LEHRER / STUDIENRÄTE Endlich Ruhe
Der Junge«, so erklärte ein Studienrat, »ist zu vergleichen mit einem sehr hochwertigen Pferd oder Hund.« Wie Vierbeiner brauchten auch Schüler die »straffe Hand des Herrn«.
Der Pädagoge, der dieses Rezept preisgab, war einer von 384 hessischen Gymnasiallehrern beiderlei Geschlechts, die für den Gießener Doktoranden Gerwin Schefer umfängliche Fragebogen ausfüllten. Aus den Lehrer-Antworten erarbeitete der Soziologe als Doktorarbeit eine »Bewußtseinsanalyse des deutschen Studienrates«, die als Buch erschienen ist*.
Das Hauptresultat hielt Schefers Doktormutter, die Professorin Helge Pross, in einem Nachwort fest; »Dominanz einer konservativen Mentalität«.
Das ergab sich vor allem aus den Antworten auf 107 sogenannte Statements des Fragebogens -- vorformulierten Kernsätzen mit einer Einstellungsskala von eins bis sieben zum Ankreuzen: von »völliger Zustimmung« über »unentschieden« bis zu »völliger Ablehnung«. Zu jedem Statement wurden drei Resultate veröffentlicht: Das Gesamtergebnis sowie die Meinung der jüngeren Lehrer (Altersgruppe bis 35 Jahre) und ihrer älteren Kollegen (55 bis 65 Jahre).
Ob nach der Schulreform oder der Sexualerziehung, nach Schülerkritik oder dem Prestige des eigenen Berufs gefragt wurde -- stets und mit deutlichem Abstand erwiesen sich die jüngeren Studienräte als fortschrittlich. wird ihre Meinung an der ihrer älteren Berufsgenossen gemessen. Doch überwiegen insgesamt die Traditionalisten.
So stimmten drei Viertel der befragten Studienräte dem Statement zu: »Das neunjährige deutsche Gymnasium hat sich in seiner Grundkonzeption durchaus bewährt, es besteht kein Grund für eine tiefgreifende Ände-
* Gerwin Schefer: »Das Gesellschaftsbild des Gymnasiallehrers«. Suhrkamp Verlag, Frankfurt; 256 Seiten; 16 Mark.
rung.« Selbst in der Juniorengruppe war noch die Mehrzahl (58,6 Prozent) dieser Ansicht; nahezu allen Älteren (92,8 Prozent) war es eine Lebensweisheit.
Mehrheiten finden sich zwar für »Senkung der Klassenfrequenz« oder »Reduzierung der Pflichtstundenzahl«. Politische Bildung aller, so ergibt sich aus Schefers gesammelten Daten, wird von vielen Studienräten mit »gesellschaftlicher Harmonielehre« gleichgesetzt. Der Autor resümiert, »daß die Mehrheit der Befragten mehr ... zur politischen Apathie tendiert als zum politischen Engagement«.
So fand denn auch die Behauptung, daß die höhere Schule hauptsächlich »Hüterin und Vermittlerin europäisch-abendländischer Kulturwerte und -haltungen« sei, bei jedem dritten Studienrat »völlige Zustimmung«. Allerdings mochte sich nicht einmal ein Fünftel der Jungen dieser Abendland-These so uneingeschränkt anschließen, während fast jeder zweite alte Herr (45,4 Prozent) dadurch seine Ansicht vollauf bestätigt fand. Die Schulreform findet wenig Anklang. Das zeigten die Antworten auf ein betont konservativ formuliertes Statement: »Die verstärkten Tendenzen zu schulreformerischen Maßnahmen sind der Schule von geringem Nutzen, denn was unsere Schule heute braucht, ist Ruhe und Stetigkeit im pädagogischen Bereich.« Entschieden abgelehnt wurde diese Ansicht von jedem vierten jüngeren, aber nur von jedem 50. älteren Lehrer.
Einer der Alten bekräftigte seinen Reform-Widerwillen noch mit beschwörendem Zusatz: »Ich kann das Wort »Schulreform« nicht mehr hören ... Sorgt dafür, daß endlich, endlich Ruhe in die Schule einkehre ...«
Alles Neue wird von den meisten Alten zunächst abgelehnt, sei es die -- von vielen Reformern verfochtene -- Gesamtschule oder der Sexualunterricht. So wurde der Fragebogen-Vorschlag, für die Sexual-Aufklärung ein »besonderes Fach in der Schule« einzurichten, von der absoluten Senioren-Mehrheit (58,8 Prozent) verworfen. Aber auch viele der Jungen (42,3 Prozent) mochten davon nichts wissen.
Daß »sexuelle Enthaltsamkeit bis zur Ehe ... nach wie vor im Unterricht des Gymnasiums als Ideal menschlichen Zusammenlebens hingestellt werden« soll, befürworten »völlig« doppelt so viele ältere (42,3 Prozent) wie jüngere Lehrer (20,2 Prozent).
Ein katholischer Altphilologe hielt früh aufgeklärte Schüler für besonders gefährdet: »Sie sind oft unehrlich und später unzuverlässige Staatsbürger.«