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ELVIS PRESLEY †

aus DER SPIEGEL 35/1977

Er ließ seine weitgespreizten Beine schlottern und zuckte kaum merklich mit dem rechten Knie. Es war eine Art Mischung von rasantem Schlurfen und Charleston-Geschlenker. Er grinste höhnisch, senkte seine Augenlider, lächelte aus dem linken Mundwinkel und zuckte mit den Hüften. So etwas hatte das amerikanische Fernsehpublikum noch nie gesehen; und Elvis bot es ... im Fernsehen ... von Küste zu Küste.«

In dieser (vom Elvis-Presley-Biographen Jerry Hopkins so anschaulich beschriebenen) »Tommy and Jimmy Dorsey Stage Show« am 28. Januar 1956 fand Amerika musikalisch ganz zu sich selbst. Elvis Superstar betrat die nationale Bühne, ein Archetyp der alten New-Frontier-Mentalität - ungebärdig, unverbildet, rücksichtslos gegenüber Widerständen und Konventionen, motiviert allein von Erfolgswillen und der Bereitschaft zur totalen Vermarktung seines Talents.

Mit ihm kam der Rock 'n' Roll: im Lande und dessen volkstümlicher Musiziertradition verwurzelt wie keine Massenmusik davor, amerikanisch wie Kaugummi und Jeans, Comics und Cola. Nicht Louis Armstrongs »Heebie Jeebies«, auch nicht Benny Goodmans »Goody Goody« haben die tiefgreifendste musikalische Revolution dieses Jahrhunderts ausgelöst und Amerika einen weltweit wirksamen Klangmythos gegeben, sondern Elvis Presley in jener historischen TV-Nacht mit dem durchschlagend hingerockten »Heartbreak Hotel«.

Denn zum American Way of Life gehörte ja vor allem der Vorsatz zum Superlativ: gigantische Dimensionen, gewaltige Wirkungen, riesige Märkte. Elvis und sein kalt kalkulierender Manager »Colonel« Tom Parker bedienten sich dazu aller Kommerz- und Kommunikationstricks; sie setzten dabei für die Vermarktung von Musik ganz neue Maßstäbe. Zum Kreischen verzückter Teenager ließ sich Elvis, »The Pelvis«, im goldenen Cadillac mit Perlmuttdach auf die Konzertbühne chauffieren und erklärte auf einem Plattencover: »50 Millionen Elvis -Fans können nicht irren.«

Und dann geschah das Wunder: Der Entertainer, der die Teenager-Generation eben noch zur Rebellion gegen Eltern und Vorgesetzte animiert hatte, den die Erwachsenenpresse wütend als »Alptraum schlechten Geschmacks« ("Look") diffamierte, überwand und umarmte Amerika und die Welt. Seine TV-Show »Aloha from Hawaii« wurde 1973 über Satellit weltweit übertragen und von etwa einer Milliarde Menschen »live« gesehen.

Kein Interpret neben ihm hat - auf mehr als 300 Millionen Schallplatten und in 33 Spielfilmen - Amerikas Musik und unsere Vorstellung davon so nachdrücklich geprägt. Mit harten Gitarrenakkorden, robustem Hüftschwung und kehligem Sexgesang hatte Elvis Presley die Barrieren zwischen schwarzer und weißer Unterhaltungsmusik eingerissen und die für Außenseiter vom Land und aus dem Getto zuvor verschlossenen Türen des Musikgeschäfts eingedrückt. Weder die Beatles noch die Stones wären ohne ihn denkbar.

Als erster in diesem Ausmaß schaffte der einstige Lastwagenfahrer aus Tennessee durch originär-amerikanische Klänge wie Blues und Gospel mit dem Pop-Publikum in allen Ländern einen beinahe magischen Konsens. Er als einziger konnte im gleichen Konzert, für Großeltern und Enkel, mit der gleichen Überzeugungskraft fetzenden Rock 'n' Roll, rauhen Blues, Broadway-Schmalz, Kirchenlieder und vaterländische Hymnen singen.

Daß er sich nichts Neues mehr einfallen zu lassen brauchte, weil er sämtliche Americana längst im Repertoire hatte und seine Platten sich auch so verkauften, hatte ihn allerdings schon zu Lebzeiten von der Rock-Front auf einen Denkmalsockel entrückt. Nur ein Mann, der zum Bestehenden nein sagen könne, hat Herman Melville einmal sinngemäß geschrieben, sei wirklich frei - frei auch für Neuerungen in der

Musik. Presley indes sagte am Ende fortwährend yes.

Als Junge, so bekundete er vor seinem Tod in Memphis am vergangenen Dienstag, habe er sich als Helden in Comics und Hollywood-Filmen gesehen: »Ich wuchs auf im Glauben an diesen Traum. Nun habe ich ihn erlebt. Mehr kann sich ein Mensch nicht wünschen.«

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