Nordrhein-Westfalen Endlich siegen
Zu Zeiten sozialdemokratischer Alleinherrschaft galt die Universität Witten-Herdecke als grüner Tupfer im Genossenland Nordrhein-Westfalen.
Im Geiste des anthroposophischen Urvaters Rudolf Steiner werden an der privaten Hochschule angehende Akademiker praxisnah und ganzheitlich in Medizin, Wirtschaftswissenschaft oder Musiktherapie unterrichtet. 700 Studenten bevölkern den alternativen Campus.
Doch nun bringen ausgerechnet die Bündnisgrünen in Düsseldorf, Juniorpartner der SPD, die Uni an den Rand des Ruins.
Seit Wochen zanken die Koalitionsparteien um den Haushalt '96. Am Etat werde sich erweisen, so drohen sie sich gegenseitig, wie dauerhaft das rot-grüne Bündnis sei.
Um grüne Reformprojekte wie Straffälligenhilfe und die »Beratungsstellen Frauenhandel« zu finanzieren, fordern die Bündnisgrünen, 350 Millionen Mark zu streichen - vor allem bei Wirtschaftsförderung und Straßenbau. Das bringt die Sozialdemokraten in Rage. Ein anderer Sparvorschlag trifft dagegen bei manchen SPD-Politikern auf Wohlwollen: Die Grünen wollen auch die sechs Millionen für die Privat-Uni Herdecke löschen.
Zwar nimmt sich der Betrag bescheiden aus, doch sollten sich die Bündnisgrünen durchsetzen, wäre die Herdecker Hochschule pleite.
Als sich der Neurologe Konrad Schily und seine Kollegen 1982 entschlossen, ihrem »Gemeinnützigen Gemeinschaftskrankenhaus« in Herdecke, einer Reformklinik ohne Chefs und Hierarchie, eine private Universität anzugliedern, genehmigte die damalige SPD-Regierung das Projekt nur mit der Auflage, daß die Herdecker weder Landeszuschüsse erhalten sollten noch Studiengebühren erheben dürften. Das staatsferne Unternehmen sollte sich ausschließlich aus Spenden erhalten.
Das Kalkül ging zunächst zwar auf, doch in den letzten Jahren sprangen immer mehr Großsponsoren ab. Selbst der Gütersloher Verleger Reinhard Mohn, Mitgründer der Uni, hat seinen Obolus gekürzt. Unipräsident Schily: »Uns fehlen neun Millionen Mark, rund 15 Prozent des Gesamthaushalts.«
Um das Projekt zu retten, bewilligte die Landesregierung im vergangenen Jahr erstmals sechs Millionen Mark. Die Beihilfe knüpfte sie an die Bedingung, Schily müsse ein Sanierungskonzept vorlegen, die Herdecker Uni sich der Begutachtung durch den Wissenschaftsrat, ein Bund-Länder-Gremium, unterziehen. Außerdem beauftragte die Landesregierung den Wirtschaftsprüfer C & L Deutsche Revision, die Überlebenschancen der Uni zu errechnen.
Die Prognose fiel schlecht aus. Deshalb genehmigte das Wissenschaftsministerium zusätzlich Studiengebühren. Die Studenten in Herdecke zahlen seit dem letzten Sommersemester monatlich 500 Mark. Wer sich die nicht leisten kann, muß nach dem Examen bezahlen. Das Modell wurde von den Studenten selbst entwickelt.
Die Geldnot der Herdecker möchten nun ihre ideologischen Gegner dafür nutzen, die Hochschule zu erledigen. Seit Gründung ist die Uni verschrien bei Sozialdemokraten vom Gewerkschaftsflügel genauso wie bei linken Grünen als »Elite-Uni für Porschefahrer«.
Der grüne Bauminister und stellvertretende Ministerpräsident, Michael Vesper, hält dagegen: »Nach grünen Kriterien leisten die Herdecker eine hervorragende Ausbildung.« Er will verhindern, daß die Privat-Uni »plattgemacht wird«.
Doch in seiner Fraktion fand Vesper kein Gehör. Die Mehrheit plädiert dafür, die Herdecke zugedachten Millionen aus dem Etat zu streichen. Ihr Argument: Wenn die Hochschule weiterhin Studiengebühren eintreiben dürfe, werde das Land dies den staatlichen Unis auf Dauer nicht verweigern können. Dann werde Studieren wieder ein Privileg der Wohlhabenden. So haben schon Sozialdemokraten vor 15 Jahren gegen die Uni-Gründung gewettert.
Ob aber die SPD dem grünen Sparwunsch folgt, ist noch offen. Die Herdecker fürchten, sie könnten geopfert werden, um den Düsseldorfer Koalitionsfrieden zu retten.
Der sozialdemokratische Bildungspolitiker Wolfgang Nowak, Berater der Privat-Uni und bis vor kurzem Kultusstaatssekretär im CDU-regierten Sachsen, führt die Sturheit der Grünen auf deren Profilneurose zurück. Bislang habe sich die Partei gegen den übermächtigen Partner SPD in der Regierung nirgendwo durchsetzen können. Nowak: »Die Grünen wollen endlich mal siegen dürfen - und einige Sozialdemokraten möchten sie lassen.« Y