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ENDETE DIE HIMMELFAHRT NACH DREI METERN?

aus DER SPIEGEL 45/1966

Im evangelischen Kreuz-Verlag, Stuttgart, erscheint demnächst eine erweiterte Fassung der Im Frühjahr 1966 veröffentlichten SPIEGEL-Serie »Jesus und die Kirchen« (224 Seiten; 10,80 Mark). Das Buch enthält außerdem vier Gespräche des Autors - des SPIEGEL-Redakteurs Werner Harenberg - mit den Professoren Rudolf Bultmann (Universität Marburg), Hans Conzelmann (Universität Göttingen), Walter Künneth (Universität Erlangen) und dem Evangelisten Pfarrer Dr. Gerhard Bergmann (Halver). Dem Gespräch mit Bergmann sind die folgenden Auszüge entnommen:

H.: Wie unterschied sich das Wissen Jesu von dem Wissen anderer Menschen damals?

BERGMANN: Es heißt von Jesus: »Denn er wußte, was im Menschen war.« Das läßt erkennen, daß Jesus Christus nicht mit den Maßstäben des Nur-Menschseins gemessen werden kann.

H.: Teilte Jesus mit den Menschen seiner Zeit das Weltbild, das wir heute für überholt, für falsch halten? Bestand für ihn wie für seine Zeitgenossen die Erde aus einer Scheibe, die Welt aus den Stockwerken Hölle, Erde und Himmel?

BERGMANN: Jesus hat sich in dieser Beziehung wenig geäußert. Es ging ihm nicht um irgendwelche Weltbildfragen, sondern er ist gekommen, um die Sünder selig zu machen. Das hat mit einem Weltbild nichts zu tun ..

H.: Die Menschen damals wußten nicht, daß sich die Erde um die Sonne dreht. Wußte es Jesus?

BERGMANN: Er hat sich darüber nicht geäußert.

H.: Jesus habe es nicht gewußt und sich wie alle Menschen seiner Zeit in diesem Punkte »geirrt« - dürfte das ein Theologe sagen?

BERGMANN: Das müßte er dann aus der Heiligen Schrift belegen können, und das kann er nicht.

H.: Diese Frage müßte offen bleiben?

BERGMANN: Ja, das würde ich meinen. Aber ich würde auch meinen, daß die Weltbildfrage nicht gravierend ist, sondern die soteriologische Frage ist entscheidend*.

H.: Daß Gott allwissend ist, steht doch für jeden Christen außer Zweifel?

BERGMANN: Jawohl. Ob allerdings für Theologieprofessor Herbert Braun an der Universität Mainz Gott allwissend ist, muß ich bezweifeln, denn für Braun existiert Gott als Person ja gar nicht.

H.: Und wir Menschen sind nicht allwissend, daran ist für Christen wie für Nichtchristen kein Zweifel möglich?

BERGMANN: Nein.

H.: Und Jesus ist, wenn ich Sie recht verstanden habe; weder nur ein Mensch wie andere Menschen noch lediglich ein auf Erden wandelnder Gott gewesen.

BERGMANN: So ist es.

H.: Welche Zwischenstufe seines Wissens haben wir dann anzunehmen, wenn er nicht so allwissend war wie Gott und nicht so unwissend wie wir Menschen?

BERGMANN: Das können wir nicht sagen. Heute möchte man Jesus Christus immer ins Menschliche hineinziehen. Und gerade deshalb haben wir, die wir zu Schrift und Bekenntnis stehen, die andere Aufgabe: Jesus Christus in seiner Andersartigkeit und in seiner Präexistenz zu sehen, ihn in seiner Gottheit zu bezeugen, damit wir an ihn glauben können.

H.: Sie würden also eher dazu neigen, eine Allwissenheit des irdischen Jesus anzunehmen?

BERGMANN: Ja, dahin würde ich neigen.

H.: Dann kann sich Jesus also auch nicht geirrt haben?

BERGMANN: Ich unterstelle Jesus Christus keine Irrtümer! Jesus Christus hat sich nicht geirrt! ...

H.: Sie haben so oft wie wohl kein anderer Theologe gegen Bultmanns Entmythologisierung protestiert. Aber was Himmel- und Höllenfahrt Jesu - nach seinem Tode angeht, so entmythologisieren Sie doch auch?

BERGMANN: Nein, ich möchte mich keinesfalls zu den Entmythologisierern zählen. Entmythologisierung gibt die Sache preis. Wir als »Bekenntnisbewegung ,Kein anderes Evangelium'« geben die Sache niemals preis.

H.: Dann möchte ich ganz konkret von Ihnen wissen: Ist nun geschehen, was im Lukas-Evangelium steht, oder nicht: »Es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel«?

BERGMANN: Jawohl, das ist geschehen. Es handelt sich um ein Faktum, um die Himmelfahrt.

H.: Nun hat Hans Schomerus, wohl kein »moderner« Theologe, geschrieben: »Abgesehen von dem primitiven Kommunismus denkt ja niemand daran, die Himmelfahrt Christi räumlich aufzufassen.« Sie tun es doch aber?

BERGMANN: Nein! Was ist denn Himmelfahrt? Himmelfahrt ist die Beendigung des Erdenweges Jesu. Himmelfahrt ist die Rückkehr aus der raumzeitlichen in die unsichtbare Wirklichkeit, in die Dimension, aus der er gekommen ist. Dabei muß man allerdings wissen, daß die unsichtbare Wirklichkeit nicht neben, nicht unter, nicht über der sichtbaren Wirklichkeit liegt, sondern in der sichtbaren Wirklichkeit, so daß sie miteinander verwoben sind.

H.: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist also Jesus vor den Augen seiner Jünger verschwunden, aber er ist nicht »aufgefahren gen Himmel«, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt und wie es viele Jahrhunderte lang alle Christen glaubten und wie es Konfirmanden noch heute lernen?

BERGMANN: Die Frage nach der Himmelfahrt ist keine Frage nach den einzelnen Zentimetern, sondern - wie ich betonte - der Wechsel von der sichtbaren in die unsichtbare Wirklichkeit. Ich möchte glauben, daß Jesus Christus seinen Jüngern in ihrem Verständnis entgegenkam, als er vor ihnen verschwand. Ein Akt der Wahrnehmung ist die Himmelfahrt gewesen. Aber ob er nun drei Meter brauchte, um zu verschwinden, oder ob er gleich im Augenblick entschwand - das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß dieses Ereignis stattgefunden hat.

* Soteriologie = Lehre vom Erlösungswerk Jesu Christi.

Dr. Gerhard Bergmann

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