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KERNENERGIE Ende des Traumes

Die Bundesregierung setzt wieder energisch auf die Kernenergie - wie sich im Streit um Brokdorf zeigt.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Sie wollten Frieden stiften, doch am Ende war der Streit heftiger als zuvor.

Als sich der Bundeskanzler am Montag vergangener Woche in der Bonner SPD-Zentrale von seinen norddeutschen Spitzengenossen Hans-Ulrich Klose und Klaus Matthiesen verabschiedete, hatte der regionale Konflikt um das geplante Kernkraftwerk im schleswig-holsteinischen Brokdorf endgültig bundesweite Dimension angenommen. Das Bauvorhaben für den 1300-Megawatt-Atommeiler ist zudem für den sozialdemokratischen Regierungschef zum Test für seine Glaubwürdigkeit geworden.

Im Dezember 1979 hatte Helmut Schmidt die Fronde der Atomgegner in der SPD nur mit einer Rücktrittsdrohung hinhalten können. Um eine Spaltung zu vermeiden, mußte er jedoch seinen norddeutschen Freunden und der starken Minderheit um den badenwürttembergischen Landesvorsitzenden Erhard Eppler einen Doppelbeschluß zugestehen: Einerseits solle der Atomstrom jenen Rest des Bedarfs decken, der durch andere Energiequellen nicht aufgebracht werden kann. Andererseits mußte Parteivize Schmidt zusagen, sich darüber hinaus nicht in dieser Großtechnologie zu engagieren.

Auf diese Option beriefen sich im Erich-Ollenhauer-Haus der Hamburger Bürgermeister Klose und der schleswigholsteinische Oppositionschef Matthiesen -- vergeblich. Schmidt ließ sich nicht von dem Plan abbringen, bei einem Ausstieg der Hansestadt aus dem Brokdorf-Projekt mit einem halbstaatlichen Unternehmen einzuspringen und damit den Bau zu sichern. Schmidt, so ihre bittere Erkenntnis, macht lieber mit CDU-Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg gemeinsame Sache, als auf den Atommeiler an der Unterelbe zu verzichten.

Nach dem Berliner Kompromiß schien eigentlich der forsche Marsch in den Atomstaat gestoppt; der Harrisburg-Schock vom März 1979 wirkte allerorten nach. Doch rigorose Preiserhöhungen der Opec-Länder, die mögliche Bedrohung der Golfregion nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan, die radikale Politik Persiens und der iranisch-irakische Krieg sind Ursachen eines Klimawechsels: Die Sorge ums Öl verdrängt die Furcht vor dem Atom.

SPD-Kanzler Schmidt will denn auch gemeinsam mit FDP-Umweltminister Gerhart Baum das aufwendige Genehmigungsverfahren für neue Atomfabriken erleichtern.

Hessens Ministerpräsident Holger Börner und sein liberaler Kompagnon, Herbert Karry, möchten noch in diesem Jahr dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk (RWE) den Bau eines neuen 1232-MW-Blocks in Biblis erlauben. Börner: »Es gibt keinen Ausweg. Wir brauchen Kernenergie.«

Um der notleidenden nord- und osthessischen Region zusätzliche 1600 Arbeitsplätze zu schaffen, reißen sich die beiden Atompromotoren sogar um die Zwei-Milliarden-Investition für eine Wiederaufbereitungsanlage, die in der Nähe von Volkmarsen entstehen soll. »Wenn in Deutschland so was gebaut werden wird«, tönte Börner, »will ich die Anlage in Hessen haben.«

Gemeinsam mit dem neuen Bonner Forschungsminister Andreas von Bülow und Innenminister Baum wollen die Hessen jetzt sogar den Plan der Elektrizitätswirtschaft unterstützen, die Anlage gleich auf mindestens 350 Tonnen Jahreskapazität auszulegen. Bülow kündigte in der vorigen Woche an, die Bonner würden ihr politisch bedingtes Zögern nun aufgeben: »Wir sind dabei, mit breitem politischen Konsens den Attentismus zu überwinden.«

Bei soviel Stimmungswandel half es dem schleswig-holsteinischen Oppositionsführer Matthiesen am vorigen Montag nichts, Aug' in Aug' mit dem Kanzler seinen Rücktritt anzukündigen, falls Brokdorf mit Unterstützung des Bundes gebaut werde.

Es nützte auch nichts, daß der Vorsitzende der Energiekommission beim SPD-Parteivorstand, Horst Ehmke, den Kanzler vorgewarnt hatte. »Sowohl aus der Beschlußlage der Partei als auch unter Gesichtspunkten der regionalen Energieversorgung«, schrieb Ehmke, bestünden »erhebliche Bedenken« gegen Brokdorf.

Kanzler Schmidt und Finanzminister Hans Matthöfer beschieden Matthiesen und Klose in der SPD-Zentrale klar, sie würden es hinnehmen, wenn Unternehmen, die zum größten Teil dem Bund gehören, Stoltenbergs Atompläne anstelle der Hamburger unterstützen würden. Matthöfer argumentierte formal korrekt, schon aus aktienrechtlichen Gründen sei es nicht möglich, tätig zu werden.

Wenig später, am Rande einer Vorstandssitzung der SPD, räumte er jedoch ein, die Bundesregierung könne, wenn sie wollte, die Firmenpolitik durchaus beeinflussen. »Aber«, so Matthöfer, »sie will nicht können, weil das ja die Anerkennung der energiepolitischen Linie der norddeutschen Sozialdemokraten wäre.«

Im Bundestag legte FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff noch zu: Bonn werde der zur Hälfte dem Bund gehörenden Veba sogar »politische Ermunterung« geben, Stoltenberg beim Bau von Brokdorf zu helfen.

Forschungsminister von Bülow denkt schon weiter. Er hält die Parteitagsoption, aus der Kernenergie auch aussteigen zu können, nicht mehr für realistisch, denn »die Diskussion über unser Leistungsbilanzdefizit wird ohnehin den Traum von der Industriegesellschaft ohne Kernenergie beenden«.

Und Hessens Börner weiß: »Über Kernkraft wird am Ende des Jahres nicht mehr gestritten, wenn das Benzin vielleicht zwei Mark kostet und die Arbeitslosigkeit noch gehörig steigt.«

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