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POLIZEI Empfindliche Stellen

Wegen »Geheimnisbruchs« sind in Niedersachsen zwei Polizisten angeklagt, die in einem Tagebuch Kritik am Polizeieinsatz in Gorleben übten.
aus DER SPIEGEL 27/1981

Sie kamen im Morgengrauen und in Scharen. Mit Schäferhunden und Panzerwagen, zu Pferd und in Hubschraubern zogen Polizei und Grenzschutz einen Kordon um die Flurstücke 30 und 31 nahe dem niedersächsischen Trebel; im Troß Bulldozer und Planierraupen.

Die Staatsgewalt, »etwa 3500 Beamte vor Ort plus Reserve an anderer Stelle«, teilte Niedersachsens Innenminister Egbert Möcklinghoff mit, war am 4. Juni 1980 ausgerückt, um die »Republik Freies Wendland« zu räumen -- ein »Dorf« aus Holzhütten, das Kernkraftgegner auf einer Lichtung errichtet hatten. Die Wendländer Gartenlauben sollten die »Bohrung 1004« verhindern, durch die der Salzstock von Gorleben auf seine Tauglichkeit als Endlager von Atommüll getestet werden sollte.

Kaum war geräumt -- teils freiwillig, teils aber auch unter Schlagstock-Einwirkung --, lobte Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht die Beamten; sie hätten »unserem Staat einen großen Dienst erwiesen«. Egbert Möcklinghoff meinte sogar, die Staatsaktion habe »einigen verwirrten jungen Menschen« zu »gesetzlich fundiertem Rechtsbewußtsein verholfen«.

Die Bewußtseinserweiterung traf wohl eher für zwei Polizisten zu, die selber am Tatort gewesen waren. Sie vertrauten ihre Skrupel einem Tagebuch an, das von der linken »Tageszeitung« ("taz") einige Wochen später an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

»Wir wissen, daß wir Polizisten geworden sind«, hatten die Ordnungshüter niedergeschrieben, »um den Bürger zu schützen und Gefahren abzuwehren.« Doch hier, überdachten sie ihre neue Rolle, würden die »Gefahrenstellen entstehen«, durch die Atomenergie, »und wir sollen da mithelfen«.

Die offizielle Lesart ihres Vorgesetzten Möcklinghoff, wonach Atomkraftgegner schlicht »harmlos Irrende und utopische Träumer« seien, wollten die Polizisten so pauschal nicht gelten lassen. »Es sind Menschen«, schrieben sie in ihr Tagebuch, die sich »mit den Gefahren und Problemen der Kernkraft weit mehr auseinandergesetzt haben als eine Vielzahl von wahlberechtigten Bundesbürgern«.

Die Wendland-Siedler verstießen zwar gegen Rechtsvorschriften, räumte die besinnliche Schrift ein, doch sei der Verstoß nur »geringfügiger Natur«.

Verwerflicher schien ihnen, wie es die eigenen Kollegen trieben -- daß sich »die Kripo« bei einem »Feldgottesdienst« in Wendland unter die »Gläubigen gemischt« hat; sie »steht unter dem Altar und lauscht unerkannt«. Auch einige Beamte der Schutzpolizei seien dagewesen, wurde unter »Pfingsten« vermerkt -- »aber die wollen sich sicherlich informieren«.

Mal stand im Tagebuch Kritik an Anordnungen der Polizeiführung, mal nur Naturbeschreibung, einfach alles, was so »in Freizeit« und »schlaffen Stunden im Dienst« anfiel, wie es im Vorwort heißt.

Bei dieser einmaligen »Preisgabe von Dienstgeheimnissen«, wie die Polizeiführung den Vorgang später einstufte, blieb es allerdings nicht. Schon Anfang August wurde der Kriminalpolizei in Lüchow »vertraulich bekannt« (Polizeivermerk), daß noch mehr nach draußen gesickert war.

Die »Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg« war in den Besitz eines Tonbandes gekommen, auf dem die Nachbesprechung der Polizei über den Gorleben-Einsatz live festgehalten worden war.

Das Dokument belegte, wieviel Kopfzerbrechen es der Polizei bereitet hatte, ihren Einsatz in Gorleben gesetzlich zu begründen. Und wiederum waren es zwei Polizisten, die vor einem Notar die »uthentizität des Tonbandes bezeugten. Wie kommen wir da nun » » rechtlich ran? Begehen die denn eigentlich Straftaten? Wäre » » es Hausfriedensbruch? Fläche, keine Umzäunung, keine » » Befriedung, paßte also auch nicht. Nötigung, nötigen die denn » » da nicht, wenn sie was fordern? ... Da haben wir gesagt: Wenn » » keiner hinfährt und den Bau beginnt ... dann ist die Nötigung » » als Tatbestand nicht verwirklicht ... Straftat also und damit » » unmittelbares Handeln, die Polizei verhindert dort » » Straftaten, kam nicht in Betracht. »

Das Band enthüllte zudem, daß die Einsatz-Parole, die Besetzer würden die Ordnungshüter womöglich mit scharfen Waffen unter Beschuß nehmen, allenfalls als psychologische Aufmunterung zum Durchgreifen gedacht war. Denn für so Alarmierendes, gab der Einsatzleiter zu, »haben wir auch bei intensivem Nachfragen auf der eigenen Polizeischiene keine Bestätigung erhalten«.

Auch das Ton-Dokument wurde später veröffentlicht. Und das Innenministerium tat, was es, wie ein Sprecher einräumt, »in solchen Fällen immer tut": »Wir gehen in die Offensive.«

Kaum war die Strafanzeige wegen Geheimnisbruchs gestellt, machte die Polizei gegen die Polizei mobil.

Der Kommandeur der Schutzpolizei bei der Bezirksregierung in Lüneburg befahl seine Untergebenen zum schriftlichen Rapport. »Kritik an eigenen Maßnahmen« sei zwar »grundsätzlich zulässig und auch erwünscht«, jedoch S.53 mit Maßen; sonst stünde die »Sicherheit der Kameraden« auf dem Spiel.

Gleich ob in Soltau-Fallingbostel oder Schneverdingen, Celle oder Munster, überall mußten Wachtmeister und Hauptwachtmeister, die an der »Nachbereitungsveranstaltung« am 1. Juli 1980 in der Landesfeuerwehrschule Celle teilgenommen hatten, einen Fragebogen für die innerbetriebliche Rasterfahndung ausfüllen.

Als »dienstliche Äußerung« war zu beantworten: »In welchen Bereichen des Veranstaltungsraumes haben Sie gesessen?«, und zwar »vor und nach der Pause«. Der Platz war »in beiliegenden Bestuhlungsplan« einzutragen.

472 Beamte hatten zu grübeln, wer »rechts und links von Ihnen«, beziehungsweise »vor Ihnen« saß, ob sie oder andere »ein Gepäckstück mit in den Raum gebracht« hatten. Auf besonders verdächtige Schutzmänner setzte die Polizeiführung Zivilfahnder an, manchmal gleich sieben Mann, die ihre Kollegen auf Schritt und Tritt zu observieren hatten.

Im September war es dann soweit. Auf einem Polizeilehrgang im Deister über »Gefahrgut und Umweltschutz« griffen sich Ermittlungsbeamte den Polizeihauptmeister Jürgen Lentzsch, 40, aus Celle und baten zum Verhör.

Gleichzeitig durchsuchten Kripobeamte die Wohnung des Polizisten und beschlagnahmten, was ihnen subversiv erschien -- beispielsweise ein Buch des einstigen Atommanagers Klaus Traube oder eine Sammlung von SPIEGEL-Artikeln. Das Tagebuch allerdings fanden die Fahnder nicht. Lentzsch, seit über zwanzig Jahren bei der Polizei, machte aber keinen Hehl daraus, daß der »taz«-Text wortwörtlich mit seinen Aufzeichnungen übereinstimmte, die er »zusammen mit einem Kollegen« erstellt habe.

Auf welchen Wegen die privaten Auslassungen über seinen Gorleben-Einsatz nun in das linke Alternativ-Blatt gelangt waren, dafür allerdings hatte auch Schutzmann Lentzsch keine rechte Erklärung parat. »Vielleicht«, sinnierte der Beamte, »habe ich sie irgendwo verloren.« Mit dem Tonband von der Nachbesprechung habe er allerdings »rein gar nichts« zu schaffen.

Doch auch das Teilgeständnis bremste die einmal angelaufene Polizeiermittlung nicht. Bei Freunden, Bekannten und auch bei völlig Fremden forschten Kripobeamte nach der Gesinnung des Hauptmeisters, dessen »dienstliche Führung« von den Vorgesetzten bislang mit dem Prädikat »sehr gut« versehen worden war. Und sie wurden fündig. Er habe, gab ein Kollege zu Protokoll, durchaus den Eindruck, daß Lentzsch den Argumenten und Zielen der Gorleben-Besetzer keineswegs »ablehnend« gegenüberstehe. Lentzsch habe einmal in einer internen Sitzung die Bemerkung fallenlassen, die Kernkraftgegner hätten auf dem Platz ordentlich was auf die Beine gestellt.

Ähnlich ging es Polizeimeister Werner Schulze, 23, gleichfalls aus Celle und mit Lentzsch befreundet. Er war am selben Tage festgenommen und wegen »Verdunklungsgefahr« sogar in Haft gesteckt worden. Grund: Schulze habe auf der polizeilichen Nachbesprechung »das nicht-öffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufgenommen ... und ein Geheimnis unbefugt offenbart« -- was er entschieden bestreitet.

Zwar wurde Schulze eine Woche später wieder auf freien Fuß gesetzt, sofort aber vom Dienst suspendiert, erst mal mit halbem Gehalt.

Auch Jürgen Lentzsch untersagte die Polizei »die Führung der Dienstgeschäfte«, da »die Grenzen sachlicher Kritik« mit der Tagebuchaufzeichnung bei weitem überschritten worden seien.

Durch derart negative Betrachtung, monierte die Polizeiführung vor dem Verwaltungsgericht, das im Dezember erst einmal über Disziplinarmaßnahmen wie die einstweilige Dienstenthebung zu befinden hatte, sei nicht wiedergutzumachender Schaden angerichtet worden.

»Das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit amtlicher und anderer Stellen« habe »nicht nur im unmittelbaren Dienstbereich« von Lentzsch, sondern »auch im ganzen Land Niedersachsen« und sogar »darüber hinaus empfindlich gelitten«.

Die Richter sahen das ganz anders: »Für Zweifel an seiner Zuverlässigkeit im normalen Polizeidienst«, hieß es in der Urteilsbegründung, ergebe sich »kein Anhaltspunkt«. Eine »Annahme der Unzuverlässigkeit« beziehe sich nur auf Sondereinsätze, die »in der Öffentlichkeit umstritten« seien und bei »denen die Gewissensfrage gestellt« werde.

Dem niedersächsischen Innenminister geht es freilich um mehr Grundsätzliches. Die Anklage gegen die beiden Polizeibeamten soll deswegen in den nächsten Wochen gleich vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg verhandelt werden, anstatt wie üblich vor dem Amtsgericht: Handelt es sich doch um mehrfachen »Geheimnisbruch«, der »das Vertrauen in den Zusammenhalt der Sicherheitskräfte« erschüttert habe.

Sollte das Innenministerium damit abblitzen, hat es noch immer eine Möglichkeit, kritische Polizeibeamte zur Räson zu bringen.

Schon im Februar fragte die zuständige Disziplinarkammer beim Ministerium an, »ob -- verneinendenfalls, warum nicht« Schulze nicht kurzerhand »durch einen Dienst auf einer Nordseeinsel« unter »erhöhter Dienstaufsicht« isoliert werden könnte.

S.52

Wie kommen wir da nun rechtlich ran? Begehen die denn eigentlich

Straftaten? Wäre es Hausfriedensbruch? Fläche, keine Umzäunung,

keine Befriedung, paßte also auch nicht. Nötigung, nötigen die denn

da nicht, wenn sie was fordern? ... Da haben wir gesagt: Wenn keiner

hinfährt und den Bau beginnt ... dann ist die Nötigung als

Tatbestand nicht verwirklicht ... Straftat also und damit

unmittelbares Handeln, die Polizei verhindert dort Straftaten, kam

nicht in Betracht.

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