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Elf Todesurteile

aus DER SPIEGEL 6/1947

Die Urteile im Ravensbrück-Prozeß, der seit Monaten in Hamburg gegen sechzehn Männer und Frauen der SS-Wachmannschaften und gegen ehemalige Funktionshäftlinge des Lagers lief, sind gesprochen worden. Elf Todesurteile wurden gefällt. Auch die Schweizerin Carmen Maria Mory und die Tschechin Vera Salvequart gehören zu den zum Tode Verurteilten. Die Mory legte Berufung ein.

Die Angeklagten wurden einzeln hereingeführt, um ihren Spruch zu hören. Einmal ging eine hörbare Bewegung durch den totenstillen Raum. An der Rampe stand der ehemalige Lagerarzt Dr. Percy Treite, dessen teilweise Entlastung selbst die Anklage zugestehen mußte. Das Urteil lauerte: Tod durch den Strang.

Die Menge, Deutsche wie Ausländer, atmet einmal ganz schnell und starrt gebannt und überrascht auf den aufrechtstehenden Arzt, dem man die innere Anspannung aller seiner Nerven nur dadurch anmerkt, daß eine leichte Röte sein Gesicht überzieht.

Wer ist dieser Dr. Percy Treite? Er war die umstrittenste Person in dem ganzen Prozeß. Vieles wurde ihm vorgeworfen: Er sei anwesend gewesen bei Exekutionen, bei einer der berüchtigten Gaskammerauswahlen, er habe Kinder sterilisiert, die noch nicht vierzehn Jahre alt waren, und anderes mehr.

Was sagte er selbst zu seiner Verteidigung? Daß ei weder bei den Exekutionen noch bei der Gaskammerauswahl aus freiem Willen teilnahm. Daß eine Verkettung widriger Umstände ihn ohne sein Wissen schuldig werden ließ. Daß er nicht gewußt hätte, was eigentlich im Lager gespielt worden sei.

Seine Entlastungszeuginnen bestätigten seine eigenen Aussagen, soweit sie davon Kenntnis haben konnten. Selbst die Zeuginnen der Anklage gaben im Kreuzverhör alle zu, daß sich die Zustände im Lagerhospital nach dem Erscheinen Dr. Percy Treites sichtbar gebessert hätten. Er sei der einzige der Angeklagten in diesem Prozeß gewesen, dem niemals ein brutales Benehmen den Lagerinsassinnen und seinen Patientinnen gegenüber vorgeworfen werden könnte.

Dr. Percy Treite war nicht nur ein guter Arzt und Gynäkologe, sondern hatte auch

als Wissenschaftler einen Ruf, der über die Grenzen Deutschlands hinausging, Bücher, in denen er über seine Studien und Forschungen schrieb, sind in vielen ausländischen Universitätsbibliotheken zu finden. Nach Beendigung seiner Studienzeit wirkte er am Hospital der Heilsarmee in Berlin. Sein Großvater war Engländer und begründete die Heilsarmee in Deutschland.

Dr. Percy Treite ist Witwer. Seine Frau, die er anfangs der Krieges heiratete, kam während der letzten Nachwehen des Krieges in Berlin ums Leben. »Warum ich in die SS ging? Wir jungen Studenten mußten alle in irgendeine der Parteiorganisationen. Das SS-Sanitätskorps erschien mir damals am wenigsten politisch gebunden. Ich dachte an das rein Menschliche in unserm Beruf.«

»Dr. Treite«, sagte der Rechtsbeisitzer in seinem Schlußplädoyer, »war mit seinem ganzen Verhalten im Lager eine Sondererscheinung. Er hatte gegen eine starke Strömung des Lagerstabes zu schwimmen. Aber seine Kraft war nicht stark genug, und so wurde er zuletzt selbst ein Teil dieser Strömung.«

Zu schwach, gegen den Strom zu schwimmen SS-Arzt Percy Treite hört sein Urteil

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