundliche Unterhaltung sowie Kultur- oder Warenaustausch die Sowjets zur Zurückhaltung überreden zu können«.
Kein Zweifel - die Mehrheit der Amerikaner war bereit zu rüsten, als Ronald Reagan die Macht übernahm. Die Schmach des Hinauswurfs aus Vietnam, das Debakel bei der versuchten Geisel-Befreiung in der iranischen Wüste hatten sie in ihrem Selbstbewußtsein getroffen.
Inzwischen aber hat die Rhetorik ihres Verteidigungsministers manchen Amerikaner das Fürchten gelehrt, wie der demokratische Senator Ernest Hollings beklagt: »Sie fürchten sich nicht mehr vor den Sowjets, sondern vor Weinberger.« Und: »Was Andropow sagt, glauben sie. Was Weinberger sagt, glauben sie nicht.«
Die Erfolge der »Freeze«-Bewegung im November letzten Jahres, die in acht von neun Bundesstaaten Mehrheiten für einen nuklearen Rüstungsstopp erreichte, die vernichtende Kritik der katholischen amerikanischen Bischöfe an der Atompolitik der Washingtoner Regierung haben amerikanische Politiker veranlaßt, Ronald Reagan und Caspar Weinberger zu wenigstens verbaler Mäßigung zu raten und den Verteidigungshaushalt weiter zu kürzen: Vor zwei Jahren noch waren 71 Prozent der US-Bürger für höhere Rüstungsausgaben, heute sind es nur noch 17 Prozent.
Weinberger jedoch blieb auch angesichts dieses Wandels stur: »Wir können mit der Etablierung unserer militärischen Stärke nicht warten. Das müssen wir jetzt durchsetzen, mit diesem Haushalt.«
Da lehnte ihm das Repräsentantenhaus jene 26 Milliarden Dollar für sein MX-Raketenprogramm ab: Im »dichten Bündel« (dense pack) sollten die MX in gehärteten Silos stationiert werden. Eine Expertenkommission erarbeitet derzeit den vom Parlament geforderten Alternativplan. Weinberger aber bleibt gegenüber der Kommission bewußt auf Distanz.
Reagan-Berater fürchten nämlich, die MX könnte einmal mehr durch den Pentagon-Chef kompromittiert werden: »Wir wollen nicht, daß die anstehende Abstimmung über die MX im Kongreß zu einem Mißtrauensvotum über den Verteidigungshaushalt oder Weinberger wird«, sagen sie.
Außenminister George Shultz, nicht der Verteidigungsminister, befasse sich intensiv mit den Abrüstungsverhandlungen in Genf, lassen Reagan-Berater nun besorgte Kongreßabgeordnete wissen, die erwarten, daß Weinberger einer Kompromißlösung bei den Mittelstreckenraketen-Verhandlungen Widerstand leisten wird.
Die Glaubwürdigkeit Caspar Weinbergers unter Senatoren und Abgeordneten, meint ein Volksvertreter des US-Bundesstaates Washington, sei »dramatisch gesunken«. Und: »So wie er sich uns gegenüber verhält, ist der Mann bereits ein Ärgernis.«
Senator Donald Riegle warf dem Reagan-Vertrauten im Haushaltsausschuß des Senats vor, letztlich vertrete er durch sein »fanatisches Beharren« auf Verteidigungsausgaben, »die höher sind als wir uns leisten können«, die Interessen Moskaus.
Riegle: »Diese perverse Realität ist ... die gefährlichste Ironie des Ganzen.«