RÜSTUNG Endlich einsehen
Lothar Rühl, Staatssekretär im Bonner Verteidigungsministerium, und Planungschef Hans Rühle feilschten bis zur letzten Minute. Beinahe wäre der Handel mit den Amerikanern, die Bonn das umstrittene Flugabwehrraketen-System »Patriot« verkaufen wollen, gescheitert.
Urplötzlich hatte Washington, nachdem das Geschäft voriges Jahr im Grundsatz schon vereinbart worden war, die Preise um einige hundert Millionen Mark erhöht. Die Unterhändler Rühl und Rühle mußten von vorn anfangen. Heraus kam ein Kompromiß, der die deutschen Steuerzahler in den nächsten zehn Jahren, alles in allem, mehr als sieben Milliarden Mark kosten wird.
Die Amerikaner verkaufen den Deutschen zwölf »Patriot«-Einheiten, die aus acht Startrampen mit je vier Raketen bestehen. Sie sollen, mit konventionellen Sprengköpfen bestückt, Flugzeuge in mittlerer und großer Höhe bekämpfen. Die »Patriots« lösen die veraltete »Nike«-Rakete ab, die auch atomare Sprengköpfe tragen kann.
Weitere zwölf Feuereinheiten, die in der Bundesrepublik stationiert werden, stellt die US Army zur Verfügung - als Leihgabe. Zudem übernimmt die Bundeswehr Wartung und Bedienung von zwölf »Patriots« der amerikanischen Truppen in Süddeutschland.
Im Gegenzug beschafft das Bonner Verteidigungsministerium 27 deutsche Flugabwehr-Systeme des Typs »Roland«. Sie sollen, von deutschen Luftwaffen-Soldaten betreut, amerikanische Fliegerhorste in der Eifel und im Hunsruck gegen Tiefflieger schützen. Weitere 60 »Rolands« werden auf deutschen Flughäfen stationiert, die im Ernstfall
auch von US-Maschinen angeflogen werden sollen.
Verteidigungsminister Manfred Wörner, der das Geschäft diese Woche in Washington mit seinem amerikanischen Kollegen Caspar Weinberger feierlich besiegeln will, ist des Lobes voll: »Das bedeutendste Programm zur Stärkung der konventionellen Nato-Verteidigung in Europa.« Und obwohl der Bundestag noch gar nicht zugestimmt hat, rühmt der Christsoziale Alfred Biehle, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, den Vertrag als »Durchbruch in der deutsch-amerikanischen Rüstungskooperation«.
Auch die Sozialdemokraten wollen mitmachen. SPD-Wehrobmann Erwin Horn: »Patriot ist ein defensives System. Es schließt eine Lücke in der Luftverteidigung und ist im Gegensatz zum veralteten Vorgänger-Modell ausschließlich konventionell ausgelegt.«
Die Begeisterung kommt zu früh. Die ersten »Patriots« sollen zwar schon nächstes Jahr an die Bundeswehr geliefert werden. Bei Tests aber haben die Raketen keineswegs die von den Amerikanern versprochenen Leistungen gezeigt: Die US Army hat mit dem System erhebliche technische Schwierigkeiten.
Zudem wird die teure Neuanschaffung schon bald wieder veraltet sein. Die Hersteller-Firma Raytheon plant eine kostspielige Weiterentwicklung der »Patriot": Das Nachfolge-Modell soll nicht nur Flugzeuge, sondern auch Raketen abfangen und treffen können.
Auch aus anderem Grund wird die Hochstimmung, die sich der vom Kießling-Debakel angeschlagene Wörner so sehnlich wünscht, nach dem Festakt in Washington schnell verfliegen. Falke Weinberger ist mit »dear Manfred« längst nicht mehr zufrieden: Er will bei Wörner Milliarden einklagen.
Der Zuwachs beim deutschen Verteidigungsetat für 1985 liegt mit 3,7 Prozent zwar weit über dem des Gesamthaushaltes (plus 1,2 Prozent). Nach Abzug der Inflationsrate bleibt jedoch kaum mehr als dieses Jahr. Weinberger aber verlangt eine inflationsbereinigte Steigerung von mindestens drei Prozent.
Der amerikanische Verteidigungsminister, der nach den ständigen Reibereien mit dem Sozialdemokraten Hans Apel den Amtsantritt Wörners geradezu enthusiastisch begrüßt hatte, beharrt zudem darauf, das Nato-Infrastrukturprogramm drastisch aufzustocken. Seine Forderung: 27 Milliarden Mark in den nächsten fünf Jahren.
Die Deutschen müßten dafür 7,4 Milliarden Mark (26,5 Prozent) in den Nato-Topf zahlen, aus dem der Bau gemeinsamer Flugplätze, Depots, Pipelines und Fernmeldeeinrichtungen bestritten wird. Finanzminister Gerhard Stoltenberg aber hat bisher nur 4,7 Milliarden bewilligt.
Wörner möchte, mit Einverständnis von Kanzler Helmut Kohl, 580 Millionen und - wenn das Gequengel der Amerikaner dann kein Ende nimmt - noch einmal 800 Millionen Mark drauflegen. Das aber wären erst sechs Milliarden Mark - zuwenig für Weinberger.
»Dies ist«, so Wörner in einer Vorbesprechung, »ein ganz wunder Punkt.« Da die Nato-Botschafter in Brüssel bisher vergeblich nach einem Kompromiß gesucht haben, muß Wörner nun selber in den Clinch mit Weinberger. Da wird er schwerlich heil herauskommen.
Der Amerikaner nämlich hat ein neues Druckmittel: Mit der knappen Mehrheit von nur 55 zu 41 Stimmen lehnte der US-Senat einen Antrag des Demokraten Sam Nunn ab, 90 000 der 326 000 in Europa stationierten US-Soldaten abzuziehen, wenn die Europäer nicht endlich ihre Verpflichtungen erfüllen, die Rüstungsetats um drei Prozent real jährlich zu steigern.
Wörner rief, als er von Nunns Vorstoß hörte, sofort in Washington an. Doch der Senator, der in den USA als Nato- und Europafreund gilt, war nicht umzustimmen. Nunn kündigte vielmehr an, er werde nächstes Jahr noch einmal versuchen, seinen Antrag durchzubringen.
Das kommt Weinberger zupaß: Der US-Verteidigungsminister hatte sich zwar vehement gegen Nunns Vorschlag gestemmt, benutzt ihn nun aber, um den Deutschen zu drohen. Die Amerikaner wollten, sekundierte der republikanische Senator William Roth, nicht länger »riesige Summen amerikanischer Steuergelder für die Verteidigung Westeuropas aufwenden, wenn Europa selbst nicht willens ist, sich zu beteiligen«.
Vor allem in zwei Punkten ist Weinberger unnachgiebig: Die Europäer, in erster Linie die Deutschen, sollen 1500 bombensichere Unterstände bauen für jene Flugzeuge der US-Luftwaffe, die im Krisenfall zur Verstärkung nach Westeuropa geschickt werden. Und sie sollen ihre Munitionsvorräte so aufstocken, daß sie für 30 Tage Kampf reichen.
Die erste Forderung ist, so meinen die Bonner Experten, in naher Zukunft nicht zu erfüllen. Ein Luftwaffen-Generalstäbler: »Wir können doch nicht die halbe Bundesrepublik zubetonieren.« Munition dagegen will Wörner nun mit Vorrang anschaffen. Die Mittel dafür werden im nächsten Jahr um über 30 Prozent auf 2,4 Milliarden Mark erhöht.
Damit aber, so ein Wörner-Vertrauter, sei die Grenze erreicht, es gebe nicht nur finanzielle, sondern auch psychologische Probleme: »Mit ''Immer mehr'' allein geht es nicht. Das müssen die Amerikaner endlich einsehen.«
Doch von Psychologie halten Weinberger und seine Militärs nicht viel. Die Debatte um die Nachrüstung ist noch nicht zu Ende und die Auseinandersetzung über Ronald Reagans Pläne für Weltraumwaffen noch gar nicht recht angelaufen, da sorgt Bernard Rogers, der amerikanische Nato-Oberbefehlshaber in Europa, bereits für neuen Zündstoff. Der Westen, so Rogers vorige Woche in der britischen Militärzeitschrift »Jane''s Defence Weekly«, müsse sich jetzt endlich auch ein »schlagkräftiges Arsenal neuer chemischer Waffen« zulegen.
Wörners Kommentar in einer Sitzung der Hardthöhen-Spitze: »Nun reicht es aber.« _(Im Mai 1983 beim Besuch eines ) _(Panzerbataillons in Munster. )
Im Mai 1983 beim Besuch eines Panzerbataillons in Munster.