GRASHEY-AFFÄRE Empfindlicher Körper
Wer sich überfordert fühlt, soll rechtzeitig Konsequenzen ziehen.
Generalmajor Hellmut Grashey in der Führungsakademie der Bundeswehr.
Obwohl er Konsequenzen nicht rechtzeitig zog, braucht er sie auch nachträglich nicht zu fürchten: Am Donnerstagabend letzter Woche ließ es der Bonner Verteidigungsausschuß in der Affäre des stellvertretenden Heeresinspekteurs Generalmajor Heilmut Grashey (SPIEGEL 15, 16/1969) bei einer milden Rüge bewenden. Gegen zwei Stimmen und bei vier Enthaltungen unzufriedener Sozialdemokraten »bedauerte der Verteidigungsausschuß einige von General Grashey gemachte Ausführungen, aber auch die unvollständige Berichterstattung zu diesen Äußerungen«.
Zu schärferer Kritik an dem General mochten sich die Mitglieder des in der Regel 31 Abgeordnete starken Ausschusses fünf Monate vor der Bundestagswahl nicht verstehen. Furcht vor dem Verlust von Soldatenstimmen an die rechte NPD nötigte vor allem die SPD zur Nachsicht gegen Grashey.
Noch am Donnerstagnachmittag hatten die SPD-Mitglieder des Ausschusses den Kopf des Generals gefordert -- wenngleich in verklausulierter Form.
In einem sozialdemokratischen Entschließungsentwurf hieß es nach ausführlichem Lob für ein Bekenntnis des Generalinspekteurs Ulrich de Maizière zu den Grundsätzen der Inneren Führung:
»Die Ausführungen von. General Grashey sind mit diesen Auffassungen nicht in Übereinstimmung zu bringen. Sie verunsichern die Truppe und belasten sowohl ihre innere Situation als auch das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Öffentlichkeit.«
Zu solcher Bewertung waren die SPD-Wehrexperten Karl-Wilhelm Berkhan und Karl Wienand durch eine Tonband-Aufzeichnung aus der Hamburger Führungsakademie veranlaßt worden, die Verteidigungsminister Gerhard Schröder am Donnerstagmorgen dem Ausschuß hatte vorspielen lassen. Die Vorlage des ausgeschriebenen Protokolls, das in mehreren Exemplaren im Verteidigungsministerium vorhanden ist, war von Schröder mit der Bemerkung abgelehnt worden, selbst einem Untersuchungsausschuß werde er die Rede nicht zu Protokoll geben: Ein solches Verfahren müsse jede freie Diskussion in der Bundeswehr unmöglich machen. Auch das Tonband habe er nur mit großen Bedenken zum Abspielen vor dem Ausschuß freigegeben.
Fern davon, sich diese Behandlung durch den Minister zu verbitten, lauschten die Volksvertreter im Ausschuß 65 Minuten lang der Grashey-Rede vom Band. Schröders Bedenken wurden den Parlamentariern dabei zumindest teilweise verständlich. Den CDU-Wehrobmann Josef Rommerskirchen störte am stellvertretenden Dienstvorgesetzten von 274 700 deutschen Heeressoldaten vor allem »das schreckliche Niveau« und »die Hybris des Generalstäblers«.
Allein etwa vierzig Minuten lang hielt der 54jährige Generalmajor, der nach dem Urteil von Vorgesetzten »total überarbeitet« war und »einen schlechten Tag« hatte, eine Laudatio auf den deutschen Generalstabsoffizier, obschon er selber während des Krieges nur auf einem Dreimonats-
* In Regensburg.
kurs -- per »Schnellbleiche« -- zum Generalstäbler avanciert war.
Trotz vorübergehender Abwertung im eigenen Land, so meinte Grashey vor den Kameraden, dürfe man die Hoffnung nicht aufgeben, daß der Wert des Generalstabes als »Motor des Heeres« eines Tagen wieder voll erkannt werde.
Der Weg zur Bundeswehr-Elite wird nach Grashey durch ein zuverlässiges Ausleseprinzip geebnet: Ausgewählt würden nur die richtigen Bewerber. Dennoch, so der General weiter, könnten hin und wieder geeignete Offiziere übersehen werden. Deshalb müsse zukünftig ein Teil der hohen Planstellen in der Bundeswehr für aufsteigende Truppenoffiziere reserviert bleiben.
Neben einem »Quentchen Charisma« verlangte Grashey von einem guten Generalstäbler auch Genie: Bei Helmuth Graf von Moltke, Generalstabschef der Bismarck-Ära, sah er es in der Arbeit, bei dem Reichswehr-Chef General Hans von Seeckt im Charakter.
Um so mehr schmerzt es den General, daß in der Bundeswehr die Soldaten nicht einmal die Personalführung selbst machen dürfen. Die Generäle stünden vielmehr unter der Vormundschaft der Juristen. Die Bundeswehrverwaltung ist in Grasheys Augen eine »Heilige Kuh« und recht verstandene Innere Führung ein alter Hut. Schon in der großdeutschen Wehrmacht habe es sie gegeben.
Die Institution des Wehrbeauftragten charakterisierte Grashey als Konzession an die SPD, die angepaßt sei »dem Geist des milden Windes der gewaltlosen Gesellschaft«. Derzeit überlegt der Verteidigungsminister, ob er Grashey wegen dieser Äußerung um einen Entschuldigungsbrief an SPD-Chef Brandt bitten soll.
Auch vor seinen obersten Befehlshabern machte der Kritiker in Hamburg nicht halt: Er habe bisher drei Verteidigungsminister erlebt, von denen keiner bei den Etatberatungen das Letzte für die Truppe herausgeholt habe. Alle hätten sich vielmehr mit dem Bundestag auf den jeweils kleinsten Nenner geeinigt.
Obwohl damit selber attackiert, warnte Schröder die Abgeordneten davor, die Ablösung des Generals zu fordern: »Ein General hat genauso Anspruch, nach den Prinzipien der Inneren Führung behandelt zu werden, wie ein Gefreiter.« Außerdem sei die Bundeswehr ein »empfindlicher Körper«, den man behutsam behandeln müsse. Die Sozialdemokraten verstanden den Wink und stellten ihr Interesse an rund 250 000 Soldaten-Stimmen höher als den Ärger um einen General.
SPD-Taktiker Berkhan erkannte: »Es hat keinen Sinn, durch harte Äußerungen eine Solidarisierung mit Grashey zu erzeugen.« Schon jetzt ziehe die NPD in Grasheys altem Divisionsbezirk Regensburg mit der Wahlkampf-Frage über Land: »Will man Grashey einen Maulkorb umbinden?«